Der Brexit hat das Gemeindefrühstück fest im Griff: Verena und Thomas Jantzen betreuen die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in Schottland und Nordost-England - zurzeit aber wird ihre seelsorgerische Arbeit durch die Politik in Downing Street No. 10 bestimmt. Etwa 4.000 Deutsche leben in der schottischen Hauptstadt, viele wissen nicht, wie es weitergeht, sagt Pfarrerin Verena Jantzen: "In manchen Unternehmen werden nach dem Brexit Arbeitsplätze überflüssig und auch die Drittmittelfinanzierung der Universitäten durch die EU wird sich sicher verändern. Viele unserer Gemeindemitglieder fragen sich, was die langfristige Perspektive im Land sein kann."
Das Pfarrer-Ehepaar ist angestellt bei der Londoner Synode deutscher Sprache. "Im Grunde genommen", sagt Thomas Jantzen, "also ein englisch ansässiger Arbeitgeber." Deswegen könne sich auch für sie nach dem Brexit rechtlich etwas ändern. Ihr Pfarrerstatus ist aber als Entsandte der EKD von Deutschland aus geregelt: "Wir persönlich haben keine Existenzängste. Das unterscheidet uns von unseren Gemeindegliedern, die sehr verunsichert sind."
Eine Grenze durch Schottland und England?
Seit dem missglückten Brexit-Dinner zwischen EU-Kommissionspräsident Juncker und Theresa May Ende April hat die Premierministerin verbal nachgelegt: Juncker werde schon noch mitbekommen, was für eine "bloody difficult woman" sie sei, was für eine "verdammt schwierige Frau", wenn es um die Bedingungen für den Abschied von der EU gehe. Auch im Pfarrhaus in Edinburgh liegen Zeitungen aus, die eine entschlossene Premierministerin auf dem Titelbild zeigen. Der verschärfte Ton zwischen London und Brüssel bestimmt neben den Schlagzeilen auch die Diskussionen in Großbritannien.
Neben Edinburgh sind Verena und Thomas Jantzen in Schottland auch zuständig für Gemeinden in Glasgow und Aberdeen; in Nordostengland sind es Middleborough und Newcastle. Hunderte Kilometer trennen die Gläubigen voneinander. Verena Jantzen sitzt zwischen ihren Kindern auf dem Boden im Pfarrhaus und fährt die Strecken mit dem Finger auf einer Landkarte nach. Bislang ist es problemlos, die Gemeinden anzufahren, denn Schottland und England trennt keine Grenze. Was den Brexit angeht, trennen Schotten und Engländer aber Welten: Nur die wenigsten Schotten sind dafür, sich von der Europäischen Union zu lösen. Viele wollen unabhängig von London werden. Was aber hieße das? Verena Jantzen: "Im schlimmsten Fall eine Grenze durch Schottland und England, wobei das für alle wohl unvorstellbar ist. Denn dann müssten wir über eine Grenze fahren oder gar ein Visum haben." Sie hält ein Unabhängigkeitsreferendum, das nur mit britischer Zustimmung abgehalten werden kann, deshalb auch für fast ausgeschlossen.
"Ich glaube, die englische Regierung hat Angst davor, dass sich die Schotten von ihr trennen", sagt John Dunn. Der 62-Jährige sitzt in seinem schwarzen Taxi in der Nähe der mittelalterlichen Altstadt von Edinburgh. Dunn trägt eine grünkarierte Tweedmütze und spricht mit hartem schottischen Akzent. Er fürchtet, dass nach dem Brexit viele Festlandeuropäer die Insel verlassen werden. Arbeitsplätze in Landwirtschaft, Tourismus und Krankenhäusern blieben dann unbesetzt, weil sich kaum ein Einheimischer dafür finden lasse. Und bereits jetzt habe sich die Stimmung verschlechtert - vor allem im Süden: "Die Engländer scheinen ein wenig fremdenfeindlich zu sein. Sie sind einfach anders als wir. Ich glaube, wir Schotten sind eine Nation, die auch über den Tellerrand hinaus schaut." Dunn fürchtet, dass durch den Brexit auch der Tourismus einbrechen wird. Er zeigt auf sein Smartphone und sagt, man könne doch nicht in technischen Fragen up to date sein und in der Politik die Zeit um dreißig Jahre zurückdrehen.
Ähnlich sieht das auch Pfarrerin Verena Jantzen. Sie hält es für wahrscheinlich, dass viele Brexit-Befürworter auf der Insel gar nicht wissen, wofür sie da gestimmt haben. Die Fischer an der schottischen Nordseeküste etwa würden darauf bauen, dass nach dem Brexit die Fangquoten gestrichen werden: "Das bringt aber keine Fische zurück ins Meer!" Und Mitglieder der indisch-pakistanischen Community hätten den Brexit gewählt in der Hoffnung, dass anstelle neuer Festlandeuropäer endlich ihre Familienmitglieder einreisen dürfen: "Die Gründe waren vielfältig, aber nicht alle zutreffend. Das war keine Debatte mit ehrlichen Fakten."
Ihr Mann Thomas berichtet davon, dass sich vor allem in England das neue Brexit-Selbstbewusstsein auf das Verhalten einiger Menschen auswirke: "Da gibt es verbale Ausfälle. Es kommt vor, wenn jemand deutsch spricht, dass er angeranzt wird - er sei doch hier in England und müsse jetzt englisch sprechen. Wer xenophob war, fühlt sich ermutigt, das jetzt auch zum Ausdruck zu bringen."
Der Brexit-Unsicherheit zum Trotz: Verena und Thomas Jantzen lieben ihre Aufgabe in Großbritannien. Vor allem die Herzlichkeit der Schotten hätte sie sofort begeistert. Zwei ihrer drei Kinder gehen mittlerweile in die Schule in Edinburgh, nur der Jüngste besucht den englischsprachigen Kindergarten, der im Erdgeschoss des Pfarrhauses untergebracht ist. Dass sich fremdenfeindliche Ausfälle gegen ihre Kinder richten könnten - für beide unwahrscheinlich. "Aber Vieles von dem, was jetzt passiert, war eigentlich unvorstellbar", sagt Verena Jantzen, "aber wir erleben die meisten Menschen hier als sehr höflich, freundlich und interessiert."
Christopher Pears ist so ein freundlicher Brite - geboren in England, aufgewachsen und verheiratet in Schottland. Auch wenn er auf Großbritannien nichts kommen lässt - den Brexit hält er für wenig durchdacht. Pears arbeitet als Pfleger in einem Krankenhaus. Vom Arzt bis zur Reinigungskraft kommt der Großteil der Belegschaft vom europäischen Festland. "Wir hoffen alle", sagt der blonde 34Jährige, "dass die auch nach dem Brexit hier in Schottland bleiben dürfen. Denn ohne die Kollegen können wir unser Nationales Gesundheitssystem vergessen." Dennoch hält Pears eine schottische Unabhängigkeit von England für unrealistisch: "Aber Politik ist ein Minenfeld und lässt sich einfach schlecht vorhersagen. Schließlich hätte wohl auch niemand daran gedacht, dass es den Brexit geben würde oder einen US-Präsidenten namens Donald Trump." Aber klar, sagt er, für Schottland wäre es wohl besser, Teil der Europäischen Union zu bleiben. "Für die Zukunft hilft nur Daumendrücken." Das sieht auch Verena Jantzen so. Sie hofft, dass sich ihre Gemeinde nach dem Brexit nicht allzu sehr verkleinern wird. Bereits jetzt würden britische Gemeindemitglieder mit deutschen Ehepartnern einen deutschen Pass beantragen - allein, um weiter einen EU-Bürger-Pass zu haben. Genauso gebe es einen Ansturm von Deutschen auf den britischen Pass. "Keiner weiß", sagt Pfarrer Thomas Jantzen "was durch den Brexit kommen wird."