Er war sich seiner Sache sicher und konnte von da an nicht mehr zurück: Als dem Theologen, Priester und Psychoanalytiker Eugen Drewermann am 8. Oktober 1991 die katholische Lehrbefugnis entzogen wurde, war das die erste Sanktion in einer langen, öffentlichen Auseinandersetzung.
Mit seinem Buch "Kleriker - Psychogramm eines Ideals" hatte Drewermann sich spätestens 1989 bei der Amtskirche unbeliebt gemacht. Darin legte er aufgrund seiner Erfahrungen als Psychotherapeut dar, wie die Kirche ihre Priester krank mache. Auch mit der offiziellen katholischen Lehre geriet er in Dissens: An das leere Grab Jesu wolle er nicht glauben, auch nicht an die physikalische Himmelfahrt Jesu oder die biologisch verstandene Jungfrauengeburt.
Der Entzug der Lehrbefugnis war erst der Anfang: Im Januar 1992 entzog ihm der Paderborner Erzbischof Franz Josef Degenhardt auch die Predigterlaubnis. Unter diesen Bedingungen wollte Drewermann das Priesteramt nicht weiter ausüben, wie er sagt. Ein priesterlicher Mensch im Sinne Jesu zu sein, erklärte er in einem Offenen Brief, bedürfe ohnehin nicht der bischöflichen Genehmigungspflicht. Degenhardt suspendierte ihn.
"Zumindest sachlich diskutieren"
Diese ganze Auseinandersetzung, so urteilt Drewermann heute, habe ihm geholfen, klarer zu sehen: "Mit dieser Verfassung in der Kirche soll ich nicht leben. Daraus wurde: Will ich auch nicht leben." 2005 trat Drewermann schließlich aus der Kirche aus und nannte das ein "Geschenk der Freiheit" zu seinem 65. Geburtstag.
Paul Zulehner, katholischer österreichischer Theologe und Priester, hat heute kein Problem damit, öffentlich seine Wertschätzung für den Kirchenkritiker zu bekunden. Er bedauert die Verurteilung genauso wie Drewermanns Austritt aus der Kirche: "Ausschluss und Austritt sind keine guten theologischen Argumente. Sie bringen den Diskurs nicht voran, sondern erschweren ihn."
Auch Martin Bräuer, stellvertretender Leiter des evangelischen Konfessionskundlichen Instituts in Bensheim und Catholica-Referent, hat der Disput als "theologischen Jüngling" umgetrieben: "Wir haben darüber diskutiert, dass man mit Leuten, die etwas quer denken, nicht so umgehen kann, sondern dass man diese Fragen ernst nehmen und zumindest sachlich diskutieren muss."
"Die Kirche ist gescheitert, nicht die Menschen"
Dennoch sei auf evangelischer Seite eher Kritik geübt worden: Drewermann projiziere sein tiefenpsychologisches Jesusbild in die Bibel hinein, kritisierte etwa der evangelische Theologe Gerd Lüdemann, der später selbst in Konflikte mit der evangelischen Kirche kommen sollte - wegen Leugnung der Auferstehung.
Wie geht es Drewermann heute, wenn er zurückdenkt? Er schweigt lange. Dann antwortet er in den für ihn typischen druckreifen Sätzen, konzentriert, in seiner eigenen Sprachmelodie: "Mir tut leid, dass die Kirche auf Fragestellungen, die zur Vermittlung der Botschaft Jesu überaus wichtig sind, in einer Art dogmatisch verfestigt antwortet, dass sie sich sehr im Wege steht. Der Widerspruch dagegen ist absolut notwendig, davon habe ich nicht den Zentimeter zurückzunehmen."
Brücken bauen wollte er denjenigen, die von der Moraltheologie als gescheitert definiert worden seien wie den wiederverheirateten Geschiedenen oder Priestern, die das Zölibat brachen. Zwar sei es gut gemeint, wenn Papst Franziskus von Barmherzigkeit ihnen gegenüber spreche. "Aber es ist sachlich falsch: Wenn jemandem was zu vergeben wäre, dann wäre das der Kirche. Die Kirche ist gescheitert, nicht die Menschen."
Und das Streitthema Auferstehung? "Ich sehne mich nach Menschen, die eine Hoffnung haben angesichts des Todes", sagt Drewermann. Mehrfach hat er geschrieben, er glaube an die Auferstehung - nicht aber daran, dass das Grab Jesu physisch leer gewesen sei. Die Erzählungen des Neuen Testaments als historisch im Sinne von harten Fakten auszulegen, "das treibt die Zwölfjährigen in den Atheismus".
Was sein Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche betrifft, ist Drewermann heute "jenseits von Trauer und Bedauern". Nach wie vor will er den Menschen helfen, mit denen er Woche für Woche psychotherapeutische Gespräche führt.
Drewermann wohnt in einer kleinen Wohnung in Paderborn, die voller Bücher ist. Die Themen seiner Werke und Vorträge reichen über theologische Auslegungen und tiefenpsychologische Deutungen biblischer Erzählungen und Märchen bis zu Tierschutz und Friedenspolitik. Seine Grundthemen: Angst und Vertrauen.
Ob der Papst ihn anruft?
Zurzeit schreibt er am zweiten Band von "Geld, Gesellschaft und Gewalt", der wohl Weihnachten fertig sein werde. "Damit hätte ich den Umkreis der für mich aktuellen Fragen abgearbeitet", sagt er. Sich noch in weitere Themen gründlich genug einzuarbeiten, traue er sich nicht mehr recht zu: "Ich bin schließlich schon 76."
Nach einer Stunde Gespräch hat Drewermann auf jede Frage ausführlich geantwortet, aus literarischen Werken rezitiert und zwischendurch leise gelacht. Nun hat er seinen Kaffee ausgetrunken, verabschiedet sich und geht zielstrebig zum Telefon in der Lobby des Hotels, das ihm als Empfangsraum, Telefonzelle und zum Versenden von Faxen dient.
Dort müsste Papst Franziskus ihn anrufen und ihn um seinen Beitrag für die Entwicklung von Theologie und Pastoral bitten - das wünscht sich jedenfalls der katholische Priester und Theologe Zulehner. Eine schöne Idee, allerdings: Drewermann würde Franziskus dann wohl zuallererst nahelegen, doch bitte sein eigenes Amt abzuschaffen.