Am Ablauf-Plan orientiere ich mich, wann welche Veranstaltungen in meiner Zeitzone starten: Um zehn Uhr geht es los - mit einem Gottesdienst, der das Churchfestival mit Beiträgen aus Ungarn, Malaysia, Brasilien eröffnet. Diese erste Predigt hält Bischof Rev. Aaron Yap von der Lutherischen Kirche von Malaysia. Er spricht auf Englisch, die Untertitel sind in deutscher, englischer und portugiesischer Sprache verfügbar.
Ich bin beeindruckt, die Technik funktioniert. Das Video hat eine gute Qualität und die Sprache der Untertitel kann man ganz einfach mit einem Klick ändern. So ist es durch das Internet möglich, dass ich diese Predigt gerade sehe und höre - zusammen mit anderen Christen auf der ganzen Welt, die entweder auch alleine vor ihrem PC sitzen oder sich in Gruppen getroffen haben, um gemeinsam das Programm zu verfolgen.
"Die Idee des Weltkirchentags ist es, miteinander in Kontakt zu kommen", schreiben die Veranstalter, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und ihre Partnerkirchen. Daher gibt es auch die Kommentarfunktion unten auf jeder Seite. Diese wird den ganzen Tag über reichlich genutzt: "Grüße an alle Schwestern und Brüder rund um den Globus! Es beeindruckt mich sehr, mit euch diesen Gottesdienst zu feiern", schreibt beispielsweise Renate.
"Wenn Menschen nicht die Möglichkeit haben, zu reisen und andere Kulturen zu sehen, so können sie durch den Weltkirchentag miteinander in Kontakt kommen", sagt Martha Maas. Sie ist ein brasilianisches Mitglied des Vorbreitungsteams und im Video-Interview beschreibt sie ihre Motivation, warum sie den Weltkirchentag mitgestaltet: "Es ist sehr wichtig, die weltweite Kirche zu sehen. Manchmal sehen wir nur unseren kleinen, beschränkten Kontext. Doch durch Kontakt mit anderen Kulturen kann sich unser Blick auf die Kirche verändern, auch unser Blick auf unsere Beziehungen zu anderen Ländern. Es geht um Unterschiedlichkeit und Toleranz."
Der Tag steht unter dem Motto “Die Frucht der Gerechtigkeit ist Friede” (Jes 32,17). So gibt es ab mittags einige Online-Workshops zu diesem Themenfeld. In einem werden die junge Theologin Eszter Kalit aus Ungarn und der junge Pfarrer Xastor Yarkpazuo aus Liberia über ihre Erfahrungen und Ansichten zur Verbindung von Rechtfertigung und ihrem Engagement für Gerechtigkeit per Video-Chat interviewt. Kalit sagt, dass das abstrakte, theologische Vokabular manchmal zu weit weg von den alltäglichen Problemen der Menschen sei und es unsere gemeinsame Aufgabe als Christen wäre, hier Brücken zu bauen.
Es ist spannend, Einblick in die Gedankengänge der beiden zu erhalten. Das finden andere Teilnehmer auch. Es besteht bei den Workshops die Möglichkeit, eigene Fragen und Anregungen als Kommentare unter die Beiträge zu schreiben. Manche Teilnehmer nutzen dieses Angebot und Kalit antwortet ihnen. Es gibt noch den ganzen Tag über weitere Vorträge, Gesprächsrunden und Workshops zu Themen wie "Gerechtigkeit unter den Generationen", "Ökologische Gerechtigkeit" oder "Gerechtigkeit für Frauen und Männer".
Bei den Internet-Gottesdiensten ist Zeit eingeplant, Gebete in die Kommentarzeilen zu schreiben. Menschen können sich so einbringen: "Herr, gib uns Deinen Frieden. Dona nobis pacem", schreibt ein Mann sein Gebet. Und: "Brothers and sisters - we Tanzanians are happy for this global faith connection. Peace be with you all" (Brüder und Schwestern, wir Tansanier sind glücklich über diese weltweite Glaubensverbundenheit. Friede sei mit Euch.) lautet ein anderes.
"Allein aus Gnade"
Wenn ich auf den Tag zurück blicke, gefiel mir der "Virtuelle Chor" besonders gut. Bis Ende September waren Menschen auf der ganzen Welt dazu aufgefordert gewesen das Mottolied des Reformationsjubiläums in Bayern "Allein aus Gnade" (Addi Manseicher 2016) mit ihrer Singstimme aufzunehmen und einzusenden. Die Veranstalter stellten aus den einzelnen Stimmen den Virtuellen Chor zusammen: Ein Video (ab 16:20min.), in dem Menschen gemeinsam singen, obwohl sie sich nie real getroffen haben.
Schade war es allerdings, dass ich mir mittags den Hauptvortrag von Martin Junge (Lutherischer Weltbund) anschauen wollte und immer wieder die Fehlermeldung kam: "Die angefragte Seite konnte nicht gefunden werden". Später am Nachmittag ging es dann aber doch. Nun ja, es kann ja nicht immer alles gleich klappen. Es war schließlich der erste Virtuelle Kirchentag überhaupt, denke ich mir.
"Es ist ein Experiment", sagte schon vorab in seiner Videobotschaft Heinrich Bedford-Strohm, der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Das Projekt soll Menschen ermöglichen, sich über das Internet auszutauschen, Gottesdienst zu feiern und voneinander zu lernen. Ich würde sagen, das Experiment ist gelungen.