Die Bilanz der Schreckenstage Mitte August im Süden Thailands: vier Tote und Dutzende Verletzte. Drei Tage nach der offenkundig koordinierten Anschlagsserie am 12. August sind die Täter und ihre Motive noch unbekannt. In der Königsstadt Huan Hun etwa 200 Kilometer südlich von Bangkok kam bei den Anschlägen eine Thailänderin ums Leben. Unter den Verletzten sind acht Urlauber – eine Niederländerin, vier Mädchen aus Deutschland, zwei Italiener und eine Österreicherin. Eines der deutschen Mädchen wurde schwer verletzt und muss sich im Hua Hin Hospital mehreren Operationen unterziehen. "Wie viele der andern Betroffenen nahm sie an einem Freiwilligenprojekt teil. Unter anderem gaben sie Englischunterrricht und reinigten die Strände. Am Abschlusstag dann dieses jähes Ende!", sagt Thomas Mohr, zuständig für internationalen Patienten im San Paulo Krankenhaus in Hua Hin.
Bombenanschläge sind nichts Neues in Thailand. Seit über zwölf Jahren kämpfen im Süden Thailands Separatisten – ethnisch Malaien und religiös Muslime – für eine Autonomie. Bisher war der Kampf der Separatisten von der Nationalen Revolutionären Front (Barisan Revolusi Nasional, BRN) auf die drei südlichen Provinzen Pattani, Yala und Narathiwat beschränkt, die bis zur Einverleibung 1909 in das Königreich Siam das stolze islamische Sultanat Pattani bildeten.
Spekulationen über die Täter jagen durch Thailand
Über die aktuelle Bombenserie sagt Michael Winzer, Leiter des Büros der Konrad Adenauer Stiftung in Bangkok: "Das Muster der Anschläge ist neu. Nachdem nun noch berichtet wurde, dass es noch ein paar Blindgänger gab, zeigt dies, dass die Aktion doch ein ziemlich großes Ausmaß gehabt hat. Es muss also ein wirklich gutes und vor allem ein gut vernetztes Netzwerk hinter den Anschlägen stehen."
Ein wesentliches Merkmal der Anschlagsserie: Erstmalig explodierten Bomben in Phuket, Krabi und Hua Hin. Bisher wurden die Touristenzentren aus allen politischen Turbulenzen seit dem Putsch 2006 gegen Premierminister Thaksin Shinawatra, den Besetzungen von Bangkok und dem Putsch gegen Thaksins Schwester Yingluck Shinawatra 2014 herausgehalten.
Der Tourismus ist mit einem Anteil von knapp zehn Prozent am Sozialprodukt ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor Thailands und seit dem Putsch 2014 der letzte, der vom wirtschaftlichen Niedergang Thailands verschont geblieben war. "Die Anschläge hatten zwei Ziele. Die Täter wollten der Volkswirtschaft schaden sowie die Glaubwürdigkeit der Junta, die als Garant von Recht und Ordnung angetreten ist, treffen", erklärt Anthony Davis, Analyst des internationalen Militärmagazins "Jane's", telefonisch aus Bangkok.
Gerüchte und Spekulationen über die Täter und ihre Motive jagen durch Thailand. Wie schon bei dem Bombenanschlag auf den Erawan-Schrein in Bangkok im August 2015 (22 Tote) nimmt die Junta das Wort 'Terrorismus' nicht in den Mund. Mantrahaft verkündet sie auch jetzt: Terrorismus gibt es in Thailand nicht. Stattdessen spricht sie lieber von "Sabotageakten", begangen von der politischen Opposition.
Thaksin und seine Anhänger in der Nationalen Demokratische Allianz gegen Diktatur (UDD), so die Junta, seien frustriert über das Ja der Mehrheit der Thailänder im Referendum über eine neue Verfassung am 7. August. Die 20. Verfassung seit 1932 macht aus Thailand eine 'gelenkte Demokratie' mit der Armee am Steuer. An dieser Version gibt es Zweifel. "Es gibt es bisher absolut keine Beweise für die Schuldzuweisung an die UDD und Thaksin", ist sich Davis sicher und fügt hinzu: "Meiner Meinung nach sind die Separatisten für die Anschläge verantwortlich." Die Junta spielt allerdings diesen Verdacht herunter. "Würden sie zugeben, dass die Separatisten die Anschläge verübt haben könnten, müsste sie die Frage beantworten, warum sie Gespräche mit den Separatisten verweigert", sagt Sicherheitsexperte Davis.
Alle Regierungen Thailands der letzten Jahre haben auf militärische Gewalt statt eines politischen Dialogs zur Lösung des Konflikts im Süden gesetzt. Eine Ausnahme war die im Mai 2014 gestürzte Premierministerin Yingluck Shinawatra. Die Generäle kappten jedoch sofort nach dem Putsch den politischen Gesprächsfaden zur BRN und kehrten getreu ihres Mantras der "Einigkeit der Nation" und der "Thainess" zur Politik der unnachgiebigen militärischen Stärke zurück.
Spannungen zwischen Muslimen und Buddhisten
Dass in der neuen Verfassung erstmalig in der Geschichte Thailands der Buddhismus über alle anderen Religionen gestellt wird, hat der Hoffnung der malaiischen Muslime im Süden Thailands auf eine Zukunft ohne Unterdrückung im mehrheitlich buddhistischen Königreich Thailand einen weiteren Schlag versetzt. Eine neue Widerstandsbewegung, die seit 2004 aktiv ist, ist nicht mehr nur ethnisch-kulturell, sondern auch islamisch geprägt. Die Rebellen greifen Armeeeinheiten an, verüben Bombenanschläge auf Polizeistationen, Armeeeinrichtungen und thailändische Behörden.
Die thailändische Armee ist bei der Niederschlagung der Aufständischen auch alles andere als zimperlich. Sie schreckt nicht vor Folter und Mord in geheimen Gefängnissen und Lagern zurück. "Es ist eine Konstante in den letzten Jahren im tiefen Süden, dass die Vertreter der Regierung für ihre Menschenrechtsverletzungen niemals zur Verantwortung gezogen wurden", sagt Brad Adams, Asienexperte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).
In einem Punkt sind sich Regierung und unabhängige Experten aber einig: die Separatistenbewegung hat keine Verbindungen zu Terrororganisation Islamischer Staat (IS). "Der Konflikt im Süden hat ethnisch-kulturelle Wurzeln, keine religiösen", sagt Davis. Kenner der thailändischen Gesellschaft sehen dagegen mit einer gewissen Sorge die Gefahr sich verschärfender religiöser Spannungen zwischen Muslimen und Buddhisten, die im Nachbarland Myanmar bereits zu blutigen Ausschreitungen gegen Muslime geführt haben. Brad Adams von HRW betont: "Die thailändische Regierung muss sicherstellen, dass niemand in der buddhistischen Gemeinschaft religiösen Hass anfacht."
Ein Symptom der Radikalisierung in Teilen des thailändischen Buddhismus war der bereits vor einem halben veröffentlichte Aufruf des Mönches Aphichat Promja, zur Vergeltung von Anschlägen islamischer Separatisten aus dem Süden Moscheen in anderen Teilen des Landes niederzubrennen. Ein anderes die Verleihung eines Preises für die Verdienste um den Buddhismus durch die buddhistische Universität in Chiang Mai an den radikalen Mönch Wirathu aus Myanmar. Wirathu ist der Gründer des "Komitees zum Schutz von Nation und Religion" (Ma Ba Tha), dessen antimuslimische Hetze seit 2012 für eine Serie blutiger Ausschreitungen von Buddhisten gegen Muslime geführt hat.
Der Seele eine Tür aufmachen
Spekulationen über die Täter und Analysen der politischen Ränkespiele sind allerdings nicht das, was die Opfer der Bomben beschäftigen. Sie seien verwirrt und entsetzt über das, was ihnen widerfahren ist, erzählt Jörg Dunsbach. Der katholische Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde hat als Notfallseelsorger sechs Opfer in den Krankenhäusern von Hua Hin besucht. "Eine der verletzten jungen Frauen sagte mir 'Das kennt man von Nizza und Istanbul. Ich hätte aber nie erwartet, das so etwas Mitten in Thailand passieren kann'."
Für die jungen Leute, so Dunsbach, sei es sehr schwer zu begreifen, das man ihnen ihr Leben nehmen wollte. Um so wichtiger sei es, durch schnelle Krisenintervention zu helfen, das Trauma zu verarbeiten. "Bei traumatischen Erlebnissen verabschiedet sich die Seele aus Selbstschutz", weiß Dunsbach. "Deshalb ist es wichtig, der Seele eine Tür aufzumachen, damit sie zurückfindet."