Seit zwei Wochen ist sie nun da, die "neue" Lutherbibel. Pünktlich zur Eröffnung des Reformationsjubiläums ist der revidierte Text fertig gestellt, der die nunmehr zweiunddreißig Jahre alte vorige Fassung ersetzen soll. Das ist ein Ereignis nicht nur für die Bibelgesellschaft und die EKD, für die Wissenschaft, die Gemeinden und alle, die sich für die Bibel interessieren. Wenn diese Revision auch zweiunddreißig Jahre lang hält, dann wäre das ein schöner Erfolg; wenn man bedenkt, eine wie geringe Haltbarkeit manche Texte heutzutage haben können.
Christliche Theologie ist in Lehre und Verkündigung also immer Übersetzung gewesen – von einer Sprache in die andere, von einer Literatur in die andere, von einer Kultur in die andere, von einer Epoche in die andere. Theologie als Ganze ist ein ständiger Übersetzungsprozess. Und so gesehen, ist die geringe Haltbarkeit mancher Bibelübersetzung kein Defizit und keine blinde Unterwerfung unter den Zeitgeist, sondern liegt in der Natur der Sache.
"Traduttore traditore" sagt ein italienisches Sprichwort: "Der Übersetzer ist ein Verräter". Er gibt den Text preis und übt damit Verrat an dessen Wahrheit. Jeder Bibelübersetzer kennt diesen Vorwurf, und die Verantwortlichen der Lutherrevision werden ihn waschkörbeweise bekommen. Es werden sich diejenigen beschweren, denen die Revision zu weit geht, und jene, denen sie nicht weit genug geht. Alle, die an der Revision teilgenommen haben, sind Teil dieser Verrätermafia, die nichts tut, als was Theologie schon immer getan hat – Übersetzen.
Erfolgreiche Verhandlungskunst
Wer so argumentiert, hat vom Text und von der Theologie nichts verstanden. Er oder sie erwartet eine ewige undiskutable Eindeutigkeit. Da es um Sprache geht, ist sie jedoch nicht zu haben.
Der außerordentlich beliebte Psalm 126 beginnt auf Hebräisch folgendermaßen:
Beschuw adonaj ät-schiwat Zijon hajjinu kecholamim.
Die Lutherübersetzung lautet:
Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.
So übersetzt die Zürcher Bibel:
Als der HERR wandte Zions Geschick, waren wir wie Träumende.
Bis heute lässt sich nicht zuverlässig entscheiden, welche Übersetzung die richtige ist. Man muss aus dem Kontext heraus begründen, ob und warum man sich für eine futurische oder eine vergangenheitliche Übersetzung entscheidet. Und so lange bleiben beide richtig. Alle aber, die glauben, die reine Lehre hinge von der Entscheidung um Futur oder Präteritum ab, werden es in der Theologie nicht weit bringen. Falsch wäre es nur, zu übersetzen, der HERR hätte Zions Geschick nie gewendet und würde die Gefangenen Zions nie erlösen.
Ist jeder Übersetzer immer schon ein Verräter? Oder – um einen populären Buchtitel zu zitieren – "Ist die Bibel richtig übersetzt?" (Pinchas Lapide).
Der im Frühjahr verstorbene Umberto Eco schrieb über das Übersetzen:
"Man denke an die Diskussionen, die seit jeher in Kreisen der Bibelforscher geführt werden, die ständig damit beschäftigt sind, bisherige Übersetzungen der heiligen Schriften zu kritisieren. Dennoch hat sich, so ungeschickt und fehlerhaft die Übersetzungen auch sein mögen, in denen die Texte des Alten und Neuen Testaments zu Milliarden von Gläubigen unterschiedlichster Sprachen gelangt sind, trotz dieses Stafettenlaufes von Sprache zu Sprache ein beträchtlicher Teil der Menschheit über die in diesen Texten überlieferten Grundtatsachen und Ereignisse relativ einig gefunden, von den Geschichten Moses bis zur Passion Jesu – und ich würde sagen, auch über den Geist, der diese Texte beseelt. (…) So bin ich auf die Idee gekommen, dass Übersetzen auf einer Reihe von Verhandlungsprozessen beruht – ist doch Verhandlung genau ein Prozess, bei dem man, um etwas zu erreichen, auf etwas anderes verzichtet, und aus dem die Parteien am Ende mit einem Gefühl von vernünftiger wechselseitiger Befriedigung herauskommen sollten, geleitet vom goldenen Prinzip, dass man nicht alles haben kann." (Umberto Eco, Quasi dasselbe mit anderen Worten: über das Übersetzen, S. 20).
Kein Verrat, sondern Kompromiss. Theologie in Wissenschaft, Kirche und Unterricht hat als dauerhafte Übersetzung die meiste Zeit ihrer Geschichte über diese Verhandlungskunst gepflegt. Dass sie oft dabei krachend gescheitert ist, lässt sich nicht verheimlichen. Abgebrochen ist sie jedoch nie. Und der bekennende Agnostiker Umberto Eco hat anerkannt, dass die Übersetzungs- und Verhandlungskunst des Christentums eben auch durchaus erfolgreich war.