Von der Thesentür an der Wittenberger Schlosskirche geht es schnurstracks zu dem Haus, in dem der Mönch Martin Luther vor 500 Jahren gelebt hat. Unterwegs bestaunen Besucher dessen Denkmal und die Stadtkirche, in der mehr als 2.000 Mal Predigten des Theologen notiert sind. Am Lutherhaus angekommen genügt eine 90-Grad-Wendung nach links, um nach 250 Metern einen weiteren Touristenmagneten zu entdecken: den eigens zum 500. Reformationsjubiläum errichteten Rundbau des Künstlers Yadegar Asisi mit einer Darstellung Wittenbergs aus dem 16. Jahrhundert. Aus der Drohnenperspektive bildet diese viel frequentierte Achse durch die historische Lutherstadt keine "500", aber immerhin ein "L", wie es Cranach exakter nicht hätte zeichnen können.
Die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt ist als Teil der Achse schon jetzt sehr zufrieden, dabei laufen nach eigener Aussage die besucherstärksten Monate September und Oktober gerade erst an. Knapp 120.000 Gäste in der Nationalen Sonderausstellung "Luther! 95 Schätze - 95 Menschen" haben Direktor Stefan Rhein und sein Team seit der Eröffnung am 12. Mai gezählt. Die meisten der Museumsbesucher kämen auch ins angrenzende Lutherhaus, sagt er. Das Diskussionsangebot der Weltausstellung Reformation habe es "neben den authentischen Orten schwerer in einer säkularisierten Umwelt", so der Stiftungsdirektor, auch wenn die kirchlichen Angebote "anspruchsvoll und unheimlich bereichernd" sind.
Von den rund 80 Ausstellern in den Wallanlagen um die Altstadt haben in den vergangenen 16 Wochen besonders die mit interaktiven Angeboten gepunktet. Der berühmt gewordene Segensroboter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) etwa verteilte nach offiziellen Angaben rund 10.000 Segen, den Klettergarten inklusive Erlebnisausstellung der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend (aej) hätten 25.000 Menschen erklommen. Gesprächsveranstaltungen und musikalische Darbietungen knackten in der zweiten Hälfte des Reformationssommers immer öfter die Hundertermarke, unter den 45 Klassik- bis Popkonzerten erzielten "Die Prinzen" das Bestergebnis von 6.500 Zuhörern. Andere Elemente wie textlastige Stellwände, versteckt liegende Pavillons oder Installationen, deren Sinn und Ziel bis zuletzt verborgen blieb, hatten es da nicht so leicht.
Zur Halbzeit vor acht Wochen war von 70.000 verkauften Weltausstellungs-Tickets die Rede. Kurz vor dem feierlichen Abschluss kommt der Organisatorenverein Reformationsjubiläum 2017 (r2017) auf 294.000 Eintritte inklusive Bibelturm, der Kunstausstellung "Luther und die Avantgarde" im Alten Gefängnis und der Konzerte auf der Schlosswiese. Besucher, die an mehreren Tagen da waren, seien in dieser Zahl auch mehrfach enthalten, hieß es vonseiten des r2017. Nachdem viele der Angebote kostenlos waren, hat der Verein Tagesschätzungen der Weltausstellungsbesucher angestellt. Die belaufen sich eigener Hochrechnung zufolge auf mehr als eine halbe Million.
Reformationsbotschafterin Margot Käßmann macht das Gelingen des "großen Experiments" unter anderem daran fest, dass auch viele kirchenferne Menschen zu den Veranstaltungen gekommen seien. Die Kirche selbst könne aus der Erfahrung der Christen in Ostdeutschland lernen, "weil das eine Situation ist, die demografisch auf ganz Deutschland zukommt. Vielleicht nicht in der Dramatik wie in Ostdeutschland, aber insgesamt wird das die Tendenz sein", so Käßmann. In diesem Fall seien die Gemeinden in Wittenberg ermutigt worden, auch in einer veränderten Situation einladend und dialogfähig Kirche zu sein.
Den Erfolg von Lutherorten und Weltausstellung dürfe man nicht gegeneinander ausspielen, sagt Rhein. "Luther und die Avantgarde" ziehe Hauptstädter an. Die zeitgenössische Schau wurde bis zum 1. November verlängert. Das Asisi-Panorama überwältige visuell. Es soll Wittenberg noch weitere fünf Jahre erhalten bleiben. Wer mehr über die Hintergründe der Reformation und Wirkungsgeschichte Luthers wissen möchte, kommt laut Rhein in die Nationale Sonderausstellung. "Wittenberg ist 2017 ein Gesamtkunstwerk", resümiert der katholische Philologe. "Es gibt verschiedene Bausteine, die aufeinander aufbauen und sich ergänzen."
Der Erfolg des magischen "L"
Für Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) sind die Feierlichkeiten ein Geschenk "für die kleinste Großstadt der Welt", wie er Wittenberg gerne bewirbt. Ohne das Reformationsjubiläum hätte sie sich nicht so sehr verändert, Teile der Altstadt sind saniert worden. "Unsere Stadt wurde aber auch von einem bestimmten Spirit eingenommen, den wollen wir konservieren", so Zugehör.
Von anderen, durchaus auch kritischen Wahrnehmungen der besonders in den ersten Wochen sehr mäßig besuchten Angebote lassen sich Veranstalter und Gastgeber ihr nun zu Ende gehendes Gemeinschaftsprojekt nicht madig machen. Was nach Sonntag von der Weltausstellung bleibt, wollen sie in den kommenden Tagen erörtern. Das magische "L" zwischen den Originalschauplätzen der Reformation wird aber in jedem Fall für anhaltende Besucherströme sorgen.