So hat man die biblischen Geschichten bisher wohl noch nie auf Kirchenfenstern gesehen: Jesus wie ein gut gelaunter Popstar umgeben von charmant bebrillten Engeln und knallbunten Menschen im Komikstil. Petrus und seine Gefährten mit modischem Vollbart und stylischen Nerdbrillen beim Fischfang. Dazwischen freche Vögel, Blumen, Sterne, und alles umrahmt von einer knallroten Herzchenborde wie aus dem Poesiealbum in Kindertagen.
Diese farbenfrohe Welt wartet nicht auf Erlösung, sie ist schon erlöst: Es ist die Welt des berühmten New Yorker Pop-Art-Künstlers James Rizzi. Vor seinem plötzlichen Tod 2011 entwarf er noch zwei Kirchenfenster für die Kreuzeskirche in Essen - die weltweit einzigen Rizzi-Fenster.
"Für mich ist es ein kleines Wunder, dass wir diese Kunstwerke jetzt hier bei uns haben", sagt der Essener Pfarrer Steffen Hunder, der das Projekt initiiert hat. Denn von der ersten Idee bis zur aufwendigen Herstellung und Installation der Fenster, die am kommenden Sonntag (28. August) eingeweiht werden, brauchte es einen langen Atem. Hunder sah James-Rizzi-Motive erstmals bei einem New-York-Besuch im Jahr 2000 in einer Galerie und wusste sofort: "So etwas will ich für die Kreuzeskirche haben."
"Er war sofort Feuer und Flamme"
Kurz darauf besuchte der Pfarrer spontan die Chefin des hessischen Glaskunst-Unternehmens Derix Glasstudios. Ob Zufall oder Fügung: Barbara Derix hatte drei Wochen später selbst eine Reise nach New York geplant, um sich nach Glaskünstlern umzusehen. Und so wurden weitere Verabredungen mit dem experimentierfreudigen Pop-Art-Star getroffen.
"Er war sofort Feuer und Flamme", erzählt Hunder voller Begeisterung über die Dialoge von damals: "Nimm die biblischen Geschichten, die dir vertraut sind, und mach einfach das, was du am besten kannst," habe er James Rizzi gesagt. Im Vertrauen darauf, dass der ehemals katholische Klosterschüler genügend biblische Bilder verinnerlicht hat. "Der Vater war Italiener, die Mutter Irin, der Mann hat doch eine spirituelle Biografie", war Hunder sich sicher. Auch wenn sie sonst kaum vorkam.
Weltweit ist der 1950 geborene Rizzi vor allem für seine expressiv-bunten Bilder, als Erfinder der modernen 3D-Grafik und für die Gestaltung ungewöhnlicher Objekte bekannt: Spielzeug, Straßenbahnen, Häuser und sogar eine Boeing wurden von ihm gestaltet. Der Künstler war auch selbst sein eigenes Markzeichen, mit Hut, auffälliger Brille und bunten Turnschuhen.
Diesem bekannten Rizzi-Stil fügen die Kirchenfenster in Essen jetzt posthum eine ausdrucksstarke neue Facette hinzu. Denn die beiden meterhohen Kunstwerke in den Seitenflügeln der frisch renovierten Innenstadtkirche erzählen biblische Geschichten in moderner Übersetzung. "Ich hoffe, dass die Menschen durch sie die Freude am Leben und am Glauben neu entdecken", betont Pfarrer Hunder. Für ihn sind es "Entdeckungsbilder" voller Überraschungen: Jesus mit ausgebreiteten Armen, aber nicht wie gewohnt leidend am Kreuz, sondern geborgen in der Gegenwart eines lachenden Gott-Vaters.
Schön anzusehen, aber ist das alles? Wird das Evangelium hier nicht verharmlost und verkürzt, ohne Schmerz, Schuld und Vergebung? "Nein, im Gegenteil", kontert Hunder solche Kritik. "Hier wird deutlich: Gott sagt 'Ja' zu dir." Auf Facebook jedenfalls ist die Resonanz schon jetzt positiv: "Tolle Idee, ich bin gespannt, die Rizzi-Fenster live zu sehen", kommentiert etwa ein Nutzer, der mehrfach mit der von Rizzi gestalteten Boeing geflogen ist.
Kreativ, modern und weltoffen
Das Geld für die 180.000 Euro teuren Kunstwerke stammt aus einem Joint Venture zwischen Kirchengemeinde und dem Land Nordrhein-Westfalen, das 80 Prozent der Kosten finanziert. "Öffentliche und kirchliche Nutzung gehen bei uns Hand in Hand", sagt Hunder. Denn die seinerzeit marode Kreuzeskirche wurde verkauft und 2014 mit einem bundesweit einzigartigen neuen Nutzungs- und Veranstaltungskonzept als Kreativzentrum wieder eröffnet.
Eigentümer ist seitdem der Essener Bauunternehmer Rainer Alt, der sie zu je 40 Prozent an die Gemeinde und das Kulturforum vermietet und sie zu 20 Prozent zur kommerziellen Nutzung wie etwa für Feste oder Firmenevents zur Verfügung stellt. Das Konzept heute heißt: "Zu Gast bei Kirche sein". Modern und weltoffen. Dazu passen auch die Rizzi-Fenster als neue Attraktion im Ruhrgebiet für Pop-Art-Fans und religiös Interessierte aus nah und fern.