"Nicht völkisch genug" sagten die Nationalsozialisten über Künstler wie Franz Marc, dessen Bilder (l. Der Tiger,1912) und (r. Liegender Hund im Schnee, 1911) 2015 im Städel Museum in Frankfurt gezeigt wurden.
Foto: epd-bild/Thomas Rohnke
"Nicht völkisch genug" - dieses Urteil fällten die Nationalsozialisten über Künstler wie Franz Marc, dessen Bilder (l. Der Tiger,1912) und (r. Liegender Hund im Schnee, 1911) 2015 in der Ausstellung "Dialog der Meisterwerke" im Städel Museum in Frankfurt am Main zu sehen waren.
Goebbels willige Helfer
Wie die Nazis zu "entarteter Kunst" standen, ist bekannt. Dass sie sie aber für die Kriegskasse verkaufen wollten, wissen schon weniger Menschen. Und dass ein christlicher Verein dabei eine Rolle spielte, ist kaum bekannt. Eine ungeheuerliche Geschichte.

"Nicht völkisch genug" - dieses Urteil fällten die Nationalsozialisten über Künstler wie Käthe Kollwitz, Otto Dix, Marc Chagall und noch viele mehr. Doch nur ein Bruchteil der annähernd 20.000 konfiszierten Werke wurde in der berühmten Wanderausstellung als "Entartete Kunst" gezeigt. Der allergrößte Teil sollte gegen Devisen verkauft werden. Kaum bekannt ist jedoch, dass ein kleiner christlicher Verein dabei eine nicht unerhebliche Rolle spielte.

Dabei sind die Wurzeln des Evangelischen Kunstdienstes alles andere als nationalsozialistisch geprägt. Der ehemalige Generalstabsoffizier und Domprediger an der Domkirche zu Dresden, Arndt von Kirchbach, suchte nach dem Zusammenbruch der kaiserlichen Monarchie Orientierung und Halt in einer neuen liturgischen Bewegung. Hinzu kam der Chemnitzer Buchhändler Gotthold Schneider, der bereits Kontakte zu Otto Dix, Ernst Barlach, Emil Nolde oder Walter Gropius unterhielt. Es fanden erste "Künstlernachmittage" statt. Später stieß der Dresdner Kunsthistoriker Oskar Beyer dazu. Die Lösung des "religiösen Kunstproblems" sei in der Schaffung eines "Ortes der Freiheit" zu suchen, ohne die vorhandenen theologisch-dogmatischen Schranken der verfassten Kirchen, schrieb Beyer. Am 6. Februar 1928 wurde die "freie Arbeitsgemeinschaft für evangelische Gestaltung" gegründet, der spätere Evangelische Kunstdienst. Eine Suborganisation, die mit ihrer Kirche stets verbunden blieb.

"Man hat vielfach mit dem Oberkirchenrat korrespondiert. Man hat entsprechende Fördermittel bekommen", sagt der Berliner Kunsthistoriker Dieter Kusske, der seine Dissertation über den Evangelischen Kunstdienst geschrieben hat.

Der christliche Verein war offen für andere Konfessionen und Religionen. Sogar ein Vortrag des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber stand auf dem Programm. Mit der Übersiedlung des Kunstdienstes 1933 von Dresden nach Berlin war es mit dieser interreligiösen Offenheit aber vorbei.

Der russische Maler Wassily Kandinsky um 1930 am Bauhaus in Dessau.

Nun waren andere Männer bestimmend. Hugo Kükelhaus etwa, Leiter der Abteilung Handwerk in der NS-Kulturgemeinde. Oder Winfried Wendland, der aktiv bei der Schließung des Bauhauses und der "Säuberung" der Kunstschulen von unbequemen Künstlern tätig war. Der Kunstdienst wurde dem Propagandaministerium zugeordnet und diente fortan der nationalsozialistischen Geschmackserziehung. So hat es die Juristin Sabine Zentek für ihre Dissertation recherchiert: "Die Nazis hatten sich zum Ziel gesetzt, den deutschen Menschen umzuformen zu einem dienenden ergebenen Menschen, der keine Persönlichkeit mehr hat. Das ging bis in die Produktgestaltung hinein."

Einzelne Kunstschaffende und ihre Werke wurden in fast 30 Werkstattberichten vorgestellt. Ziel war die Etablierung nordischer Volkskunst, die Schlichtheit alltäglicher Gebrauchsgegenstände und die Bereitstellung mustergültiger NS-Modelle für die Massenproduktion. Es ging aber auch um Wehrkraftstärkung durch die Herausgabe von Arbeitsheften zur Freizeitgestaltung evangelischer Soldaten.

Der Maler Franz Marc

Der Reichspropagandaminister brauchte die christliche Dienststelle aber vor allem für ein außergewöhnliches Devisen-Beschaffungsprogramm. Goebbels wollte die Entartete Kunst nicht nur öffentlich verfemen, sondern sie auch kriegswichtig versilbern. Anlaufstelle dafür war das preußische Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow, in dem der NS-Staat dem Evangelischen Kunstdienst einige Räume zur Verfügung gestellt hatte. Dort nahm unter der Verwaltung des Kunstdienstes eine Kommission zur Verwertung entarteter Kunst ihre Tätigkeit auf.

Kunstdienstmitarbeiterin Gertrud Werneburg erinnerte sich später in einem Interview mit dem Kirchenhistoriker Hans Prolingheuer: "Ich habe angefangen mit 175 Ölbildern, aus denen allmählich 6.000 wurden, dann 7.000! Unentwegt kam der Möbelwagen angefahren. Und dann kamen die ganzen 'Brücke'-Leute. Von Franz Marc bis Christian Rohlfs, von Ernst Ludwig Kirchner bis Otto Dix."

Die Verkäufe lagen jedoch beim Propagandaministerium, das den Transfer mit den Kunsthändlern Hildebrand Gurlitt, Karl Buchholz, Bernhard Böhmer und Ferdinand Möller abwickelte. Nur die Rolle der kleinen evangelischen Dienststelle darf dabei nicht zu gering eingeschätzt werden.

Das Schloss Schö?nhausen

"Genau das hätte Vorbehalte verstärkt, wenn offizielle staatliche Stellen diese Werke zu Schleuderpreisen verkauft hätten. Dann wäre sicherlich die Kritik der ausländischen Presse viel stärker gewesen. Durch diese Kunsthändler, durch den Kunstdienst und andere Beteiligte wirkte das scheinbar und von außen auch so wahrgenommen seriöser", sagt Uwe Hartmann, Leiter der Provenienzforschung am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg.

Marc Chagall 1958 in seinem Atelier.

Kapital in Millionenhöhe muss damals zusammengekommen sein. Und der Rest? Jahrzehntelang galt es als sicher, dass die Nazis ein großes Feuer, ein Autodafé, veranstaltet hatten, um zum Ende des Krieges die nicht mehr verkäuflichen Werke zu vernichten. Doch daran bestehen mittlerweile große Zweifel. So sind nach 1945 rund 250 Werke wieder aufgetaucht, obwohl sie von den Nazis als zerstört gelistet waren. Der Verbleib von mindestens 5.000 Gemälden, Plastiken, Radierungen und sonstigen Kunstgegenstände ist bis heute ungeklärt.

Und der evangelische Kunstdienst? Am 29. April 1945 zerstören Brandbomben das Haus am Berliner Matthäikirchplatz 2 und damit die dort befindlichen Arbeitsräume. Der Verein hörte auf zu existieren.

Nach dem Krieg wurden in mehreren Landeskirchen sowohl in Ost- als auch Westdeutschland evangelische Kunstdienste neu gegründet. Man wollte an die Idee des Dresdner Ur-Kunstdienstes von 1928 anknüpfen. Es galt den Dialog zwischen Kirche und Kunst neu zu fördern. Das dunkle Kapitel 1933-45 wurde dabei lange verschwiegen. Keiner der zuletzt verantwortlichen Kunstdienstmitarbeiter wurde je zur Rechenschaft gezogen.