Die Jury von "Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen" bescheinigte den Journalisten Experimentierfreude, Neugier und Mut. Aber warum dieses Zertifikat für "Amal" und nicht für irgendein anderes Medium? Die Antwort auf die Frage führt zu einer Zuschreibung, die zwar den Tatsachen entspricht, über die man bei "Amal" aber nicht so ganz glücklich ist. Es ist ein journalistisches Portal, dessen Redaktion sich ausschließlich aus Geflüchteten zusammensetzt – hauptsächlich aus Syrien. Vielleicht ist eine Plastikkarte aber wichtiger als die frisch erhaltene Ehrung; sie passt ins Portemonnaie, darauf sind Name, Foto, Adresse, ausgestellt von einem großen deutschen Verband: der Presseausweis. Aber dazu später.
Entstanden ist die Idee von "Amal" am Küchentisch, kurz vor Weihnachten 2015. Die zwei Schwestern Cornelia und Julia Gerlach, beide seit vielen Jahren als Journalistinnen in Deutschland und der Welt unterwegs, saßen zusammen und fühlten, was viele damals fühlten. Irgendwie müsse man doch den Menschen, die hier als Geflüchtete stranden, helfen. Schnell war klar, dass es eigentlich schon fast alles gab. Außer einer Plattform für geflohene Journalisten.
"Amal" unterscheidet sich
Und dann ging alles recht zügig. Cornelia Gerlach, die einen regelmäßigen Lehrauftrag an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin hat, sprach den Direktor der Schule an. Oscar Tiefenthal war von dem Projekt überzeugt und stellte dem Projekt die Infrastruktur der Journalistenschule zur Verfügung. Gemeinsam holte man dann noch die EKD mit ins Boot, die das Projekt bis 2018 finanziell zu zwei Dritteln unterstützt. Bis dahin haben die acht beteiligten Journalisten und die beiden Initiatorinnen, die sich selbst eher als Moderatorinnen des Entstehungsprozesses sehen, Zeit, ihrem Baby das Laufen beizubringen.
"Amal" unterscheidet sich signifikant von anderen Plattformen, die zur selben Zeit entstanden sind. Hier geht es nicht um Informationen für Geflüchtete darüber, wie eine Demokratie funktioniert oder wie man einen Asylantrag ausfüllt. Es geht um Nachrichten. Und zwar um Nachrichten aus Berlin auf Arabisch und Farsi. "Wir wollen, dass sich die arabischsprechende Community über die Themen informieren kann, die die Deutschen umtreiben. So, dass ein Gespräch mit den deutschen Nachbarn über die Pandas im Berliner Zoo oder das Sommerinterview mit Bundeskanzlerin Merkel möglich ist", sagt Cornelia Gerlach. Ein hochgestecktes Ziel, aber die Leserschaft von "Amal" wächst. Und die Begeisterung der Redakteure auch.
Einer von ihnen ist Samer Masouh. Er ist studierter Jurist und hat in Syrien für Reuters aus dem Untergrund berichtet. Für "Amal" schreibt er über Politik, Sport und Kultur. Für ihn ist klar, dass es funktionieren wird: "Ich verspreche dir, wir werden erfolgreich sein." In der Anfangsphase, als sie noch offline waren, gab Honorare für ihre Artikel. Seit März sind sie online und seit dem 1. Juli 2017 haben alle acht Redakteure 50-Prozent-Stellen. Damit haben sie ein Gehalt, von dem sie leben können und die Zeit an anderen Herzensprojekten zu arbeiten; an einem Film, für ein Storytelling-Portal oder einfach für andere Auftraggeber aus der Branche. Die aktuellen Lebensläufe der Redakteure klingen genau wie die von zigtausend anderen Freiberuflern, die in den letzten Jahren aus aller Welt nach Neukölln, Kreuzberg oder Friedrichshain gezogen sind, an diversen kreativen Projekten mitarbeiten und meistens irgendetwas mit Medien machen.
Ein Morgen in der Redaktion von "Amal" ähnelt dem Alltag in anderen deutschen Redaktionen. Montags sind Mahdis Amiri aus dem Iran und Amloud Alamir aus Syrien für die Meldungen des Tages zuständig. Bis 9.45 Uhr müssen die Themen für den Tag gefunden sein, dann geht es ans Schreiben. Fünf Meldungen sollen es sein. Es wird diskutiert. Man könnte über den Übergriff auf ein homosexuelles Paar schreiben. Oder wie wäre es mit diesem Konzert von Neonazis in Thüringen. Nicht wirklich ein Berlin-Thema. Die beide Frauen in der Redaktion arbeiten regelmäßig zum Thema Frauen, einfach, weil es sie interessiert. "Ich würde nicht sagen, dass ich besonders gut bin. Aber ich bin gut genug, um zu überleben", sagt Amloud Alamir, als sie über ihren Journalistinnenalltag, ihre verschiedenen Auftraggeber und Jobs berichtet. Tief stapeln: darin ähneln sich Frauen über Staatsgrenzen hinweg.
Mahdis Amiri und Amloud Alamir, deren Muttersprachen Arabisch und Farsi sind, unterhalten sich meistens auf Deutsch. Es funktioniert, auch wenn die Sprachkenntnisse bei den Journalistinnen noch sehr unterschiedlich sind. Alle acht Redakteure besuchen neben ihrem Job noch Deutschkurse, dennoch wird es wohl noch eine Weile dauern, bis inhaltliche Gespräche über Themen komplett auf Deutsch geführt werden können.
Die beiden Frauen einigen sich am Ende auf die iranische Mathematikerin Maryam Mirzakhani, die am Wochenende mit nur 40 Jahren verstorben ist, eine Meldung über den Tag der offenen Tür im Tierheim, Steuereinnahmen, das Interview mit Angela Merkel vom Vortag und Stau auf der A100. Politik, Lokales und Kurioses. Das ist die Mischung, die "Amal" ausmacht. Die erfolgreichsten Themen der letzten Wochen mit der größten Reichweite auf Facebook waren die Geschichte über einen Keksbäcker in der Neuköllner Sonnenallee und die Berichterstattung über die Ehe für Alle. Was steht in dem Gesetz drin, worüber diskutieren die Deutschen und was ist eigentlich der Hintergrund, waren die Themen der Artikel.
"Unsere Leser vertrauen uns, weil wir hart arbeiten"
Die Ehe für Alle: ein Tabuthema, könnte man meinen. Wenn es schon in Deutschland so hart diskutiert wurde und wird, wie ist dieses Thema wohl in einer Community aufgenommen worden, die zum Teil noch viel mehr in religiösen Strukturen verankert ist? Samer Masouh, der sich selbst als Atheist bezeichnet, sagt: "Wir schreiben über Homosexualität, über die neue liberale Moschee in Berlin und über G20. Natürlich gibt es Menschen, die sagen, Du bist nur dann ein guter Journalist, wenn Du meine Meinung wiedergibst. Aber wir machen einfach nur unseren Job." Ein Vorwurf, der jeder anderen Redaktion sehr bekannt vorkommen dürfte. Ein Kritikpunkt, den sie öfter hören würden, sei der Aspekt der Finanzierung von "Amal". "Wieso bekommt ihr von der evangelischen Kirche Geld?" Als Atheist lautet seine Antwort darauf: "Ich glaube zwar nicht nicht. Aber die Kirche hat eine soziale Agenda. Und wenn sie unser Projekt unterstützen möchte, dann begrüße ich das." Projektleiterin Julia Gerlach schmunzelt bei diesem Thema und erklärt: Wenn man von beiden Seiten kritisiert wird, also von den Religiösen und den Säkularen, dann liegt man wahrscheinlich irgendwie richtig."
"Unsere Leser vertrauen uns, weil wir hart arbeiten. Wir checken die Fakten und wir haben gute Interviewpartner," sagt Samer Masouh. Von Kritikern lässt sich diese Redaktion nicht einschüchtern. Jetzt blicken sie alle in die Zukunft. Sie haben die nächsten Monate Zeit zu beweisen, dass "Amal" fester Bestandteil der deutschen Medienlandschaft sein kann. Die langen Texte erscheinen auch auf Deutsch, um sich eine weitere Lesergruppe zu erschließen. In den nächsten Monaten sollen neben der klassischen journalistischen Arbeit auch andere digitale Strategien ausprobiert werden. "Eine Überlegung war auch, ein Wörterbuch zu publizieren", sagt Julia Gerlach. "Versuchen Sie mal 'Senator für Umweltschutz' zu übersetzen. Das funktioniert nicht so einfach, weil ein Senator im Arabischen ein Ältestenrat wäre. Der würde aber nie in der Regierung sitzen."
Zurück zum Presseausweis: Im Berliner Abgeordnetenhaus habe es eine Debatte zum Thema Flüchtlingsunterkünfte gegeben, erzählt Cornelia Gerlach. Auch "Amal" wollte einen Journalisten hinschicken. Es gab ein Telefonat, E-Mails, alles dauerte sehr lange. Kurz vor knapp gab es dann die Akkreditierung. Und dann einen roten Teppich für den Journalisten, der eigentlich nur seinen Job machte. "Mit dem Presseausweis ist man nun nicht mehr der Bittsteller am Katzentisch, sondern man wird als professioneller Journalist wahrgenommen." Und das ist es, was sie alle wollen. Die acht Journalisten aus Syrien, Iran, Ägypten und Afghanistan. Sie wollen als die wahrgenommen werden, die sie jetzt sind. Als Experten in ihren Themengebieten, als gute Journalisten, als Nachbarn oder Freunde. Nicht als Geflüchtete.
Und es gibt noch weitere Entwicklungen. Es gab bislang drei Kooperationen: zwei davon mit dem evangelischen Monatsmagazin Chrismon und eine mit Amnesty International. Der erste war eine Chrismon-Ausgabe zum Thema "Mein erstes Weihnachten". Das zweite war ein Chrismon-Spezial über Flüchtlingsgeschichten. Und zuletzt eine Kooperation mit Amnesty International. Es war das erste Mal, dass jemand von ihnen recherchierte Geschichten mit anderen Stimmen als den ihren wollte. Nicht mehr nur die eigene Stimme, die eigene Gesschichte. Endlich weg vom Ich. Amal heißt übrigens Hoffnung.