Das Ringen mit Gott und mit seiner Kirche hat Nikolaus Schneider geprägt.
Foto: epd-bild/Norbert Neetz
Das Ringen mit Gott und mit seiner Kirche hat Nikolaus Schneider geprägt.
Menschenfreund und Moderator
An der Spitze der evangelischen Kirche stand Nikolaus Schneider für einen Protestantismus, der Vielstimmigkeit aushält. In der Sterbehilfe-Debatte machte er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt deutlich, dass für ihn Liebe über der Lehre steht.

Das Ringen mit Gott und mit seiner Kirche hat Nikolaus Schneider geprägt. Wenn Seelsorge und kirchliche Grundpositionen in Widerspruch geraten, steht für ihn der Mensch im Mittelpunkt. "Gute wissenschaftliche Theologie ist nicht unbedingt identisch mit guter alltagstauglicher Theologie", sagte Schneider im Mai auf dem evangelischen Kirchentag in Berlin. Am Sonntag (3. September 2017) wird der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 70 Jahre alt.

Beinahe fünf Jahre stand der Rheinländer an der Spitze der EKD, bevor er sich vorzeitig als oberster Repräsentant der deutschen Protestanten zurückzog, um seiner krebskranken Frau Anne beizustehen. 2010 hatte sich Schneider nach dem Rücktritt Margot Käßmanns als deren Stellvertreter in die Pflicht nehmen lassen. Aus seiner Amtszeit bleibt unter anderem in Erinnerung, dass er sich gegen die soziale Spaltung im Land und Weichenstellungen für ein ökumenisches Miteinander, mit Blick auf das 500. Reformationsjubiläum im laufenden Jahr, zu Wort gemeldet hatte.

Alles andere als vorbestimmt

In der innerkirchlich teils scharfen Auseinandersetzung über eine sogenannte Orientierungshilfe des Rates zu Ehe und Familie bezog Schneider deutlich Stellung: Zwar könne die Ehe zwischen Mann und Frau als Leitbild für verlässliche familiäre Bindungen dienen, doch seien die biblischen Überlieferungen an der Lebenswirklichkeit von heute auszurichten. Und dazu gehörten neben der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Betonung des Kindeswohls auch homosexuelle Partnerschaften.

"Ich lebe gut und gerne mit der Vielstimmigkeit in meiner Kirche", sagt Schneider, der sich in seinen Leitungsämtern stets als Moderator verstand. Seine sonore Stimme, seine freundlichen Augen und sein verständiges Lächeln sind geeignet, seinen Gesprächspartner für ihn einzunehmen. Eine kämpferische Miene passt nicht zu dem rundlichen Gesicht des Mannes, den seine Freunde "Niko" nennen.

"Niko", der Weltenbürger, vor dem Felsendom in der Altstadt von Jerusalem. Die Reise galt der Begegnung mit religiö?sen Vertretern in Israel und Palästina.

Der Lebensweg von Nikolaus Schneider war alles andere als vorbestimmt. Aufgewachsen in einem atheistischen Arbeiterhaushalt in Duisburg, weckt der Religionsunterricht in der Schule sein Interesse am Glauben. Nach Theologie-Studium und Vikariat wird der Sohn eines Hochofenmeisters Gemeinde- und Diakoniepfarrer. An der Seite der Krupp-Arbeiter in Duisburg-Rheinhausen kämpft Schneider für den Erhalt der Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie. In seiner Freizeit steht er als Fußball-Torwart beim VfL Hüttenheim auf dem Platz.

"Es reicht nicht aus, im Namen der Kirche großzügige Mildtätigkeit und individuelle Fürsorge zu praktizieren", sagt Schneider. Gottes Wort rufe Christen dazu auf, den sozialen Spaltungen in der Welt entgegenzuwirken.

1997 wird Schneider Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, 2003 folgt er Manfred Kock als Präses. An der Spitze der zweitgrößten deutschen Landeskirche steht er bis 2013, seine Amtszeit als EKD-Ratsvorsitzender soll erst zwei Jahre später, im Herbst 2015 enden. Doch es kommt anders: Als bei Schneiders Frau Anne, die er im Studium kennengelernt und 1970 geheiratet hat, im Sommer 2014 Brustkrebs diagnostiziert wird, ist für ihn binnen weniger Tage klar: "Jetzt ist eine Situation, da geht die Liebe zu meiner Frau vor dem Dienst."

Nach dem Studium hatte Anne Schneider als Religions- und Mathematiklehrerin gearbeitet - und ihrem Mann in seinen Ämtern als Ratgeberin zur Seite gestanden. Von "einer fast 50-jährigen theologischen Denk- und Gesprächsgemeinschaft" spricht Nikolaus Schneider. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. Die jüngste Tochter Meike starb 2005 im Alter von 22 Jahren an Leukämie. Meikes Tod habe seinem Glauben Risse gegeben, sagt Nikolaus Schneider. Schon am Tag ihrer eigenen Diagnose führen die Ärzte Anne Schneider die bevorstehende zehrende Krebsbehandlung vor Augen. "Da war mir plötzlich das Leid von Meike ganz nah", sagt sie.

Was das Paar bewegt, schildern Anne und Nikolaus Schneider, die 2013 aus dem Rheinland nach Berlin gezogen sind, noch im Sommer 2014 in mehreren Interviews. Wenn Anne es wünsche, würde er sie sogar zur Sterbehilfe in die Schweiz begleiten, sagt Schneider, aus Liebe - gegen seine eigene theologische Überzeugung und im Widerspruch zur kirchlichen Position in der Sterbehilfe-Debatte.

"Wir sind jeden Tag sehr, sehr dankbar", sagt Nikolaus Schneider ein Jahr später, als Anne mit Hilfe der Ärzte den aggressiven Krebs besiegt hat: "Eigentlich waren wir darauf eingestellt, dass wir nicht mehr viel Zeit haben."

Nikolaus Schneider: "Ich bin evangelisch, weil"