Welche Rolle sollte die evangelische Kirche in der Gesellschaft spielen?
Christine Buchholz: Die Linke sieht die religiöse Rolle der Kirche als eigenständig und enthält sich diesbezüglich einer Bewertung. Wir sehen aber durchaus und begrüßen es auch, wenn die Kirche zu den Themen Armut, Krieg, Geflüchtete oder Ausgrenzung Position bezieht. Wir sehen, dass sich die Rolle der Kirche da historisch gewandelt hat - weg von einer Legitimationsmacht für Staat und Regierung, eher hin zu einer "Einspruchsmacht" und auch einer gesellschaftlichen Opposition gegen herrschende Verhältnisse und für Menschenrechte. Dabei unterstützen und ermutigen wir auch die handelnden kirchlichen Personen, egal auf welcher Ebene.
Wie stehen Sie zu politischen Äußerungen bzw. politischem Engagement der Kirchen?
Buchholz: Als gesellschaftliche Institution bewegt sich Kirche automatisch im politischen Raum. Von daher glaube ich, dass es kein unpolitisches Agieren gibt. Religion ist einerseits Privatsache, aber Religion findet ja auch in einem realen Kontext statt. Von daher hat das, was die Kirche tut, auch eine politische Relevanz. Mein Verständnis von Christentum und Bibel geht dahin, dass Einspruch gegen Ungerechtigkeit, Ausgrenzung und Armut richtig, wichtig und angemessen ist - ohne dabei ein parteipolitisches Programm zu vertreten.
Wie arbeiten Sie mit der evangelischen Kirche zusammen und wie funktioniert das?
Buchholz: Da gibt es ganz verschiedene Ebenen der Zusammenarbeit. Das für mich Wichtigste ist dabei, dass es auf der konkreten lokalen Ebene Kontakte gibt zwischen Aktiven der Linken und Kirchengemeinden. Das vollzieht sich ja anhand von politischen Themen. Es gibt zum Beispiel viele Überschneidungen im friedenspolitischen Bereich. Viele Kreisverbände von uns, sind aber auch über die Flüchtlingssolidarität in letzter Zeit mit kirchlichen Gruppen zusammengekommen. Und wir haben in vielen Landesverbänden Arbeitsgemeinschaften von Christinnen und Christen und auch Andersgläubigen, darüber gibt es auch Kontakte. Das zweite ist, dass wir uns bei konkreten Themen zusammenschließen. Wir sind zum Beispiel in Hessen bei der "Allianz für den freien Sonntag" dabei. Und selbstverständlich haben wir auch organisierte Kontakte. Dieses Jahr hatten wir ein Treffen des geschäftsführenden Vorstands der Partei mit dem Bevollmächtigten der EKD, seinem Stellvertreter und der Diakonie. Und ich pflege Kontakte mit Landeskirchen. Wir hoffen außerdem sehr, dass die Linke zukünftig von der EKD auch als Partei gleichwertig zu den anderen im Bundestag vertretenen Parteien behandelt wird. Wir denken, dass es gerade in der aktuellen Situation inhaltlich einige Gemeinsamkeiten gibt. Voraussetzung dafür war natürlich, dass, vor allem in der Vorläuferpartei PDS, die Unterdrückung von Christinnen und Christen während des SED-Regimes - aufgearbeitet wurde und weiter wird.
Was will Ihre Partei tun, um andere Religionen als das Christentum in Deutschland zu integrieren?
Buchholz: Für uns ist die Religionsfreiheit sehr wichtig. Das bedeutet für uns, dass wirklich alle Religionen die gleichen Möglichkeiten haben sollen. Gerade in Zeiten, wo Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus scheinbar hoffähig sind und häufig unter dem Vorwand von Religionskritik artikuliert werden, ist es wichtig, dass wir die gleichen Rechte für alle Religionen betonen. Es muss auch die persönliche, individuelle Religionsfreiheit gewährleistet sein. Deshalb haben wir uns in unserem Wahlprogramm jetzt erstmalig generell gegen ein Kopftuchverbot ausgesprochen, genauso wie gegen Verbote von religiös motivierter Bekleidung am Arbeitsplatz. Außerdem haben wir mit Vertreterinnen und Vertretern der entsprechenden Glaubensgemeinschaften zusammen eine Forderung nach einem gesetzlichen Schutz für jüdische und muslimische Feiertage ausgearbeitet. Es wäre zum Beispiel toll, wenn man eine Staatsexamensprüfung an einem hohen religiösen Feiertag aus diesem Grund verschieben dürfte. Wir wollen damit jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland fördern und klar machen, dass diese Religionsgemeinschaften hier auch willkommen sind. Die Forderung nach einer Gleichstellung der Religionen bedeutet meiner Meinung nach, möglichst äquivalente Staatsverträge für muslimische Glaubensgemeinschaften zu ermöglichen, wie sie ja bereits mit den Kirchen und jüdischen Gemeindeverbänden existieren. Dahingehend sollten größere Anstrengungen unternommen werden. Diese Position haben wir aber noch nicht ausformuliert. Das werden wir sicher in der Religionspolitischen Kommission diskutieren, die wir gerade auf Bundesebene einrichten.
Im Grundgesetz (Artikel 140) sind Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht in Deutschland auch im öffentlichen Bereich gewährleistet, anders als z. B. in Frankreich. Wie stehen Sie dazu (Stichwort: Tanzverbot an Karfreitag bspw.)?
Buchholz: Wir finden, dass man da die Selbstbestimmung der Kirchen und die gesellschaftliche Realität vermitteln muss. Wir haben zum Beispiel die Forderung nach der Abschaffung des Tanzverbots an Karfreitag nicht mehr im Programm. Ich finde aber, dass man von den Kirchen in einer fortschreitend säkularisierten Gesellschaft auch erwarten kann, dass sie Positionen nicht mehr um jeden Preis durchsetzen, die im Bewusstsein einer großen Mehrheit der Bevölkerung gar nicht mehr vorhanden sind. Das religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmungsrecht baut auf dem Grundrecht auf Religionsfreiheit und der Trennung von Staat und Kirche auf. Das unterstützen wir, allerdings wollen wir kirchliche Privilegien und Sonderrechte mit Ausnahmen für den verkündigungsnahen Bereich abbauen.
"Eine starke und selbstbestimmte Position der Kirchen ist uns wichtig."
Hält Ihre Partei an den Privilegien für die christlichen Kirchen fest?
Buchholz: Eine starke und selbstbestimmte Position der Kirchen ist uns wichtig. Nicht aber eine herausgehobene. Wir sehen zum Beispiel keinen Grund - außer vielleicht im verkündigungsnahen Bereich - am kirchlichen Arbeitsrecht als Sonderweg festzuhalten. Da sind uns die Stärkung der Rechte der Beschäftigten und die Antidiskriminierungsgrundsätze wichtiger. Auch die Militärseelsorge mit ihrer engen Bindung an die Bundeswehr halten wir für nicht mehr zeitgemäß und wollen wir durch einen Vertrag ersetzen, der eine religiöse Betreuung von Soldatinnen und Soldaten durch alle Religions-und Weltanschauungsgemeinschaften garantiert. Beim so genannten Blasphemieparagraphen 166 StGB fordern wir keine Streichung, das Thema wird aber bei uns kontrovers diskutiert.
Wie soll es Ihrer Meinung nach mit der Kirchensteuer weitergehen?
Buchholz: In unserem Wahlprogramm haben wir die Forderung, dass die Kirchen in Zukunft ihre Steuern bzw. Beiträge selbstständig einziehen sollen.
Sollte es in Zukunft weiterhin konfessions- und religionsgetrennten Unterricht an Schulen geben?
Buchholz: Da ist die Position unserer Partei, dass es einen Religions- und Ethikunterricht für alle geben soll, um allen die Möglichkeit zu geben, Religion(en) kennenzulernen und religiöse und ethische Fragen gemeinsam zu diskutieren. Solange es aber konfessionsgebundenen Religionsunterricht gibt, müssen andere Religionsgemeinschaften gleichberechtigt werden.
Wie halten Sie es mit dem Kirchenasyl?
Buchholz: Wir sind beeindruckt von dem Beitrag, den die Kirchen in der letzten Zeit zu einer Willkommenskultur für Geflüchtete geleistet haben. Das Kirchenasyl ist dabei ein ganz wichtiges politisches Signal auch in gesellschaftliche Bereiche hinein, die sich sonst nicht so sehr mit der Asylproblematik und Antirassismus beschäftigen. Wir teilen in diesem Zusammenhang nicht die Rechtsauffassung des Bundesinnenministers. Wir glauben vielmehr, dass das Asylrecht verändert werden müsste, damit Humanität mehr im Vordergrund steht. Deswegen begrüßen wir sehr, dass es das Kirchenasyl gibt und hoffen auch, dass Gemeinden weiterhin aktiv in dieser Arbeit sind.
"Es ist im Interesse der Gesellschaft, wenn es Räume gibt, die frei sind von Konsum"
Wie stehen Sie zur Sonntagsruhe?
Buchholz: In unserem Wahlprogramm steht ganz klar, dass wir die Kämpfe um einen freien Sonntag unterstützen. Wie bereits erwähnt, sind wir in Hessen ja zum Beispiel auch Teil der "Allianz für den freien Sonntag". Es ist unserer Meinung nach sowohl im Interesse der Beschäftigten als auch der Gesellschaft als Ganzer ist, wenn es Räume gibt, die frei sind von Konsum und Kapitalismus.