Ahmads Kinder sind drei und sieben Jahre alt. Sie wachsen in Kandahar auf. Das liegt an der Grenze zu Pakistan und ist eine Hochburg der Taliban - wieder, seit die US-Amerikaner im Jahr 2014 abgezogen sind. Ahmad hatte seit dem Jahr 2006 für USAID gearbeitet, der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung, die der Regierung untersteht und Infrastruktur und Schulen wieder aufbaut. Ahmad hatte sich dort beworben, weil sein Vater ihn dazu ermutigt hatte. Er dolmetschte und half bei der Logistik. Ahmad und seine Familie waren glücklich, sie dachten: Das ist unsere Chance. Nun haben wir eine Zukunft.
Doch seit die Amerikaner weg sind, gehört Kandahar wieder den Taliban und die Frauen dürfen ihre Häuser und Wohnungen nur komplett verschleiert verlassen. Eine Unterbehörde der USAID, das Office for Public Safety, wurde bis zu seiner Schließung in den 1970er Jahre von der CIA betrieben und wurde beschuldigt, als Tarnmantel für geheime CIA-Operationen in Asien und Südamerika gedient zu haben. Aus Sicht der Taliban hatte Ahmad einen Arbeitgeber, der ihn verdächtig macht. Sie macht ihn zum Verräter und Feind der Taliban. Ahmad bekam Morddrohungen. Er floh mit seiner Frau und zuerst einem Kind nach Pakistan. Aber auch dort waren seine Familie und er nicht sicher. Seinetwegen. Denn Quetta, wo sie Asyl bekamen, ist ebenfalls eine Taliban-Hochburg. Sie flohen wieder. Ahmad brachte seine Frau, mit den inzwischen zwei Kindern, nach Kandahar zu ihren Eltern. Um seine Familie zu schützen, floh er weiter. Ahmad gelangte nach Deutschland. Er kam in eine Erstaufnahemeinrichtung, eine Turnhalle in Oberursel.
Ahmads älterer Sohn kann nicht zur Schule gehen; es gibt keine in seiner Nähe und weite Schulwege sind gefährlich. Vor einigen Wochen wurde der Cousin von Ahmads Frau erschossen. Ein Bekannter habe ihn umarmt und ihm von hinten in den Kopf geschossen. Ahmad schüttelt den braunen Lockenkopf als er davon erzählt. Seine Augen blicken trübe und traurig. Hoffnungslos. Ahmad sitzt in Frankfurt in einem Büro von Berami. Ein Verein, der Asylbewerbern hilft, das Ausbildungssystem in Deutschland zu verstehen.
Ahmad, der 32 Jahre alt ist, macht seit November 2016 ein Praktikum beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Nun besucht er noch einen Fortbildungskurs als Rettungs-Assistent. Seit er im Jahr 2014 in Deutschland ankam, hat er in Oberursel in einer Turnhalle gewohnt, er hat Familien, Kinder und Erwachsene zu Ämtern begleitet, zum Arzt, in die Schule oder den Kindergarten - weil er viele Sprachen spricht: dari, pashtu, farsi, urdu, englisch und nun auch ein bisschen deutsch. Er hat das gerne gemacht. Er hat dafür kein Geld bekommen.
Ahmad weint, wenn er an seine Frau und an seine Kinder denkt. Sie nennt ihn Naveen, ein beliebter Name aus Bollywood-Filmen, die sie so gerne sieht. Naveen bedeutet einzigartig.
Ahmad darf abgeschoben werden
Anfang Mai 2017 hat Ahmad, nach fast drei Jahren in Deutschland, nun einen negativen Bescheid der Ausländerbehörde bekommen. Christine Doll, die Ahmad in der Turnhalle in Oberursel kennengelernt hat, weil sie dort deutsch unterrichtet hat und nun eine Freundin ist, hat ihn zur Anhörung begleitet. Gleich nach dem Gespräch bekam er gesagt, dass er seine Geschichte mit versteinerter Miene vorgetragen hätte und deswegen nicht glaubwürdig sei. Viel zu wenig emotional sei er gewesen und zudem viel zu detailliert in seiner Geschichte, erzählt Christine Doll. "Die Vorgabe lautet also: knapp und emotional. Kann das denn sein? Geht nicht jeder anders mit traumatischen Erlebnissen um?"
Im Jahr 2016 hatte die Bundesregierung Afghanistan für ein teilweise sicheres Land erklärt, in dass der Staat die Menschen zurückschicken könne - trotz eines anders lautenden Berichts des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Im Dezember 2016 begannen die Sammelabschiebungen. Elf Bundesländer schieben ab, fünf Bundeländer weigern sich, weshalb Bundesinnenminister Thomas de Maizière sie dafür rügt. Hessen gehört nicht dazu: Ahmad darf abgeschoben werden. Nach Einschätzungen von Menschen, die sich mit der Region auskennen, dazu gehört auch das UNHCR, ist es besonders für die Rückkehrer in Afhganistan gefährlich. Sie stehen für die Taliban unter Generalverdacht.
Ende Mai explodierte in Kabuls Diplomatenviertel eine Bombe, die mehr als 150 Menschen tötete. Kabul gehört, obwohl dort jeden Monat dieses Jahres bereits Menschen durch Bomben gestorben sind, zu den vom Bundesinnenminister für sicher deklarierten Orten in Afghanistan. Der besonders verheerende Anschlag am 31. Mai 2017 veranlasste die Bundesregierung aber dann doch dazu, die Abschiebungen nach Afghanistan, die für den Folgetag geplant waren, erst zu verschieben und dann vorerst ganz auszusetzen. Ende Juni 2017 hat das Bundesinnenministerium wieder Abschiebungen angesetzt, die das Auswärtige Amt stoppte - die Botschaft in Kabul hatte gemeldet, sie sei nach dem schlimmen Anschlag vor knapp einem Monat noch nicht in der Lage die Menschen zu empfangen.
Deshalb sind Ahmad und seine drei Mitbewohner, ebenfalls Afghanen, noch da. Geduldet. Ahmad sitzt da, in seinem blassgrünen Wollpullover fallen die Schultern nach vorne, die Hände halten sich gegenseitig gefaltet im Schoß auf seiner beigefarbenen Hose. Die Klamotten hat er vor über einem Jahr bei der Kleiderausgabe in der Turnhalle bekommen, wo er Christine Doll kennengelernt hat und Frank Müller, der ebenfalls als Helfer in der Turnhalle in Oberursel begann. Die beiden helfen Ahmad viel - auch bei seiner Klage gegen die Abschiebung. Mitte Juni 2017 war Frank Müller zusammen mit Ahmad bei einem Rechtsanwalt in Frankfurt, der viele abgelehnte Aslybewerber zu seinen Klienten zählt.
"Ahmads Klage hat die Nummer viertausendirgendwas", sagt Frank Müller. Der Anwalt habe empfohlen, dass Ahmad selbst und auf deutsch mit dem zuständigen Richter bei der Verhandlung sprechen solle. Das käme gut an, habe der Anwalt gesagt. Bis es zur Verhandlung kommt, kann es allerdings dauern. Ob Ahmad dann die richtigen Worte im gewünschten emotionalen Duktus findet, und nicht wieder als unglaubwürdig gilt? Ahmad hat bereits drei Jahre des Lebens seiner Kinder verpasst, in der Hoffnung, dass er für sie eine Zukunft gewinnen kann; doch möglicherweise kehrt er bald heim, als geschlagener Mann, den die Hoffnungslosigkeit und der Tod erwarten. Ahmad sitzt in einer Warteschleife. Doch Naveen bleibt in seinem Herzen stark.
Im Januar 2018 hat Ahmad eine Absage für seinen Asylantrag bekommen. Bis zum 15. Februar 2018 hat er Zeit, Deutschland zu verlassen. Er geht nun in die USA, dort hat er ein zeitlich begrenztes Visum erhalten. Er darf seine Familie nachholen.