Foto: epd-bild/Rolf Zoellner
Sommer der vielen Aber
Zwischenbilanz zur Halbzeit der Weltausstellung Reformation
Mit einem 16-wöchigen Großangebot rund um die Altstadt feiert sich Wittenberg im Jahr 2017 als Nullmeridian der Reformationsbewegung und die evangelische Kirche ihr Entstehen.
19.07.2017
Christina Özlem Geisler

Um die Wittenberger Freiluftausstellung komplett zu sehen, läuft man gut zwei Stunden. In sieben Torräumen entlang der grünen Wallanlagen laden der Organisatorenverein r2017 und mehr als 80 Projektpartner in 16 Themenwochen zu je Hunderten Veranstaltungen ein. Hier soll anlässlich des 500. Reformationsjubiläums debattiert und gebetet werden, nachgedacht über analoge und digitale Herausforderungen von heute und morgen. Aber die Installationen, Pavillons und eigens für die Weltausstellung Reformation entsandten Ehrenamtlichen wirken an manchen Tagen wie ein Stillleben.

Ulrich Seelemann, juristischer Direktor der lokalen Geschäftsstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), war von Beginn an dabei. Die großen Pläne der EKD für 2017, sagt er, seien in Kirchenkreisen schon strittig gewesen, als 2008 die sogenannte Lutherdekade eröffnet wurde. In den vergangenen Jahren aber schlugen seinen Beobachtungen zufolge die Befürchtungen um: in Euphorie und ein Gefühl der Verpflichtung, als Kirche zu einem so besonderen Ereignis etwas Übergreifendes auf die Beine zu stellen. Seelemann ist überrascht, dass nun derartig wenige Besucher kommen.

Überangebot an Veranstaltungen

"Ich höre oft den Satz: Reformation feiern kann ich auch in meiner Gemeinde, meinem Dorf, meiner Stadt, warum soll ich dazu nach Wittenberg fahren?", sagt der ehemalige Berliner Konsistorialpräsident: "Was die Gäste Wittenbergs suchen, scheinen eher die Originalschauplätze zu sein, die sie von den vielen lokalen Reformationsangeboten kennen."

Im Überangebot liegt nach Meinung von Hans Kasch eine der Ursachen, weshalb das Besucherinteresse hinter den Erwartungen der Veranstalter zurückbleibt: "Woher sollen die ganzen Menschen für mehr als 100 Veranstaltungen an einem Wochentag kommen?", fragt der Direktor des Lutherischen Weltbundes in Wittenberg.

Vor der Eröffnung der Weltausstellung am 20. Mai überwog unter den Wittenbergern die Vorfreude darauf, dass der Reformationssommer anbrechen und die Scheinwerfer der Welt auf die Lutherstadt lenken würde. Aber es gab auch solche, denen mulmig war beim Gedanken an drängelnde Menschen und verstopfte Gässchen. Sie können aufatmen: Zwar ist die Lebensader des Mönchs und Reformators Martin Luther, die mitten durch die Altstadt führt, gut besucht. Touristen wollen sein Haus, seine Predigtkanzel, sein Grab und die 95 Thesen an der Schlosskirchentür sehen. Laut Touristeninformation übernachten 2017 auch deutlich mehr Menschen in der Lutherstadt als im Vorjahr. In deren oft straffem Gruppenprogramm kommt die Weltausstellung aber selten vor.

Die Verantwortung für Planung und Durchführung des Reformationssommers hat die EKD an den Verein r2017 unter Führung des ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Ulrich Schneider ausgelagert. Kulturveranstaltungen und vor allem die Konzerte auf der Schlosswiese liefen gut, heißt es. Eine Erklärung zur gefühlten Leere und der Refinanzierung der millionenteuren Weltausstellung will der Verein erst am Mittwoch bei einer Pressekonferenz zum Bergfest abgeben.

Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, leitete auf der Expo 2000 in Hannover die evangelische Präsenz. Damals, sagt er, habe es Werbevorlagen für Gemeindebriefe und Plakate überall gegeben. Ein Problem 2017 sei, dass viele Menschen außerhalb Wittenbergs noch nicht verstanden hätten, was hinter dem Begriff "Weltausstellung" steckt. Ein weiteres Problem sei die inhaltliche Ausrichtung: "Wer aus dem inneren Bereich kommt, findet hier tolle Ausstellungselemente. Wer aber mit Kirche nichts zu tun hat, kann mit vielem auch nichts anfangen."

Das Ziel des Reformationssommers, so Wegner, sei Christen und Nicht-Christen mithilfe neuer medialer Zugänge darzustellen, was die Themen der Weltausstellung für die Gesellschaft bedeuten. Die Kirche sei aus seiner Sicht dabei von einer Selbstverständlichkeit ausgegangen, was ihre Rolle in der Gesellschaft anbelangt. Dass es die nicht mehr gibt, zeigten sinkende Kirchenmitgliedszahlen, und auch die maue Reaktion auf die Weltausstellung. Zur Halbzeit nach Woche 8 von 16 spricht Wegner von einer "produktiven Enttäuschung", die eine Chance für die Zukunft der Weltausstellung, aber auch der Kirche birgt: "Noch lohnt es sich, aktiv zu werden und nachzujustieren!"