Zwei rechts, zwei links, bloß nichts fallen lassen! Hinter dem Ladenfenster der Wittenberger "These 62" sitzen vier Frauen und ein Mann wie meditierend um einen kleinen Tisch. Im Schoß haben sie farbige Wollknäuel liegen, deren Fäden sich um Finger und Nadeln winden. Zu ihren Füßen bedecken bunte Schals den dunklen Fliesenboden wie ein riesiger Flickenteppich.
Sie sind alle etwa 20 Jahre alt, kommen aus ganz Deutschland und machen in der Lutherstadt ihren Bundesfreiwilligendienst. "Die Stricker vom Reformationsjubiläum" nennen sich die Volontäre des Vereins r2017. Mit Plakaten luden sie unter diesem Motto Wollfreunde in das überkonfessionelle Begegnungszentrum ein. Jeden Freitag haben sie sich in den vergangenen Wochen dort, schräg gegenüber der Schlosskirche, getroffen.
"Die Idee war, dass alle mitmachen können, deswegen sind wir auch hier in der Innenstadt", erklärt Julia Kießig, die das Projekt der "WOLLunteers" leitet. Manchmal seien interessierte Passanten hereingekommen, hätten Wollspenden oder fertig gestrickte Schals dagelassen. Ob sie dann auch wirklich mitgestrickt haben, sei gar nicht wichtig. "Es ging uns darum, für die Wittenberger präsent zu sein und Berührungsängste zwischen den Generationen abzubauen", sagt Kießig.
Insgesamt 200 Volunteers beschäftigt der Verein Reformationsjubiläum 2017, das sind etwa doppelt so viele wie hauptamtliche Mitarbeiter "und die Volunteers rocken ziemlich viel", so Leiterin Kießig. Die Idee für das Strick-Projekt sei auf Initiative der jungen Menschen entstanden. Fabian macht mit, "weil ich meiner Oma zeigen wollte, dass ich stricken kann wie sie". Jasmin findet in der Handarbeit Entspannung: "Ich stricke auch erst seit einem Jahr, aber den meisten anderen konnte ich beibringen, wie das mit dem Maschenaufnehmen und Rechtsstricken funktioniert", sagt sie.
Das Einstricken von Straßenschildern, Bäumen oder Brücken wird auch als "Urban Knitting", "Guerilla-Stricken" oder "Strick Graffiti" bezeichnet. "Es ist aber keine schnelle Kunst wie gesprayte Graffitti", betont Julia Kießig. Stricken brauche Zeit und mache etwas mit dem Gehirn: "Wir haben dabei viele Gespräche geführt - über Belangloses, aber auch Superwichtiges."
Die beiden Laternenpfähle vor der berühmten Thesentür an der Schlosskirche sorgen bereits für "schöne Irritationsmomente", wie Kießig sie nennt. Kleine, wollige Hingucker wie diese seien aber nur der Vorgeschmack für die Enthüllung eines großen Strickwerkes am Hauptbahnhof. Was die Betrachter dann genau erwartet, verraten die "WOLLunteers" vorab allerdings nicht. Sie hüten ihr Geheimnis bis zum letzten Moment. Rund 600 Verwandte und Freunde der Volontäre sollen am Samstag zu deren Bergfest nach Wittenberg kommen, heißt es. Dann, so Kießig, werde die Strick-AG ihren Beitrag zum Reformationsgeburtstag installieren. "Und den wird mit Sicherheit jeder sehen, der mit dem Zug nach Wittenberg kommt".