In Deutschland leben derzeit rund 48.000 Mädchen und Frauen, die Opfer von Genitalverstümmelung wurden. Das geht aus einer vom Bundesfamilienministerium geförderten Studie hervor, die am Montag in Berlin veröffentlicht wurde. Die Autoren sehen bis zu 5.700 Mädchen in Deutschland akut bedroht, andere Schätzungen gehen von mehr als 9.000 gefährdeten Mädchen aus. Die Bundesregierung setzt verstärkt auf Prävention und Strafverfolgung. Ein weltweites Verbot der grausamen Praxis fordern die Vereinten Nationen.
Laut Studie stammen die in Deutschland lebenden Betroffenen vor allem aus Eritrea, Somalia, Ägypten, Äthiopien und dem Irak. Durch die Zuwanderung ist zudem die Zahl der Mädchen und Frauen aus Ländern, in denen Genitalverstümmelung weit verbreitet ist, von Ende 2014 bis Mitte 2016 um 40 Prozent gestiegen. Die Zahl der Betroffenen in Deutschland hat sich seit 2014 um rund 30 Prozent erhöht.
Vor allem in den Großstädten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln und München leben Migrantinnen aus Bevölkerungsgruppen, in denen Genitalverstümmelung praktiziert wird. In welchem Alter die Mädchen derart beschnitten werden, ist unklar. Bei manchen findet der brutale Eingriff im Alter von drei bis vier Monaten statt, bei anderen erst im Teenageralter. Die Studie wurde von Integra, der Dachorganisation von Nichtregierungsorganisationen gegen Genitalverstümmelung, in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Ramboll Management Consulting erstellt.
Der Staatssekretär im Familienministerium, Ralf Kleindiek, verurteilte die Verstümmelung weiblicher Genitalien als schwere Menschenrechtsverletzung. Die Studie zeige, dass das Thema auch in Deutschland hochaktuell sei. Man müsse mit Aufklärung, Prävention und Strafverfolgung reagieren und alles dafür tun, dass das furchtbare Verbrechen verhindert werde.
Kleindiek stellte die Studie gemeinsam mit der Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" vor. Die Bundesgeschäftsführerin der Organisation, Christa Stolle, wies darauf hin, dass Gesetze allein nicht ausreichten, um Genitalverstümmelung zu verhindern. "Terre des Femmes" beteiligt sich unter anderem am Projekt "Change Plus". Über das Programm werden sogenannte "Change Agents" ausgebildet, die in den Bevölkerungsgruppen, in denen Genitalverstümmelung verbreitet ist, über die Folgen aufklären.
Drei Millionen Mädchen pro Jahr betroffen
Nach deutschem Recht ist auch die im Ausland vorgenommene Genitalverstümmelung strafbar. Zudem werden sogenannte "Ferienbeschneidungen" verstärkt geahndet. Wer mit Mädchen oder Frauen ins Ausland reisen will, um dort eine Genitalverstümmelung vornehmen zu lassen, dem droht künftig der Entzug des Passes. Die Regelung soll im Frühjahr in Kraft treten.
Die Vereinten Nationen forderten ein umfassendes Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung. Die betroffenen Staaten müssten die grausame Praxis strikt unterbinden, verlangten das Kinderhilfswerk Unicef und der Bevölkerungsfonds UNFPA in Genf. Bis 2030 solle die weibliche Genitalverstümmelung komplett abgeschafft sein, hieß es.
Die Tradition ist in etwa 30 afrikanischen Ländern, vor allem südlich der Sahara, verbreitet. Sie wird auch in arabischen Ländern wie Oman und dem Jemen und in einigen asiatischen Ländern praktiziert. Jedes Jahr müssen rund drei Millionen Mädchen, die meisten unter 15 Jahren, den gefährlichen Eingriff über sich ergehen lassen.
Die UN verlangen eine bessere medizinische Betreuung der Opfer und eine flächendeckende Aufklärung über die schwerwiegenden Folgen des Eingriffs. Die Verstümmelung verursacht extreme körperliche und seelische Qualen und ist Grund für tödliche Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt. Etwa 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit sind derart beschnitten. Dabei werden ihnen die äußeren Genitalien teilweise oder ganz entfernt.