Liebe Fastengemeinde,
ich hoffe, dass Sie bereits eine gute Zeit hatten mit dem Verzicht auf „sofort“. Wenn es darum geht, sich „in Geduld zu üben“, empfinden wir das häufig als ausgesprochen anspruchsvoll. Trotzdem gilt auch in dieser Hinsicht: Lassen Sie sich Zeit! Sie müssen nicht von heute auf morgen zu einer vollkommen ausgeglichenen und ruhigen Person werden, die sich durch gar nichts mehr aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Bremsen Sie lieber langsam.
Die Bibelstelle für diese Woche präsentiert uns zwei Prototypen für den Umgang mit der Zeit. Die Schwestern Maria und Marta scheinen, als hätten sie Schilder mit Sinnsprüchen über ihren Köpfen. Auf Martas Schild scheint zu stehen: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ Über Maria ist scheinbar zu lesen: „Nutze den Tag!“ Man kann für beide Schwestern ohne Mühe Sympathie empfinden: Marta hat Jesus eingeladen und macht sich anscheinend für ihren Gast entsprechende Mühe. Gastfreundschaft ist ein hohes Gut, und wer würde eine freundliche und aufmerksame Gastgeberin nicht mögen! Maria ist ebenfalls aufmerksam, nur in einer anderen Weise. Sie hört dem Gast zu. Vermutlich lächelt sie ihn an, lacht, wenn er einen Scherz macht, und schaut ernst, wenn er es tut. Wer würde sich nicht über eine freundliche und aufmerksame Gastgeberin freuen! Im Grunde genommen scheinen die beiden eher zwei Seiten derselben freundlichen Gastgeberin zu sein, anstatt zwei unterschiedliche.Der Besuch Jesu hätte wunderbar harmonisch verlaufen können. Aber anscheinend haben sich Marta und Maria nicht vorher über ihre Rollen verständigt. Marta ist der Ansicht, dass ihre Schwester als Gastgeberin ihren Pflichten nicht nachkommt. Vielleicht ist sie auch einfach neidisch, dass sie nicht auch bei Jesus sitzen kann. Auf jeden Fall beschwert sie sich bei ihm, und in diesem Moment beginnen wir als Publikum dieser Szene, uns auf die Seite der einen oder der anderen Frau zu stellen. Unsere Sympathie für Marta oder Maria kann davon abhängen, welche Werte wir vermittelt bekommen haben, aber auch davon, was unser eigenes Leben uns gerade beschert. So kann ich nach einer anstrengenden Woche erschöpft sein, und darum mehr Maria- als Marta-Anteile in mir spüren. Oder ich ärgere mich selbst gerade darüber, dass ich die Arbeit anderer machen muss. Dann spüre ich den Ärger der Marta. Jesus tut in der Geschichte allerdings nichts, um die beiden Schwestern zu versöhnen. Stattdessen schlägt er sich klar auf die Seite von Maria. Wer bis hierhin bereits mit Marta sympathisierte, wird vielleicht an dieser Stelle erst recht zornig sein und wird die Worte Jesu als Zurechtweisung empfinden.
Das Motto dieser Woche entspricht dem, was Jesus zu Marta sagt: „Nicht gleich losschaffen!“ Nur, dass Jesus es positiv formuliert: „Maria hat das gute Teil gewählt.“ Ob Jesus sich wohl beschwert hätte, wenn beide Schwestern sich ihm zu Füßen gesetzt und ihm zugehört hätten? Darüber lässt sich nur spekulieren, aber es ist eine interessante Spekulation, die vielleicht dabei hilft zu verstehen, was Jesus denn meint mit dem „guten Teil“, das Maria gewählt hat. Ich kann mir vorstellen, dass Jesus sich gefreut hätte, wenn beide Schwestern ihm einfach zugehört hätten. Seine Botschaft war für Jesus schließlich das Allerwichtigste. Wenn ihm irgendwann der Magen geknurrt hätte, wäre er bestimmt so freundlich gewesen, um etwas zu essen zu bitten. Und dann – so stelle ich es mir vor – wäre Maria bestimmt ganz von allein auf die Idee gekommen, mitzuhelfen. Vielleicht hätte sogar Jesus selbst mit angefasst. Aber, wie gesagt, das ist reine Spekulation.
Darum lautet mein Vorschlag für Sie in der kommenden Woche: Schaffen Sie sich Momente, in denen Sie sich fragen, ob das, was Sie gerade tun, das Richtige ist. Dazu sollten Sie sich einen Wecker stellen, der Ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt des nächsten Tages ein Signal gibt. Am besten nutzen Sie Ihr Handy dafür, weil sie das leicht bei sich tragen können. Sie selbst bestimmen, wann dieser Zeitpunkt sein soll. Suchen Sie sich am besten einen Moment aus, an dem Sie voraussichtlich nicht beruflich arbeiten werden. Wenn dann der Wecker klingelt, unterbrechen Sie, was Sie gerade tun – egal, was es ist. Fragen Sie sich: Welche Alternative gibt es zu dem, was ich gerade mache? Habe ich das „gute Teil“ gewählt? Tu ich das Richtige? Wenn Sie der Überzeugung sind, dass Sie das Richtige tun, dann stellen Sie Ihren Wecker für den nächsten Tag neu, und machen Sie einfach weiter. Wenn Sie merken, dass Sie eigentlich etwas anderes tun könnten und sollten, dann tun Sie das! Und stellen Sie sich auch in diesem Fall den Wecker neu für den kommenden Tag.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche mit vielen Unterbrechungen. Entdecken Sie immer wieder, was gerade dran ist!
Herzliche Grüße!
Ihr Frank Muchlinsky