Zeit ist nicht das Problem von Gordian Meinrad Pechmann. Sie ist sein Beruf. Ohne Hast stopft er seine Pfeife und zündet sie an. Er ist der Einzige, für den das Rauchverbot in der großen Werkhalle nicht gilt. Er nimmt einen Zug. "Das gleichmäßige Ticken einer Uhr ist etwas Beruhigendes", sagt er.
Pechmann ist Kirchturmuhrenbauer, einer der letzten in Deutschland. Er trägt den Namen seines Urgroßvaters, der den Familienbetrieb 1862 gegründet hat. "Ich bin in diesen Beruf hineingeboren", sagt er. "Das wird einem in die Wiege gelegt: das Zeitgefühl, das Ticken, das Beobachten der Lebensuhr."
Pechmann in Roggenburg bei Neu-Ulm
Auf den ersten Blick wirkt Pechmann selbst ein wenig aus der Zeit gefallen, wenn er seine Pfeife schmaucht und die Enden seines silbergrauen Schnurrbarts zwirbelt. Doch wenn er anfängt zu erzählen, von mechanischen und elektronischen Turmuhren, Lacklegierungen und der Vergänglichkeit des Lebens, wirkt er wach, gelassen, präsent. Die Firma Pechmann kümmert sich um die Mikroelektronik moderner Funkuhren, um mechanische Turmuhren, sogar um alles rund um Kirchenglocken, außer dem Guss. Pechmann ist Maschinenbaumeister, aber eigentlich viel mehr: "Bei uns vereinigen sich viele Berufe: Mechaniker, Schmied, Dreher, Schlosser, Elektroniker, Chemiker." Der Anspruch ist hoch. Pechmann zeigt auf ein frisch lackiertes Ziffernblatt. "Das muss 30 Jahre halten."
In solchen Zeiträumen denkt, wer drei Generationen hinter sich weiß. Eigentlich sogar vier, denn schon sein Ur-Urgroßvater arbeitete als Schmied. 1862 spezialisierte sich dessen Sohn auf Kirchturmuhren und gründete die Firma Pechmann in Roggenburg bei Neu-Ulm. Seitdem hat sich einiges geändert: 1893 wurde die Mitteleuropäische Zeit eingeführt, bis dahin gab es noch eine Stunde Zeitunterschied zwischen Ulm und Neu-Ulm. Die Firma Pechmann war ihrer Zeit immer ein Stück voraus, mit der Elektrifizierung 1906 und bei der flächendeckenden Einführung der Funkuhren in den 1990er Jahren.
In Ulm, nur ein paar Kilometer weiter, gründete Philipp Hörz ebenfalls 1862 einen Kirchturmuhrenbetrieb. 150 Jahre lang pflegten die Traditionsfirmen ihre bayerisch-schwäbische Rivalität, bis Hörz 2004 insolvent ging und Pechmann, der seit 1986 das Familienunternehmen führte, auch die Konkurrenzfirma übernahm. Beide Firmen arbeiten weiter eigenständig, Pechmann mit wenigen Mitarbeitern eher regional, Hörz in ganz Deutschland und auch im Ausland.
Bronzeklöppel und Zeigertreibwerke
Obwohl es kaum neue Kirchen gibt, läuft das Geschäft gut. "Wir können uns nicht beklagen", sagt Pechmann. Einen Großteil der Aufträge machen Reparaturen und Restaurierungen aus, gelegentlich werden auch alte Uhren ganz ausgetauscht.
Der Chef selbst ist in beiden Firmen präsent, die Geschäftsführung überlässt er aber ganz seiner Frau. "Ich bin als Handwerker geboren", sagt er, und wer ihm fünf Minuten zuhört, zweifelt daran keine Sekunde. Er schwärmt von Bronzeklöppeln und Zeigertreibwerken, fachsimpelt über Farblegierungen und Blattgoldstärken. Ganz zu sich selbst kommt er in der Schmiede. "Am Abend kann ich mir anschauen, was ich gemacht habe. Man schafft etwas Bleibendes, Sichtbares."
Pechmann stand auf vielen Türmen dieser Republik, dem Ulmer Münster etwa oder dem Perlachturm in Augsburg. "Klar, da sind schon Renommierobjekte dabei. Aber letztlich ist jeder Turm ein Highlight." Nicht die bekannten Namen reizen ihn, sondern die Arbeit in luftigen Höhen. "Das ist die Freiheit da oben. Man arbeitet und ist frei in alle Richtungen - und hat dazu einen Blick, den nicht jeder hat."
Gordian Meinrad Pechmann betreibt sein Handwerk mit Hingabe, doch eigentlich fasziniert ihn die Zeit an sich. Er zeigt auf eine große Uhr an der Wand der Halle. "Da kann man wunderbar sehen, wie die Lebenszeit Sekunde um Sekunde abläuft und die Zeit fortschreitet. Daran lässt sich nichts drehen." Das Ablaufen der Zeit und der Ausblick auf den Tod schrecken den ihn nicht. Pechmann ist gläubig, geht jeden Sonntag in die Kirche - nicht nur, aber auch weil das "in diesem Beruf" dazugehört.
Angst, dass die Zeit für sein Familienunternehmen irgendwann ablaufen könnte, hat Pechmann überhaupt nicht. Trotz Armbanduhren und Smartphones bleibt sein Handwerk zeitlos, denn Turmuhren sind immer noch Blickfang und Orientierungspunkt. Spätestens wenn die Uhren bei ihm in Reparatur sind, vermissen die Leute sie an ihrer Kirche. Und auch die Zukunft des Familienunternehmens ist gesichert: Sein Sohn Andreas, Anfang 30, ist Kirchturmuhrenbauer wie seine Vorväter, eines Tages wird er die Firma übernehmen. Aber bis dahin ist noch Zeit.
Dieser Artikel erschien erstmals im Jahr 2013.