Die bayrischen Grußformeln mochte ich schon, bevor ich hier wohnte. Griaß di! Pfiat di! Das klingt nicht nur schön, es enthält auch Segen. Grüß dich Gott, heißt die erste ganz und auf Hochdeutsch. Und die andere: Behüt dich Gott. Im Plural geht es auch. Ebenso in der Siez-Form.
Dann gibt es Grußformeln (nicht nur in Bayern), die sind ein Gebet. "Gegrüßest seist du, Maria", ist eines davon. Es gehört zum Rosenkranz. Vollständig lautet es: Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, / der Herr ist mit dir, / du bist gebenedeit unter den Frauen, / und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. / Heilige Maria, Mutter Gottes, / bitte für uns Sünder / jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
Es ist ein seltsames Gebet. Erst der Gruß mit den Seligpreisungen (gebenedeit heißt gesegnet), dann das Gesuch, für uns zu bitten. Wozu der Umweg? Ich kann doch selbst mit Gott reden, ich kann zu ihm beten, ihn anflehen, ihn loben, ihn verfluchen - was auch immer. Muss ich, jetzt und in der Stunde meines Todes, Maria bitten, Gott für mich anzurufen? Natürlich nicht. Der direkte Draht zu Gott ist niemandem verwehrt.
Das ändert nichts an meiner Sympathie für Maria. Auch wenn mir der Rosenkranz als Neukatholikin fremd blieb.
Bis ich kürzlich in St. Ottilien war, um zu lernen, wie man eine Ikone malt (es heißt tatsächlich malen und nicht schreiben, aber das ist eine andere Geschichte). Ich hatte keine Ahnung, ob ich das kann, aber das war mir egal. Mich reizte der Zugang zum Glauben, die neue Gotteserfahrung, die ich mir erhoffte, ist Gott doch viel mehr, als ich ausdrücken kann. Gott ist im Wort, deshalb schreibe ich gern, auch wenn es immer Stückwerk bleibt. Gott ist in der Musik, darum singe ich gern, die Schöpfung, den Elias, all die großen Werke, die sich um ihn ranken. Gott ist in der Natur, weshalb es mich oft nach draußen zieht. Und: Gott ist in der Kunst. Man schaue sich in Kirchen um oder Werke großer Künstler an, wie zum Beispiel die Darstellung der „Berufung des Paulus“ von Caravaggio, versteckt in einer Seitenkapelle der Santa Maria del Popolo in Rom.
Nun bin ich gewiss keine große Künstlerin. Aber ich wollte sehen, was passiert, wenn ich mich Gott einmal gestalterisch nähere, mit Pinsel und Schmirgelpapier, mit Eigelb und vielen Farben. Wie die anderen drei Anfängerinnen des Kurses bekam ich als Ikonenvorlage: die Muttergottes.
Anfangs dachte ich, wie anmaßend es ist, sie auf Holz bannen zu wollen. Doch im Kloster verschwanden meine Bedenken im Nu. Mit jedem Tag und jedem Pinselstrich und auch mit jedem Gottesdienst wurde mir Maria vertrauter. Es war wie ein langsam intensiver werdendes Gespräch zwischen uns. Es war: beten. Gegrüßet seist du, Maria …, du Gesegnete.
Am letzten Tag gingen ein paar von uns zur Klosterpforte. Dort versah ein alter Mönch behutsam und mit großer Liebe die Rückseite der Ikonen mit dem Pilgersiegel von St. Ottilien. Beglückender hätte die Zeit nicht enden können.
Nun hängt die Ikone bei mir an der Wand. Jeden Morgen bleibe ich vor ihr stehen, schaue auf das liebe Gesicht und bete: Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, / der Herr ist mit dir, / du bist gebenedeit unter den Frauen, / und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. / Heilige Maria, Mutter Gottes, / bitte für uns Sünder / jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
Und der Tag beginnt, behütet und geschützt. Bis ich am Abend zu ihr sage: Pfiat di, Maria. Behüt dich Gott.