Anfeindungen durch das NS-Regime
Diese Formulierung verweist auf die Biographie Mendelssohns, der 1809 in Hamburg in eine bürgerliche jüdische Familie geboren wird, die äußerst angesehen ist. Abraham und Lea Mendelssohn lassen indes ihre Kinder christlich erziehen und 1816 in der Folge ihrer Übersiedlung nach Berlin protestantisch taufen. Dem jungen Felix wird als zusätzliches Zeichen der religiösen Neuorientierung zum Familiennamen der christlich geprägte Name Bartholdy hinzugesellt. 1822 konvertieren die Eltern zum Christentum. Für den Komponisten, Dirigenten und Organisten erweist sich das familiäre "Berliner Bekenntnis" als wegweisend für seine Arbeit, sein Engagement, seine Ideen. Besonders manifest wird dies in der Entschlossenheit, mit der sich Mendelssohn Bartholdy für die Schöpfungen Händels und Johann Sebastian Bachs in die Bresche schlägt. 1829 organisiert der gerade 20-jährige eine Aufführung der praktisch vergessenen Matthäus-Passion Bachs in Berlin. Die Folge: eine Renaissance des großen Leipzigers bis in unsere Gegenwart, eine "Neuentdeckung der ureigenen lutherischen Musik" (Steffens).
Die Hinwendung zum Protestantismus wird, wie sich später zeigen wird, Mendelssohn nicht vor antisemitischen Anfeindungen durch das NS-Regime schützen. Daraus resultieren in der öffentlichen Wahrnehmung Irritationen, die den Komponisten und insbesondere seine Reformations-Sinfonie bis heute tangieren. Irritationen, die nicht zuletzt ihre Grundlage in unzureichenden Kenntnissen der Biographie Mendelssohns haben dürften. Heinz Walter Florin, Dirigent, Pianist und Komponist, führt denn auch die relativ geringe Zahl an Aufführungen der Fünften auf die verbreitete Unkenntnis von Werk, Wirkungsgeschichte und Vereinnahmung des Komponisten zurück. Nicol Matt, studierter Kirchenmusiker, ist einer derjenigen, die der Reformations-Sinfonie eine angemessene öffentliche Präsenz wünschen. Den Dirigenten und Leiter der professionellen Formation Chamber Choir of Europe befremdet es, "dass das Werk meist unterschätzt wird". Auch für ein säkular gestimmtes Konzertpublikum biete es keineswegs inhaltliche oder programmatische Vorbehalte. "Mendelssohn", betont Matt, "versteht sein kirchenmusikalisches Werk nie als Verkündigung im Gottesdienst, sondern als eigenständige Kunstwerke für den Konzertsaal und die Kirche." Das Dresdner Amen im ersten Satz etwa sei später auch von Wagner im Tannhäuser und im Parsifal sowie von Mahler im Schlusssatz seiner 1. Sinfonie aufgegriffen, ferner von Bruckner in dessen 9. Sinfonie verarbeitet worden.
Gegen die Annahme, die Reformations-Sinfonie könne als religiös verengte Programm-Musik missverstanden und abgelehnt werden, argumentiert auch Hermann Dechant, der österreichische Dirigent, Flötist, Musikwissenschaftler und Musikverleger: "Religion ist auch ein kulturelles Phänomen. Und gerade der Protestantismus ist aus Deutschland nicht wegzudenken." Insofern, sagt Dechant, von 1960 bis 1973 bei Joseph Keilberth und Eugen Jochum Soloflötist der Bamberger Sinfoniker, halte er – noch dazu im Lutherjahr – die Aufführung der Mendelssohn-Komposition im Konzert "für gut und richtig". Keineswegs handele es sich um ein schwaches Werk, wie das hin und wieder Auguren wegen der religiösen Bezüge glaubten, feststellen zu müssen. "Die Sinfonie befindet sich mit ihren vier anderen Artgenossinnen durchaus auf Augenhöhe", unterstreicht der Experte.
1847 verstirbt der Wegbereiter der deutschen Romantik Mendelssohn-Bartholdy in Leipzig, in der Stadt, in der er seit 1835 die Leitung des Gewandhausorchesters innehat. Insbesondere dort kennt man praktisch keine Skrupel mit dem Werk. In den Konzertprogrammen des weltberühmten Orchesters sind zahlreiche Aufführungen unter namhaften Dirigenten verzeichnet. Darunter Marek Janowski, Sir Roger Norrington, Philipe Herreweghe, Riccardo Chailly. Kurt Masur nimmt das Werk im September 1989 auf Tonträger auf, wenige Wochen vor dem Zerfall der DDR. Die Vorwegnahme quasi einer "politischen Reformation". Auch bei einem Gastspiel des Gewandhausorchesters 2007 im Vatikan anlässlich des 80. Geburtstags von Papst Benedikt erklingt Luthers sinfonisches Denkmal. Ein später Ritterschlag, wenn man so will, dem weitere folgen könnten.