Welche Rolle sollte die evangelische Kirche in der Gesellschaft spielen?
Franz Josef Jung: Zunächst hat die evangelische Kirche einen christlichen Auftrag. Aber auch ihre gesellschaftlichen, insbesondere sozialen Verpflichtungen sind von besonderer Bedeutung. Das fängt bei den Kindergärten an und betrifft viele weitere Institutionen. Aber auch was beispielsweise die Diakonie im sozialen Bereich leistet, finde ich sehr lobenswert. Daher ist für mich das Engagement der evangelischen Kirche für die Gesellschaft insgesamt als positiv zu sehen.
Wie stehen Sie zu politischen Äußerungen beziehungsweise politischem Engagement der Kirchen?
Jung: Da bin ich zurückhaltend. Das muss ich ganz klar sagen. Ich bin der Auffassung, dass die Kirche einen christlichen, in erster Linie einen theologischen Auftrag hat. Politik ist unsere Angelegenheit und nicht die Sache der Kirche. Natürlich kann ich verstehen, wenn die Kirche auch zu aktuellen Bezügen, etwa wenn es um Friedensbotschaften oder um andere christlichen Fragen geht, wie auch bei der Sterbehilfe, Stellung bezieht. Das halte ich für sinnvoll. Ich sehe aber kein politisches Mandat für die evangelische Kirche.
Wie arbeiten Sie mit der evangelischen Kirche zusammen und wie funktioniert das?
Jung: Ich habe ein sehr enges Verhältnis zur evangelischen Kirche, obwohl ich selbst katholisch bin. Sowohl mit dem Bevollmächtigten des Rates der EKD in Berlin, Dr. Martin Dutzmann, der früher im Verteidigungsministerium die Militärseelsorge verantwortete. Aber auch mit Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHN, oder mit Martin Hein, dem Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, stehe ich im Kontakt. Selbstverständlich habe ich auch am evangelischen Kirchentag teilgenommen. Im von mir in Berlin gegründeten Religionsdialog sind alle Religionsgemeinschaften engagiert. Dort nimmt auch die evangelische Kirche regelmäßig teil, so dass sich ein sehr intensiver Kontakt ergibt.
Was will Ihre Partei tun, um andere Religionen als das Christentum in Deutschland zu integrieren?
Jung: Im Religionsdialog führe ich auch sehr intensive Gespräche mit muslimischen Verbänden. Ich halte es für richtig, dass alle Religionsgemeinschaften, die evangelische und die katholische Kirche, die jüdischen Gemeinden und die Muslime hier mit am Tisch sind, aber auch eine Glaubensrichtung wie die Ahmadiyya, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Dialog ist für mich eine Grundlage dafür, dass eine unmittelbare Integration der verschiedenen Religionen auch bei uns möglich ist, etwa so, wie es bereits Ephraim Lessing in seinem "Nathan der Weise" aufgefasst hat. Allerdings muss man hier klar zum islamistischen Terrorismus abgrenzen, der mit Gewalt versucht, seine Ideologie durchzusetzen. Das kann natürlich nicht akzeptiert werden, auch wenn man sich dabei auf den Islam bezieht. Wer derartige Gewalt ausübt, kann sich nicht auf eine Religion berufen, weil Religion vom Grundsatz her eine friedensstiftende Funktion hat.
Im Grundgesetz (Artikel 140) sind Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht in Deutschland auch im öffentlichen Bereich gewährleistet, anders als zum Beispiel in Frankreich. Wie stehen Sie dazu (Stichwort: Tanzverbot an Karfreitag beispielsweise)?
Jung: Ich denke, das hat sich durchaus bewährt. Natürlich hat die Rechtsprechung zum Teil, wenn ich etwa an arbeitsrechtliche Fragen denke, dort auch Veränderungen vorgenommen. Aber vom Grundsatz her denke ich, dass man daran festhalten sollte. Alles, was sich bewährt hat, sollte man nicht ohne Grund opfern.
Hält Ihre Partei an den Privilegien für die christlichen Kirchen fest?
Jung: Ja. Dieser Meinung bin ich. In unserem Grundgesetz heißt es in der Präambel: "in der Verantwortung vor Gott und den Menschen". Das Grundgesetz entstand auch auf Grundlage einer christlich-jüdischen Tradition. Auch das Bundesverfassungsgericht hat das kooperative Verhältnis zwischen Staat und Kirchen bestätigt. Wir haben hier eine klare Begründetheit sowohl für die katholische als auch die evangelische Kirche. Auch wenn die Kirchenmitgliedszahlen rückläufig sind, gibt es in Deutschland noch über 50 Prozent christlich engagierter Bürgerinnen und Bürger. Deshalb sollte man dem auch Rechnung tragen.
Wie soll es Ihrer Meinung nach mit der Kirchensteuer weitergehen?
Jung: Man sollte die Kirchensteuer genauso belassen wie sie ist. In anderen Ländern gibt es teilweise Entwicklungen, wo im Hinblick auf Finanzierungen ungute Abhängigkeiten entstehen. Diese Gefahr besteht aufgrund der Kirchensteuer in Deutschland nicht. Ich halte für falsch, dass manche sich durch Austritt dieser Verpflichtung entziehen wollen, da die Kirchen in diesem Land einen wichtigen sozialen Auftrag erfüllen.
Sollte es in Zukunft weiterhin konfessions- und religionsgetrennten Unterricht an Schulen geben?
Jung: Wo es die Schülerzahl zulässt, finde ich einen Religionsunterricht für unterschiedliche Konfessionen richtig. Falls es die Schülerzahl nicht zulässt, kann es auch einen einheitlichen christlichen Religionsunterricht geben, auch im Sinne der Ökumene.
Wie halten Sie es mit dem Kirchenasyl?
Jung: Beim Kirchenasyl bin ich zurückhaltend. Ich kann nachvollziehen, dass die Kirchen ihren christlichen Auftrag, sich auch den Fremden zuwenden, hier erfüllen möchten. Wir haben allerdings in der Politik eine Härtefallregelung, wo genau diese Kriterien bereits berücksichtigt werden. Das darf daher nicht zum Allgemeingut werden. Zwar kann man im Einzelfall Verständnis haben, aber für ein Allgemeingut halte ich es nicht.
Wie stehen Sie zur Sonntagsruhe?
Jung: Ich bin der Auffassung, dass es richtig ist, wenn wir daran festhalten. Einerseits, um auch wirklich am Feiertag abschalten zu können, andererseits natürlich auch, um den Bezug zum Christlichen beizubehalten. Nun weiß ich auch, dass die Zahlen der Kirchenbesucher erheblich zurückgehen. Ich weiß aber auch, dass die Bevölkerung Feiertage für sinnvoll hält, auch wenn sie selbst diese nicht unmittelbar im christlichen Sinne feiert, wenn ich beispielsweise an den Fronleichnamstag denke. Aber vom Grundsatz her bin ich der Auffassung, dass es klug ist, ein wenig innezuhalten und ein bisschen Ruhe zu haben. Leider gilt dies in der Regel schon nicht mehr für die Politik, was ich bedauere.