Montagmorgen inmitten eines Darmstädter Industriegebietes: Hier reihen sich Fabriken und Autowerkstätten aneinander, außerdem gibt es zwei Moscheen – und ein Erstwohnhaus für geflüchtete Menschen. Zweimal pro Woche kommt Gerhard Sendelbach hierher, um die Bewohner in Lesen und Schreiben zu unterrichten. Heute allerdings ist Sendelbach ziemlich aufgebracht. Denn es sind nur zwei Schüler zum Kurs gekommen, und einer von ihnen ist auch noch neu. Er muss also ganz von vorne anfangen. Die übrigen Schüler hätten wohl einen Termin bei der Polizei, wurde ihm auf Nachfrage erklärt. Auf die Idee, ihm rechtzeitig Bescheid zu geben, sei aber niemand gekommen.
Immer wieder ist die Enttäuschung groß, wenn seine Schüler wegbleiben. Es sei sogar schon vorgekommen, dass er sie zum Kursbeginn um neun Uhr wecken musste, denn außer ihm kümmere sich niemand darum, ob die Bewohner des Erstwohnhauses an den Deutschkursen teilnehmen, sagt Gerhard Sendelbach. Auch von der Stadt wird der Ehrenamtliche kaum unterstützt. Vielmehr müsse er sich selbst darum kümmern, dass er helfen darf. "Wenn mein Engagement niemanden interessiert, bekomme ich das Gefühl, mich aufzudrängen!"
Wenn Gerhard Sendelbach von solchen Erfahrungen erzählt, fragen seine Freunde oft, wieso er sich überhaupt noch als Deutschlehrer engagiert. Aber das ist in seinen Augen die falsche Einstellung. Es macht ihm einfach Spaß, die Fortschritte "seiner Jungs" zu sehen: "Für mich ist es befriedigend, wenn ich aus einem Analphabeten einen Menschen machen kann, der plötzlich einen Buchstaben wiedererkennt und seine Bedeutung versteht. Oder wenn einer zum ersten Mal in seinem Leben ein Gefühl dafür bekommt, einen Stift in der Hand zu halten und zu schreiben." – Das zu sehen, zu bewirken, auszulösen - das sei einfach ein gutes Gefühl.
So wie Gerhard Sendelbach geht es vielen Ehrenamtlichen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Mal macht die Arbeit Freude, mal beschert sie Frust. In vielen Orten werden deshalb Angebote für Ehrenamtliche auf die Beine gestellt, die sie bei ihrem Engagement unterstützen sollen. "Die Leute brauchen etwas, wo sie aufgefangen werden. Wo sie Grenzerfahrungen, die sie in ihrem Engagement machen, auch reflektieren können," sagt Tom Schüler vom Freiwilligenzentrum Darmstadt.
Der Zustrom vieler schutzsuchender Menschen im Sommer 2015 hat auch das Freiwilligenzentrum vor strukturelle Probleme gestellt. Darauf war niemand vorbereitet: "Zuerst kam die Zielgruppe, dann die Ehrenamtlichen, dann die Organisatoren und Träger. Das Freiwilligenmanagement muss jetzt von hinten aufgerollt werden", erklärt Schüler. Gemeinsam mit Verantwortlichen der Evangelischen Hochschule Darmstadt (EHD) und dem Evangelischen Dekanat Darmstadt-Stadt hat er ein Qualifizierungsprogramm für Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe konzipiert, das im Herbst 2016 bereits zum zweiten Mal angeboten wurde.
"Geduld, Erfahrung und Frustrationstoleranz"
"Das Programm ist auf großes Interesse gestoßen. Es gibt da einfach einen Bedarf", sagt Stefano Lavorano, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der EHD. Mehr als 100 Ehrenamtliche haben den zweiten Durchlauf der Fortbildung in der EHD besucht. Themen waren unter anderem "Gesundheit und Trauma", "Fluchtursachen: Die Situation in den Herkunftsländern", "Interkulturelle Kompetenz" und vieles Andere rund um Flüchtlingshilfe und Ehrenamt. Das Angebot konnte kostenfrei in Anspruch genommen werden. Außerdem konnten die Ehrenamtlichen selbst entscheiden, wie viele Module des Kurses sie besuchen wollten.Auch Gerhard Sendelbach hat zwei dieser Fortbildungsmodule belegt. Er wollte einfach mal ausprobieren, ob das Angebot ihn weiterbringt. Der Kurs habe ihm dabei geholfen, sich gegenüber den Menschen, denen er in seinem Engagement begegnet, einzuordnen. Was Sendelbach aber vor allem für sein Ehrenamt brauche, seien "Geduld, Erfahrung und extreme Frustrationstoleranz". Und das könne ihn keine Fortbildung der Welt lehren.