Ein warmer Märztag, 23 Grad, Sonne, leichter Wind. Besseres Hochzeitswetter geht nicht. Und einen idyllischeren Ort als den, den sich Stephanie und Daniel Scheike für ihre Trauung ausgesucht haben, kann man sich kaum vorstellen. Die Paradieskapelle im Kloster Arnsburg liegt in einem bewaldeten Tal nahe der mittelhessischen Stadt Lich. Kopfsteinpflaster, Rasenflächen, Steinmauern aus dem 12. Jahrhundert und Fachwerk aus dem 18. Jahrhundert. Das Gelände um das ehemalige Zisterzienserkloster ist ein beliebtes Ausflugsziel. Im Gartenrestaurant klappern auch heute die Kaffeetassen. Doch in der Kapelle ist es ruhig. Zu ruhig. Der Gottesdienst hätte vor einer Viertelstunde beginnen sollen. Aber die Braut fehlt.
Sonnenlicht fällt durch die großen Fenster in die schlichte Kapelle mit weiß getünchten Wänden und Rundbogengewölbe. Die etwa 20 festlich gekleideten Gäste rutschen in den Kirchenbänken hin und her und leiden stumm mit dem Bräutigam. Daniel Scheike steht allein und zunehmend nervös vor dem Altarraum, den eine vergoldete Wandskulptur aus Kreuz und Lebensbaum schmückt. Ein junger Mann mit akkurat getrimmtem Bart und weichem Blick. Er ist Erzieher in einem Kindergarten, ebenso wie die Frau, die seit der gestrigen standesamtlichen Trauung seinen Namen trägt.
Am Nikolaustag 2014 hatte er Stephanie einen Heiratsantrag gemacht, mit roten Rosen und Kniefall. Sie sagte Ja, natürlich sagte sie das. Die beiden sind seit sieben Jahren zusammen – die ganz große Liebe. Dass es auch eine kirchliche Trauung geben sollte, war ihnen klar. Der christliche Glaube ist beiden wichtig. Endlich hört man draußen vor der offenen Tür Stimmen, die Fotografen machen sich bereit. Auftritt: die Braut. An der Hand ihres Vaters schreitet Stephanie die drei Treppenstufen in den Kirchenraum hinunter. Im weißen glamourösen Brautkleid, die langen braunen Haare kunstvoll hochgesteckt. Und in der Hand den festlichen Brautstrauß, der nicht rechtzeitig angekommen ist.
"Die gehören wirklich zusammen", sagt Manfred Wenzel hinterher, seit zwei Jahren Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Eberstadt/Kloster Arnsburg. Er hat das Brautpaar vor der Trauung zu zwei Vorgesprächen getroffen. Ob er sie noch einmal wiedersehen wird, weiß er nicht. 20 bis 30 Paare geben sich in der Paradieskapelle jedes Jahr ihr Ja-Wort. Sie kommen aus ganz Deutschland, haben die romantisch gelegene Kapelle entweder per Zufall entdeckt, etwa im Urlaub. Oder sie haben gezielt nach einer "Location" für ihre Hochzeit gesucht.
Pfarrer Wenzel ist ein freundlicher und jovialer Mann. Fühlt er sich manchmal missbraucht als Spielfigur einer Eventkultur? "Nein, ich verstehe gut, dass es den Leuten hier gefällt. Und ich vermittle ihnen schnell, dass das Kloster mehr ist als eine schöne Kulisse." Beim ersten Treffen geht er mit den Heiratswilligen über das Gelände. Er zeigt ihnen im ehemaligen Kreuzgang die Grabstelle für 450 Tote aus dem Zweiten Weltkrieg. Und die Ruine der großen Klosterkirche, von der nur noch die Restmauern stehen. Dieser Ort lasse niemanden kalt: "Als ich vor zwei Jahren überlegte, ob ich hier die Pfarrstelle annehmen soll, stellte ich mich in diese Basilika, die kein Dach vom Himmel trennt. Da hatte ich die Antwort. Hier wird man ganz klar und ruhig."
Die Paradieskapelle war ursprünglich nur der Vorbau zur Kirche. Seit 1967 wurde sie schrittweise in ihren ursprünglichen Zustand versetzt und wird heute wieder als Kirche genutzt – für Hochzeiten und Taufen sowie einmal im Monat für eine musikalische Vesper. Die Kapelle als Vorraum – Pfarrer Wenzel spielt gerne mit diesem Bild, wenn er mit den Brautpaaren spricht: Eine Hochzeit ist der Anfang, der erste Schritt. Aber was folgt, ist noch viel größer und – er deutet nach oben in den Himmel – noch vieles liegt offen vor ihnen. Manchen Paaren kann er so den Druck nehmen, dass bei der Hochzeit alles perfekt sein muss.
"Ja, mit der Hochzeit geht es erst richtig los", dem stimmen Thorsten und Friederike Pietschmann aus Ostsachsen voll und ganz zu. Ihre Trauung liegt 20 Jahre zurück. Auch die Pietschmanns haben in einer beliebten Hochzeitskirche geheiratet, an einem touristischen Ort. Oybin liegt im Zittauer Gebirge, nahe der tschechischen Grenze. Fachwerkhäuser, dampfbetriebene Schmalspurbahn, Kloster- und Burgruine – die 1734 fertiggestellte Bergkirche, deren Sanierung vor zehn Jahren von der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (KiBa) gefördert wurde, ist nur eines von vielen Kulturdenkmälern am Ort.
Von außen ein schlichtes gelbes Kirchengebäude, das am Fuß des Berges aus dem Fels herausragt. Innen geradezu überwältigender Barock: Der Raum ist abschüssig – dem unterliegenden Fels folgend –, die dunklen Holzbänke senken sich wie in einem Hörsaal Richtung Altarraum. Dort glänzt der mächtige, aus dem 18. Jahrhundert stammende Kanzelaltar in Gold und Gelb.
"Wer hier aus der Gegend kommt und kunsthistorisch interessiert ist, kommt um diese Kirche nicht herum", sagt Thorsten Pietschmann. Er ist Kunsthistoriker, seine Frau Kirchenmusikerin und Musiktherapeutin. Beide wuchsen in Nachbardörfern von Oybin auf. Kennengelernt haben sie sich als junge Erwachsene bei einem gemeinsamen Freund. Sieben Jahre später haben sie geheiratet.
Obwohl sie damals noch in Berlin studierten, sollte es die Bergkirche in Oybin sein. "Wir wussten, wir würden irgendwann wieder in die Oberlausitz zurückkehren. Dann kam eigentlich nur diese Kirche infrage", sagt Thorsten Pietschmann. Und seine Frau nickt dazu. Den beiden merkt man an, wie gut sie sich kennen.
Am Anfang war die Oybiner Kirche für sie nur ein perfekter Ort für einen wichtigen Tag. Doch dann fanden sie zufällig ein Haus im Nachbarort und nun ist die Kirche Teil ihres Lebens. "Es ist ein gutes Gefühl, in ihrer Nähe zu leben", sagt Friederike Pietschmann. Beim Lokaltermin in der Kirche ist auch ihre jüngste Tochter dabei: Thora, 10 Jahre alt, lange dunkle Haare, kecker Blick. Neugierig blättert sie im mitgebrachten Fotoalbum: die Braut, blond und langhaarig, im blauen Sommerkleid und mit Hut. Der Bräutigam im Anzug. Sie sehen beide jung und schmal aus und sehr glücklich.
"Die Zeremonie war bewegend", sagt Friederike Pietschmann. Der Pfarrer habe zur Gitarre gesungen: "Ins Wasser fällt ein Stein." Das rührt sie noch sichtlich, als sie es erzählt. Ihr Trauspruch: "Wie sich im Wasser das Angesicht spiegelt, so ein Mensch im Herzen des andern" (Sprüche 27,19). Sie und ihr Mann lächeln beide in sich hinein, als sie diese Worte sagt.
Ja, die Hochzeit ist nur ein Anfang. Aber es tut doch gut – das sieht man ihnen an – sich wieder an diesen Zauber des Anfangs zu erinnern.
###galerie|108721|Hier kommt die Braut - Brautkleider im Spiegel der Zeit.###