Schild mit "Wolkenstein im Erzgebirge"
Foto: Johannes Süßmann
Wolkenstein liegt nur wenige Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt.
Beim Mundartgottesdienst sind die Kirchen voll
An Weihnachten sind die Kirchen im Erzgebirge voll. Aber nicht nur dann. Auch bei den Gottesdiensten auf erzgebirgisch von Pfarrer Dietmar Soltau sind alle Plätze belegt. In 30 Gemeinden der Region hat er solche Gottesdienste schon abgehalten und viele Kollegen eifern ihm nach. Eine Erfolgsgeschichte, mit der der Pfarrer selbst niemals gerechnet hätte.

Eine Fahrt ins Erzgebirge. Geithain und Flöha heißen die Bahnstationen, Warmbad und Niederwiesa. Hinter Chemnitz wird es langsam hügeliger, in sanften, sattgrünen Wellen wogt die Landschaft am Fenster vorbei. Wer in Wilischthal aussteigen will, muss die Haltewunschtaste betätigen. Ausstieg in Wolkenstein, knapp 4.000 Einwohner, 25 Kilometer bis zur tschechischen Grenze, und weiter in den Ortsteil Schönbrunn.

Ganz am Ende des idyllisch gelegenen Dorfs steht sie: die Dorfkirche Schönbrunn. Hier nahm am Pfingstsonntag 1994 etwas seinen Anfang, das es in der Region zu einiger Berühmtheit gebracht hat.

Die Dorfkirche Schönbrunn, einem Ortsteil von Wolkenstein.

Gegenüber der Schönbrunner Kirche erhebt sich in der Frühlingssonne das Pfarrhaus, ein geräumiger, gemütlicher Bau von 1784 mit steilem Dach und dunklen Schindeln. Hier empfängt Dietmar Soltau. Bis 2007 war er Pfarrer der Gemeinde Schönbrunn und des benachbarten Dörfchens Falkenbach – ein Umstand, der die Randlage der Kirche im Ort erklärt. Weil die Pfarrstelle heute bestensfalls noch eine halbe ist, wohnt der 69-Jährige mit seiner Frau bis heute im Pfarrhaus.

Soltau ist Erfinder. Denn er hat Gottesdienste in sächsischer Mundart in seiner Heimat etabliert. Dass es dazu kam, hat maßgeblich mit seinem Namen zu tun. Soltaus Familiengeschichte reicht zurück nach Niedersachsen. Um dem nachzugehen, reiste er Ende der 80er Jahre nach – genau, Soltau in Niedersachsen, und erlebte dort einen Mundartgottesdienst auf Plattdeutsch. "Ich habe dort nicht viel verstanden", gibt Soltau zu. Doch er ist so fasziniert, dass er den Entschluss fasst, die Idee ins Erzgebirge zu exportieren. Am 22. Mai 1994 ist es so weit: In der Dorfkirche Schönbrunn wird der erste Gottesdienst in erzgebirgischer Mundart gefeiert.

Das Vaterunser einmal anders.

Seither findet in Schönbrunn jedes Jahr ein Mundargottesdienst statt. "Die Kirche ist dann so voll wie sonst nur an Weihnachten", sagt Pfarrer Michael Ahner, der die Jugendarbeit im Kirchenbezirk betreut. In rund 30 Gemeinden der Region hat Soltau seine Gottesdienste inzwischen gehalten; er hat Kollegen angestachelt, die ihm nacheifern und nun selbst regelmäßig in Mundart predigen, aktiv mitarbeiten und Liedertexte, Gebete und Fürbitten ins Erzgebirgische übertragen. "Dass das so gut ankommt, hätte ich nie gedacht", sagt Soltau.

Pfarrer Dietmar Soltau hat ehrgeizige Ziele

Soltau hat sich alles selbst erarbeitet. Es gibt kaum Materialien, auch keine Bibelübertragung in Mundart, wie zum Beispiel in manchen Regionen Bayerns. Zwar fällt ihm irgendwann eine sächsische Übertragung des Lukasevangeliums in die Hände. "Aber die war auch schon von 1928." Und so hält er in den ersten Gottesdiensten nur die Predigt in Mundart. "Das war auch mein unbedingter Ehrgeiz", erzählt Soltau. Alles andere ist zunächst noch auf Hochdeutsch, "aber das hat mir zunehmend nicht mehr gefallen."

Die Geschichte vom verlorenen Sohn.

Musikalisch orientiert sich Soltau zunächst an erzgebirgischen Komponisten und Textern, die sich auch im Gesangbuch finden: Tobias Clausnitzer, Gottfried Arnold, Andreas Kramer. Nach und nach beginnt er, ihre Lieder ins Erzgebirgische zu übersetzen. Etwa 20 hat er heute beisammen, und jedes Jahr soll möglichst ein neues dazukommen. Anfangs half ihm sein eigener Wortschatz.

Dieses Wörterbuch hilft Dietmar Soltau bei der Arbeit.
"Nach der Wende ist dann ein kleines Wörterbüchlein herausgekommen", erzählt Soltau. Zur musikalischen Begleitung gewinnt er ein auch kirchlich verwurzeltes Duo. Als die beiden zu alt werden, wendet er sich an eine Musikgruppe aus dem nahegelgenen Drebach. Diese Zusammenarbeit sei wichtig und funktioniere sehr gut, sagt Soltau. "Ich bin dankbar, dass das so klappt."

Seit 2002 sind alle Elemente der Mundartgottesdienste auf Erzgebirgisch – außer die Liturgie. Die zu übertragen, habe er nicht gewagt, sagt Soltau. "Ich hatte den Eindruck, das packe ich nicht, das passt da nicht dazu", sagt er. Und bevor er in den Mundartgottesdiensten etwas auf Hochdeutsch mache, lasse er es lieber ganz weg. Die Predigt jedoch, die Lieder, die Gebete und Lesungen – alles auf Erzgebirgisch.

Bei manchen Kollegen stoße das durchaus auf Kritik, berichtet Soltau. Ihre Haltung: Mundart gehöre nicht in die Kirche. Soltau aber fühlt sich bei seinen "Übersetzungen" durchaus frei. "Ich sehe das nicht als biblische Verunstaltung oder so. Wenn wir schon unsere Muttersprache sprechen, dann sollte das auch nicht so festgelegt sein." Außerdem seien die Gottesdienste ja nur einmal im Jahr.

Mit seinen Verschriftlichungen von Bibelstellen und Liedern im Dialekt tun sich auch manche Gottesdienstbesucher gar nicht so leicht. Es fehlt schlicht die Gewohnheit, dem tagtäglich Gehörten in Textform zu begegnen. "Aber die kommen dann schon rein", erzählt der Pfarrer. Und singen fleißig mit.

Dietmar Soltau versteht sich in gewisser Weise als Bewahrer eines Kulturgutes.

Insgesamt sei die Mundart durchaus noch weit verbreitet im Erzgebirge – auch in der jüngeren Generation. Aber wie andernorts auch, lasse das natürlich nach, weshalb sich der Pfarrer heute in gewisser Weise auch als Bewahrer eines Kulturguts versteht. Regelmäßige Mundarttage mit speziellem Programm für Kinder und Jugendliche, Wettbewerbe, Brauchtumsgruppen, zum Teil auch Mundartangebote in der Schule – "das, finde ich, sind positive Zeichen", sagt Soltau.

Zwei bis drei Monate Vorbereitungszeit

Für den Mundartgottesdienst hat er im vergangenen Jahr auch erstmals eine Konfirmandin gewonnen. Ansonsten kann er auf eine Stamm von rund einem halben Dutzend Frauen zählen, die ihn bei der Gottesdienstgestaltung unterstützen – in Tracht. Die Hauptarbeit aber hat er selbst.

Es ist Soltaus Ehrgeiz, nicht zweimal den gleichen Gottesdienst zu halten – und so hat er das Kirchenjahr inzwischen durch. "Ich habe mit den Festen angefangen, Pfingsten, Ostern, Weihnachten; aber das ist natürlich irgendwann erschöpft." Und so nimmt die Vorbereitung des nächsten Gottesdienstes jedes Jahr aufs Neue zwei bis drei Monate in Anspruch.

Klar, mit dem Angebot mache er die Kirchen voll, freut sich Pfarrer Soltau. Ob das denn nicht ein Gund wäre, sie öfter anzubieten? Nun, sagt der Mundartpfarrer, zum einen zögen die Veranstaltungen eben auch ein bestimmtes Klienel an; viele Leute reisten extra an. Zum anderen aber sei der Aufwand schlicht zu groß. "Ich schaff’s einfach nicht häufiger", sagt Soltau.

Außerdem sei er noch in vielen anderen Gemeindegruppen und –kreisen aktiv, übernehme diverse Dienste. Und dann steht kommendes Jahr auch noch die 300-Jahr-Feier der Dorfkirche an. Da habe er sich breitschlagen lassen, eine Festschrift zu erarbeiten."Das ist auch nochmal ein großer Berg Arbeit." Aber wer weiß, vielleicht erscheint ja auch eine Fassung in Mundart.

Das Vaterunser verbindet weltweit mehr als zwei Milliarden Christen und wird in Tausenden Sprachen und Dialekten gesprochen. Mindestens 500 davon will evangelisch.de zum Reformationsjubiläum 2017 sammeln. Die Vaterunser-Aktion ist eins von mehreren Projekten ("Challenges") im Rahmen der Mitmachkampagne  #reformaction2017. Unter dem Motto "Gemeinsam Großes bewegen" bringt sie Menschen zusammen und zeigt, dass Glaube bewegt und verbindet. Gemeinden, kirchliche Gruppen und Einzelpersonen können auf reformaction2017.de eigene Challenge-Ideen einreichen oder sich an anderen Challenges beteiligen.