Erzählt wird die Wende vom Saulus zum Paulus in Apostelgeschichte 9, 1-22: Saulus wurde Anfang des ersten Jahrhunderts geboren, war römischer Staatsbürger, Theologe und ein hartgesottener Pharisäer. Die Pharisäer waren seit den Makkabäerkriegen diejenigen jüdischen Gelehrten, die dafür sorgten, dass das Mosaische Gesetz (erläutert in Ex 19 bis Lev 27 sowie Num 5-9 und Deut 5-31) von allen Israeliten genau eingehalten würde. Weil im Mosaischen Gesetz die Tieropfer das Zentrum bilden, war nach Ansicht der Pharisäer der Dreh- und Angelpunkt des Gesetzes der Opfer-Altar im Tempel von Jerusalem. Und diese Pharisäer nun hatten gehört, dass sich ein jüdischer Prediger namens Jesus von Nazareth erdreistet hatte, den heiligsten Ort des Judentums, den Jerusalemer Tempel, zu schänden und die Opferpriester mit einer Geißel hinauszutreiben. Das Schlimmste war: überall in Galiläa gab es so genannte "Christen", die diesen Mann anerkannten und als Vollender des Gesetzes ansahen! Die musste man verfolgen, meinten die Pharisäer. So meinte es auch Saulus und ließ sich die Adressen der Synagogen von Damaskus geben, um dort Anhänger dieser neuen "Sekte" festzunehmen und in Jerusalem der römischen Justiz zu übergeben.
Mit einer Hand voll Gefährten macht Saulus sich also auf den Weg nach Damaskus. Unterwegs bricht er plötzlich zusammen. Er erblindet, so stark fällt das Licht vom Himmel herab: unmöglich kann die Sonne so stark scheinen. Das geht nicht mit natürlichen Dingen zu. Saulus hört eine Stimme: "Warum verfolgst Du mich?" – "Wer bist Du?" will Saulus wissen. "Ich bin Jesus", antwortet die Stimme, "den Du verfolgst!" Saulus ist so entkräftet, dass er sich genötigt sieht, drei Tage zu fasten. Seine Männer bringen ihn nach Damaskus. Dort legt ihm der Christ Hananias die Hände auf, und Saulus wird wieder sehend. "Jesus sendet mich", erklärt Hananias, "der Dir auf Deinem Weg erschienen ist". Da fällt es Saulus wie Schuppen von den Augen: Jesus ist Gottes Sohn! Dann muss seine Tempelreinigung begründet sein, und dann stimmt es, dass man durch Tempel- und Gesetzesdienst nicht gerecht wird! Saulus gibt sich den neuen Namen Paulus und lehrt: der Nachfolger Jesu ist frei vom Gesetz!
Zwei Klassen von Christen
Man kann aus der Wende vom Saulus zum Paulus zwei Konsequenzen ziehen, die sich unterscheiden wie Tag und Nacht: die erste ist katholisch: man setzt dem, der die Freiheit vom Gesetz entdeckt hat, ein Denkmal, am besten dort, wo er gestorben ist – Paulus starb gegen 60 in Rom in Gefangenschaft – und verehrt ihn an einem Märtyrer-Gedenktag als Begründer einer weltweiten Mission. Ein Fest der Bekehrung des Apostels Paulus ist seit dem 8. Jahrhundert in Gallien belegt. Die Katholische Kirche begründet die Heiligen-Verehrung mit der Heiligkeit der Kirche, dem endzeitlichen Charakter der Pilgerschaft und der Einheit der Institution Kirche mit der himmlischen Kirche. Heute wird der Tag der Bekehrung Pauli in der Katholischen Kirche gemäß der liturgischen Texte bedacht: Das Schott-Messbuch der Erz-Abtei St. Martin zu Beuron empfiehlt für den 25. Januar folgenden Ablauf: Auf einen Eröffnungs-Vers und ein Tagesgebet folgt eine Lesung der Bekehrungsgeschichte. Darauf antwortet die Gemeinde mit einem Psalm, der dem Tag eine Bedeutung für die Verkündigung des Christentums in der Welt verleiht: "Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet allen das Evangelium." Die anschließende Evangelien-Lesung unterstreicht diesen Charakter, dann hält die Gemeinde Fürbitte mit den Worten: "Mach die Kirche zum Zeichen und Werkzeug des Heils unter den Völkern." Gebete und ein Kommunions-Vers schließen die Messe ab. Die liturgische Farbe ist weiß. Die Gemeinde Notre-Dame in Paris veranstaltet am 25. Januar 2017 jeweils eine Messe um 8 Uhr, 9 Uhr, 12 Uhr und 17 Uhr 45. Der Tag schließt die Weltgebetswoche für die Einheit der Christen ab.
Die zweite Konsequenz aus dem biblischen Damaskus-Erlebnis ist evangelisch: Ob Rom Grabstätte des Paulus ist, ist nebensächlich. Viel wichtiger ist es, Paulus‘ Erkenntnis jeden Tag anzuwenden: gerecht ist der Mensch weder durch Gesetze noch durch Werke, sondern allein durch den Glauben an Jesus Christus (Apg 16,31). In den evangelischen Kirchen ist die liturgische Farbe am 25. Januar rot. Im Gottesdienst wird Mt 19, 27-30 gelesen. Anders als in der Katholischen Kirche erhält der Tag in den evangelischen Kirchen, wenn er überhaupt – höchstens am Sonntag – begangen wird, einen eschatologischen Charakter: es geht um die Seligkeit der Nachfolger Jesu: Jesus verheißt seinen Nachfolgern: "Ihr werdet sitzen auf zwölf Thronen", und: "Viele, die die Ersten sind, werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten sein." Gesungen wird zum Beispiel EG 154 "Herr, mach uns stark im Mut" oder EG 250 "Ich lobe dich von ganzer Seelen".
Nach Martin Luther kann nicht die sichtbare, hierarchische Kirche der Leib Christi sein, sondern die wahre Kirche ist die Gemeinschaft derer, die in Christus mit Gott versöhnt sind. Darum hat die sichtbare Kirche nicht die Befugnis, Seligkeit zu spenden. Martin Luther legt in seiner Vorrede zur Apostelgeschichte Paulus‘ Grundlehre wieder frei: "Darauf soll man merken: das rechte Hauptstück christlicher Lehre, nämlich, wie wir alle müssen gerecht werden allein durch den Glauben an Jesu Christo […] Und kann man mit diesem Buch den Widersachern das Maul gar meisterlich und gewaltig stopfen, welche uns aufs Gesetz und unser Werk weisen." Alle Gläubigen sind Priester. Heiligen-Gedenktage braucht der Nachfolger Jesu nicht: "Wollte Gott, dass in der Christenheit kein Feiertag wäre außer dem Sonntag. Feiern ist jetzt nicht not noch geboten als allein um des Wortes Gottes willen zu lehren und zu beten."
In der Bibel weist nichts darauf hin, dass die Bekehrung des Paulus im Januar stattfindet. Nach Gisela Uellenberg (Kindlers Literatur-Lexikon, 1980ff) ist die Apostelgeschichte keine historische Berichterstattung, sondern soll die ersten Christen erbauen und unter den Heiden für das Christentum werben. Das übernatürliche Licht bei Paulus‘ Bekehrung ist demnach nicht wörtlich, sondern symbolisch zu verstehen, und um dieser Symbolik Gewicht zu verleihen, hat man die Bekehrungsgeschichte später in den finsteren Monat Januar gelegt. Zweitens beginnt mit dem Dreikönigstag am 6. Januar die Fastenzeit, und in die passt der Bekehrungstag Pauli, weil Paulus durch seine Erblindung zum Fasten gezwungen wird. Die katholische Kirche hat die Heiligenverehrung auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil herausgestellt. In der reformatorischen Theologie wird die Heiligenverehrung abgelehnt, weil sie unbiblisch ist und im Widerspruch steht zur Christozentrik und zur Rechtfertigung allein durch den Glauben.