Als Zeichen ökumenischer Brücken verbinden die Teilnehmer des ökumenischen Gottesdienstes beim Katholikentag 2014 farbige Bänder miteinander.
Foto: epd-bild/Friedrich Stark
Ökumenischen Gottesdienst in Regensburg (Archiv).
Ökumenische Eintracht zum Reformationsjubiläum
Gastkommentar von Ulrich Körtner zum Dokument "Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen"
Zum Reformationsjubiläum haben evangelische und katholische Kirche in Deutschland das gemeinsame Wort "Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen" veröffentlicht. Darin ist von Leid und Schuld, Vergebung und Einheit die Rede. Am 11. März 2017 wollen die Kirchen einen Buß- und Versöhnungsgottesdienst feiern. Der Wiener evangelische Theologe Ulrich Körtner kritisiert in seinem Gastkommentar, dem ökumenischen Großereignis werde beim Reformationsjubiläum alles andere untergeordnet. Außerdem sieht er in dem gemeinsamen Wort theologische Mängel beim Thema Schuld.

Wie weit ist es mit dem deutschen Protestantismus gekommen, dass die EKD auf die Idee von ökumenischen Bußgottesdiensten aus Anlass des Reformationsjubiläums 2017 verfallen konnte – oder sich von der katholischen Kirche zu diesem Schritt überreden ließ? Was immer auch sonst noch an "Christusfesten" im Lauf des Jahres gefeiert werden mag, dieses Bußritual wird im kollektiven Gedächtnis bleiben – und soll es ja auch nach den Willen der Initiatoren und Autoren, die für das Projekt "Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen" verantwortlich zeichnen.

Autor:in
Ulrich Körtner
Ulrich Körtner

Ulrich Körtner, geb. 1957, lehrt als Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Er ist Direktor des Instituts für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie sowie des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.

Die katholischen Partner haben Grund zur Freude, haben sie doch von Beginn an keinen Grund zum gemeinsamen Feiern gesehen. Allenfalls sei ein gemeinsames "Gedenken" vorstellbar. Schon 2013 schwenkte der Lutherische Weltbund in dem gemeinsamen Dokument "Vom Konflikt zur Gemeinschaft" auf die von der katholischen Kirche vorgegebene Linie ein. Die lutherische Kirche Schwedens darf sich nun auf den Besuch von Papst Franziskus am 31. Oktober in Lund freuen, bei dem Vertreter des Lutherischen Weltbundes anwesend sein werden, um dem Papst zu lauschen, wenn er, wie angekündigt, auf die nach seiner Ansicht guten Dinge der Reformation zu sprechen kommt, aber "auch auf die traurigen und negativen Seiten hinweisen" wird.

Dem erklärten Ziel, das Reformationsjubiläum 2017 zum ökumenischen Großereignis zu machen, wird alles andere untergeordnet. Die theologische Beschäftigung mit dem Erbe der Reformation und ihren bleibenden Impulse bleibt an der Oberfläche haften. Fortbestehende Gegensätze werden zu einander komplementär ergänzenden Lesarten des biblischen Evangeliums abgeschwächt. In ökumenischer Eintracht stellen die beteiligten Kirchen so unter Beweis, wie schwach das Christentum in unseren Breitengraden geworden ist, so dass es auf einen Religionskritiker wie Peter Sloterdijk sympathisch wirkt. Sollte er das Gemeinsame Wort der beiden Kirchen "Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen" lesen, wird er sich wohl in seiner Diagnose bestätigt sehen, die er kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung gestellt hat: "Der Protestantismus ruht seit geraumer Weile im Abklingbecken der Geschichte."

Welche Form von Einheit ist gemeint?

Dabei hatte die EKD 2014 einen erfreulichen Grundlagentext zur Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum mit dem Titel "Rechtfertigung und Freiheit" veröffentlicht, in dem sie die Kernaussagen reformatorischer Theologie in unsere Zeit übersetzt hat. Allerdings hagelte es nicht nur von prominenter Historikerseite Kritik, sondern auch vonseiten der römisch-katholischen Kirche. Von Kardinal Kasper abwärts warfen katholische Kirchenvertreter und Theologen der EKD vor, die Ökumene zu spalten, und wiesen das Ansinnen, unter diesen Voraussetzungen an Reformationsfeierlichkeiten teilzunehmen, empört zurück.

Damals hatte die EKD noch den Mut, ihr Dokument zu verteidigen. Doch nun rudert sie zurück. Das Projekt "Healing of Memories" verfolgt offenkundig das Ziel, den ungeliebten Text "Rechtfertigung und Freiheit" vergessen zu machen. Wie von katholischer Seite gefordert, erweist man nun der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 Reverenz, obwohl diese keine substantiellen ökumenischen Fortschritte nach sich gezogen hat. Vergessen ist auch der Protest führender evangelischer Hochschullehrer gegen dieses Dokument.

Immerhin ist dem Dokument, das bereits die Liturgie für den geplanten großen Buß- und Versöhnungsgottesdienst enthält, zugute zu halten, dass es die Fortexistenz unterschiedlicher Konfessionskirchen anerkennt. Die Einheit soll nunmehr nicht numerisch, sondern qualitativ verstanden werden, nämlich als "eindeutige Bestimmtheit, Unterschiedenheit von Anderem, Klarheit und Entschiedenheit". Welche Formen von Einheit denn nun aber konkret anzustreben sind – mal spricht das Dokument von "sichtbarer", mal von "voller Einheit" der Kirchen –, darüber herrscht nach wie vor Uneinigkeit. Hauptsache, man kann ein ökumenisches Zeichen setzen, frei nach dem Bonmot Helmut Qualtingers. "Ich weiß zwar nicht, wo ich hin will, aber dafür bin ich schneller da."

Welches Leid? Wessen Trauer? Wer ist "Wir"?

Was besonders auffällt und stört, ist der moralisierende Ton, den das neue Dokument anschlägt und der auch sonst in Kirche und Politik um sich greift. Ständig ist von Trauer und gegenseitigen Verletzungen, Scham und Schuld die Rede, ohne dass sich die Verfasser auch nur die Mühe machen würden, zwischen moralischer und metaphysischer Schuld bzw. zwischen Schuld und Sünde, zwischen äußerer und innerer Schuld zu unterscheiden. Man will allseits Schuldeinsicht und Empathie erzeugen, wobei unklar ist, wer hier wessen Schuld bekennen und vergeben soll.

Abgesehen von der unhistorischen Betrachtung der Ereignisse in der Reformationszeit, die Martin Ohst in der Süddeutschen Zeitung bemängelt hat, weist das geplante Buß- und Versöhnungsritual ernste theologische Mängel auf. Schuld und Sünde im Sinne von culpa kann ein jeder nur höchstpersönlich bekennen. Niemand kann anstelle von Tätern für begangene Schuld um Vergebung bitten und niemand hat die Vollmacht, anstelle von Opfern Vergebung zu gewähren. Sünde kann zudem allein Gott vergeben.

Was soll es heißen, dass "geschwisterliche Worte der Trauer über das in der Vergangenheit einander zugefügte Leid" auch heute noch angebracht sind? Welches Leid haben die Initiatoren der Aktion denn einander selbst zugefügt? Mal ist von der Schuld der Eltern und Vorfahren die Rede, mal spricht ein Wir, bei dem unklar ist, wie weit die von diesem Wir bekannte Schuld denn eine höchstpersönliche ist. Die vermeintlich so starke Aussage: "Wir bekennen unsere Schuld" bleibt im Grund nichtssagend, gibt aber das gute Gefühl, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen. "Wir bitten einander um Vergebung, und wir gewähren einander Vergebung" – das ist im Blick auf Reformation und Gegenreformation ein unmögliches und theologisch unreflektiertes Unterfangen.

Auch die Selbstverpflichtungen, mit denen das feierliche Bußritual schließen soll, sind theologisch fragwürdig. Solche Selbstverpflichtungen gehören inzwischen zum Standardrepertoire kirchlicher und ökumenischer Dokumente. Sie sollen wohl zum Ausdruck bringen, dass man Bonhoeffers Protest gegen die billige Gnade – auf den natürlich der Hinweis nicht fehlen darf – beherzigt. Aber bekanntlich ist der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert. Und das Ritual der Selbstverpflichtungen ist längst inflationär geworden. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte man dergleichen in der evangelischen Theologie und Kirche Gesetzlichkeit genannt. Aber die Erinnerung an die reformatorische Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium scheint inzwischen reichlich verblasst. In dem neuen Dokument wird sie gar nicht erst erwähnt.