Am Mittwoch, den 5. Juli, begeben sich die Delegierten der Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen von Leipzig nach Wittenberg. Ihr Ziel: Die Stadtkirche St. Marien zu Wittenberg, in der sie einen ökumenischen Festgottesdienst feiern und zwei wegweisende Dokumente über den Zusammenhalt der christlichen Kirchen unterschreiben werden.
Mit der Unterzeichnung des ersten Dokumentes wird die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zustimmen. Dieses Dokument gilt als bahnbrechende Annäherung zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund: Am 31. Oktober 1999 haben beide Seiten in Augsburg ihre gegenseitigen Lehrverurteilungen aus der Reformationszeit aufgehoben und sie als nicht mehr kirchentrennend bezeichnet. Man habe sich in vielen Jahren des ökumenischen Dialogs auf ein gemeinsames Verständnis der Rechtfertigung aus Gottes Gnade und durch den Glauben an Jesus Christus geeinigt. Die Rechtfertigungslehre geht davon aus, dass der Mensch trotz aller guten Taten niemals dem Anspruch genügen kann, den Gott an ihn oder sie stellt – man müsse stattdessen auf Gottes Gnade vertrauen. Er beschenke die Menschen mit seiner Gnade: Wer zu ihm kommt, bekommt, was er braucht, egal, was er vorher getan hat – das besagen viele Gleichnisse der Bibel, denn Gottes Gerechtigkeit ist eine andere als die der Menschen.
Gerechtigkeit als besonderer reformierter Beitrag
Im Jahr 2006 schloss sich die methodistische Kirche mit ihren weltweit rund 75 Millionen Mitgliedern an und 2016 begrüßte und bestätigte der Anglikanische Konsultativrat inhaltlich die Gemeinsame Erklärung. Durch den Beitritt der christlich-reformierten Kirchen wird auch die Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen reformatorischen Traditionen betont. Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen stimmt der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zu, indem sie in einer zusätzlichen eigenen Stellungnahme die Verbindung zwischen Rechtfertigung und Gerechtigkeit als besonderen reformierten Beitrag zu weiteren ökumenischen Gesprächen über die Rechtfertigungslehre unterstreicht. Für reformierte Christen gehört der Gedanke, ein von Gott gerechtfertigter Mensch zu sein, untrennbar mit dem Eintreten für Gerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortung zusammen.
Das zweite Dokument, das während des Gottesdienstes unterzeichnet werden soll, ist das sogenannte "Wittenberger Zeugnis". Es handelt sich dabei um eine Verständigung zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen und eine Vereinbarung zur engeren Zusammenarbeit. Beide Partner erkennen das große Unglück der Kirchentrennung an, heben die jahrzehntelangen Gespräche zwischen den beiden Konfessionen hervor und würdigen die Schritte zur Einheit, die die Mitgliedskirchen auf der ganzen Welt bereits unternommen haben. Für Deutschland und Europa ist das "Wittenberger Zeugnis" von nicht ganz so großer Bedeutung, da es nach der Leuenberger Konkordie von 1973 inzwischen selbstverständlich ist, dass Lutheraner und Reformierte eng zusammenarbeiten und gemeinsam das Abendmahl einnehmen können. In anderen Teilen der christlichen Welt sieht das jedoch noch ganz anders aus. Dementsprechend ist die Vereinbarung einer engeren Zusammenarbeit gerade im Reformationsjahr ein Zeichen, dass sich die Kirchen auch im Verhältnis zueinander immer wieder erneuern können.
Generalversammlung in Leipzig, Berlin und Wittenberg
Die 26. Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen findet bereits seit dem 29. Juni in Leipzig statt und geht noch bis zum 7. Juli. Bisherige Höhepunkte waren der Willkommensgottesdienst in der Nikolaikirche mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein vom ZDF übertragener, mehrsprachiger Gottesdienst im Berliner Dom mit einer Predigt des aktuellen, kanadischen Generalsekretärs Chris Ferguson und ein Treffen mit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin. Die Wahl eines neuen Generalsekretärs und die Verabschiedung der Abschlusserklärung zum Thema Weltgerechtigkeit stehen am Donnerstag und Freitag auf der Tagesordnung. Weiteres Thema auf der Generalversammlung wird der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea sein.
Die Generalversammlung, zu der rund 1.000 Delegierte aus ungefähr 100 Ländern nach Deutschland gereist sind, steht unter dem Motto "Lebendiger Gott, erneuere und verwandle uns". Dieses Zusammentreffen reformierter Christen findet nur rund alle sieben Jahre statt: 2010 zuvor im US-amerikanischen Grand Rapids und 2004 im ghanaischen Accra. Mit der Wahl einer ostdeutschen Stadt wollten die Organisatoren die Region würdigen, von der aus die Reformation ihren Anfang nahm. Auf Leipzig als Tagungsort fiel die Wahl angesichts der Rolle der Stadt als Ausgangspunkt der friedlichen Revolution von 1989.
Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen vertritt weltweit rund 230 reformierte, kongregationalistische, presbyterianische und unierte Kirchen mit circa 80 Millionen Gläubigen, was sie zu einer der größten protestantischen Vereinigungen der Erde macht. Von den 22 Millionen in Deutschland lebenden Protestanten sind rund anderthalb Millionen christlich-reformierten Glaubens – die meisten von ihnen leben in Ostfriesland und an der Grenze zu den Niederlanden. Deutsche Mitglieder der Weltgemeinschaft sind die Evangelisch-reformierte Kirche mit Sitz im ostfriesischen Leer und die Lippische Landeskirche mit Sitz in Detmold in Nordrhein-Westfalen. Letztere ist auch Mitglied im Gastgeberausschuss. Seit 2014 wurde dafür eine Mitfinanzierung von 150.000 Euro angespart und auch die Vorbereitung einer besonderen Jugendbegegnung zum Auftakt der Generalversammlung lag in den Händen der Lippischen Landeskirche.
Die reformierten Kirchen haben ihren Ursprung vor allem in der Schweiz. Prägend waren für sie die Lehren von Ulrich Zwingli (1484-1531) aus Zürich und Johannes Calvin (1509-1564) aus Genf. Beide Reformatoren wollten die Kirche von Grund auf erneuern. Beim Betreten einer reformierten Kirche fallen in der Regel auf den ersten Blick die Abwesenheit vieler Dinge auf: Es gibt üblicherweise keine Altäre, keine Kreuze und auch keine Wandmalereien. Im Gottesdienst selbst ist die Predigt das zentrale Element. Außerdem stellen die Reformierten die Gleichheit in den Fokus – ganz im Gegensatz zur katholischen Kirche mit ihren strikten Hierarchien.