Wer hat an der Uhr gedreht? Ungeduld, Hast und Rastlosigkeit scheinen zunehmend den Alltag zu beherrschen. Viele haben so viel zu tun, dass die wichtigen Dinge im Leben oft auf der Strecke bleiben - "Stopp!" ruft die evangelische Kirche mit ihrer Fastenaktion "7 Wochen Ohne". Zwischen Aschermittwoch (1. März) und Ostersonntag (16. April) sollen sich Teilnehmer im Innehalten, Nachdenken und der Kunst der Pause üben.
Tatsächlich müssen immer mehr Menschen immer mehr Dinge in knapp bemessenen Zeit unterbringen. Allerlei digitales Gerät hat sich als Zeitfresser breitgemacht, vom Smartphone bis zum Tablet, Facebook und Twitter fordern Aufmerksamkeit. Daher, mahnt die Aktion "7 Wochen Ohne", müssen Momente zum Innehalten in den Alltag eingebaut werden.
Gerade was die sozialen Netzwerke angeht, heißt es: "Global vernetzt und ganztägig online, sind wir mit Kommentaren, Antworten, Sprüchen schnell zur Stelle. Da geraten auch grobe Worte und grober Unfug in Umlauf. Besser wäre: kurz innehalten, abwägen und 'erbauliche' Worte suchen." Sie finde es großartig, in einem Land zu leben, in dem wir Kritik üben dürfen, meint die Theologin Margot Käßmann in einem Beitrag für den Fastenkalender. "Aber im Internet herumzupöbeln und andere zu beschimpfen, ist etwas ganz anderes", schreibt die Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Die diesjährige Fastenaktion sei eine "Kur der Entschleunigung", betont Arnd Brummer, Geschäftsführer von "7 Wochen Ohne": "Die Ungeduld gilt als ein Symbol der Moderne. Man darf vieles verlieren - nur nicht die Zeit." Seit mehr als 30 Jahren nehmen nach Angaben der Veranstalter Millionen Menschen an "7 Wochen Ohne" teil. Die Themen für die sieben Wochen lauten in diesem Jahr unter anderem: "Nicht sofort entscheiden", "Nicht sofort lospoltern" oder "Nicht sofort aufgeben." Die erste Woche steht unter dem Motiv "Alles hat seine Zeit", aus dem Buch des Predigers im Alten Testament, einer Sammlung von Weisheitssprüchen.
"Wir leben in einer aufgeregten, hektischen Welt", sagte die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Menschen reagieren sehr schnell, manchmal, ohne sich und anderen die nötige Zeit zum Nachdenken zu gönnen. Es tut uns gut, es ist menschlicher, wenn wir immer wieder innehalten, uns besinnen und überlegen, was wir sagen oder tun." Die evangelische Theologin, die den Vorsitz im Kuratorium der Fastenaktion innehat, predigt zur Eröffnung am 5. März in einem Gottesdienst in Frankfurt am Main. Das ZDF überträgt live.
Selbst Gott hat laut Bibel bei der Erschaffung der Welt am siebten Tag eine Pause eingelegt. Und inzwischen raten Psychologen, Philosophen und Managementtrainer zum Innehalten - oder dazu, eine Zeit lang absolut nichts zu tun. Wer das eine Weile durchhält, soll so ein Gespür für die wirklich wichtigen Dinge im Leben bekommen. Und hinterher seine Ziele mit weniger Aufwand erreichen.
Doch Nichtstun ist in der westlichen Kultur als Müßiggang oder Faulenzen verpönt. Viele fühlen sich schuldig, wenn sie nicht wenigstens irgendetwas tun. Dem hält der Theologe und Schriftsteller Fulbert Steffensky entgegen: "Zu einem guten Arbeiter gehört es, dass er aufhören kann zu arbeiten, und dass er keine Angst vor der Ruhe hat. Es gibt eine Emsigkeit, die nur getarnte Faulheit ist. Ich misstraue dem Fleiß derer, die ewig betonen, sie hätten keine Zeit", etwa für Musik, oder für ein Buch, heißt es in einem Beitrag des 83-Jährigen für den "7 Wochen Ohne"-Kalender.
Die Fastenaktion der Protestanten empfiehlt gestressten Zeitgenossen zudem, nicht sofort zu entscheiden, nicht sofort auf alles zu reagieren: "Gute Lösungen brauchen Zeit", heißt es im Begleitkalender der edition chrismon. Der Geist brauche Lücken und Unterbrechungen im Alltag, damit er Atem holen kann. "Besinnung ist ein Moment der Weisheit. Sie schützt unsere Freiheit und sie schützt andere vor uns selbst", betont Steffensky.
Für Breit-Keßler sind die Themen Entschleunigung und mehr Bewusstheit Teil des biblischen Erbes: "Achtsamkeit, Besinnung und stellenweise Zurückhaltung sind geradezu typisch für das, was in der Bibel von Jesus berichtet wird", erklärt die Theologin und Buchautorin: "Bevor er agiert, zwischendurch und nach seinen Predigten und Taten verzichtet er auf ein besinnungsloses Sofort - und setzt dem ein geistliches, kluges 'Augenblick mal' entgegen."