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"Das Studium hat meine Spiritualität gestärkt"
Als Lehrkräfte sind sie sehr gefragt. Doch um Anerkennung in den islamischen Gemeinden müssen sie noch ringen: Die ersten Lehramtsstudenten für bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht beenden diesen Sommer an der Universität in Münster ihr Studium. Mit 20 Studenten fing der kleine Lehrstuhl im Jahr 2012 an. Bis zum Jahr 2016 haben sich 4.600 Menschen für ein Studium beworben. Eine Fakultät soll nun entstehen.

Einen moderaten und weltoffenen Islam sollten die Schüler vermittelt bekommen. Nicht in Hinterhofmoscheen, sondern an Schulen und Universitäten in Deutschland. Gemeinsam mit den muslimischen Dachverbänden sollten verfassungskonforme Lehrpläne erarbeitet werden. Neben den Lehrplänen veröffentlichten die Professoren am Zentrum für Islamische Theologien an der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster aber auch ihre Forschung. Zunächst vereinte Professor Sven Kalisch den Zorn der muslimischen Dachverbände auf sich, als er sich mit der Existenz des Propheten Muhammad beschäftigte und später Professor Mouhanad Khorchide. Denn auch seine Veröffentlichungen, wie "Islam ist Barmherzigkeit" und "Scharia, der missverstandene Gott" fand keinen Anklang bei den muslimischen Dachverbänden.

Autor:in
Özgür Uludağ
Özgür Uludağ

Özgür Uludağ ist freier Journalist und arbeitet für NDR, ARD und ZDF an Dokumentationen und Reportagen, sowie für die Orientzeitschrift "Zenith". Er hat Islamwissenschaften studiert und promoviert in Kiel zu islamischen Beerdigungen.

"Als ich 2010 gekommen bin, haben ein Großteil der Studierenden den Lehrstuhl boykottiert. Wir haben 2012 mit 20 Studierenden gestartet und sukzessive hat sich aber unter den Studierenden herumgesprochen: 'Moment, dieser Khorchide ist anders.' Jetzt kommen Studenten zu mir und fragen: 'Wieso kritisieren diese Leute sie? Ich habe ihr Buch gelesen und es hat mein Herz geöffnet.'“

Einer dieser Studenten, der zwar nicht mit allen Inhalten der Bücher Khorchides übereinstimmt, dessen Herz sich aber dennoch geöffnet hat, heißt Bilal Oskan. Der in Essen geborene halb Türke und halb Libanese, wollte, wie viele seiner Kommilitonen, mehr über seine eigene Religion erfahren. "Ich wollte den Koran auswendig lernen. Ich wollte die Hadithe auswendiglernen. Ich wollte wissen, was haram, also Sünde, und was halal, Tugend, ist. Aber wenn ich jetzt zurückblicke sage ich ganz klar: Ich bin froh, dass ich das gelernt habe, was ich nicht lernen wollte. Ich wusste nicht, dass es einen mystischen oder philosophischen Islam gibt. Das war für mich niemals denkbar. Das Studium hat mich mit auf eine Reise geführt, für die ich sehr dankbar bin."

Gut ausgebildet, aber mangelnde Anerkennung

So erging es auch Mariam Almeida. Als in Deutschland geborene Afghanin hatte sie zwar von Haus aus einige Grundkenntnisse vermittelt bekommen, doch im Zentrum für islamische Theologie wurde ihr klar, wie wenig sie vorher über den Islam gewusst hat. "Grundkenntnisse hatte ich auch durch mein Geschichtsstudium. Und weil ich immer mal wieder Seminare belegt hatte, die was mit dem Islam zu tun hatten und weil ich privat mal was gelesen hatte. Aber so fundiert, wie es dann im Studium geworden ist, dass habe ich bei Weitem nicht erwartet."

Mariam Almeida

Zum Studium der islamischen Religion gehört unter anderem die Koranexegese (Tafsir) ebenso dazu, die Hadithenwissenschaft, also die Auseinandersetzung mit den Prophetenüberlieferungen (Sunna), die islamische Rechtswissenschaft (Fikq), die islamische Philosophie (Falsafa), die Islamische Ethik (Ahlaq) aber auch Religionspädagogik und Didaktik sind Bestandteile des Studiums. Auch die arabische Sprache gehört zum Studium, weil sie den Zugang zu den Primärquellen Koran und Hadith ermöglicht. Für Mariam Almeida war die arabische Sprache die größte Herausforderung ihres Studiums:  "Arabisch musste ich komplett neu lernen. Das war für mich von allem, was ich in den Jahren gelernt habe, das Schwerste. Die anderen Fächer haben mir aber sehr viel Spaß gemacht: Fachdidaktik, islamische Normenlehre oder Glaubenspraxis. Das war alles neu und positiv für mich, weil ich einen solchen Zugang zuvor nie hatte."

Doch obwohl die Studenten umfassend ausgebildet wurden und an den Schulen als Lehrer für islamische Religionslehre sehr gefragt sind, müssen sie in den muslimischen Gemeinden noch um Anerkennung ringen. Einige stellen sogar das Studium der islamischen Theologie an einer Deutschen Hochschule in Frage, wie Bilal Oskan erzählt: "Bei meinem Onkel und meiner Tante merke ich, dass sie mein Studium nicht ernst nehmen. Sie würden ernst nehmen, wenn ich an der theologischen Fakultät der Az-Zahar in Ägypten oder an der Al-Kudz Universität in Jerusalem studiert hätte.“

Bilal Oskan.

Professor Mouhanad Khorchide kennt das Problem der mangelnden Anerkennung seiner Studenten in den muslimischen Gemeinden. "Das ist eben die große Herausforderung. Es wird in meinen Augen noch Zeit brauchen. Alleine das sie in Deutschland studiert haben, unabhängig davon wie qualifiziert sie sind, wie gut oder schlecht sie sind, das spielt weniger eine Rolle, sondern die Tatsache, dass sie in Deutschland studiert haben, macht es für sie schwierig sich durchzusetzen, als religiöse geistliche Autoritäten. Man erwartet doch ein traditionelles Bild von einem Imam, das ändert sich langsam in der zweiten und dritten Generation. Ich merke das auch an meinen Studierenden, die mir sagen, dass sie sich von vielen Imamen hier nicht angesprochen fühlen.“

Schutz vor Radikalisierung und Extremismus

Die Imame, die im Orient ausgebildet worden sind, sprechen aber oft kein oder nur sehr schlechtes Deutsch und kennen die Lebenswirklichkeit der jungen Muslime in Deutschland kaum. Auch Bilal Oskan fühlte sich von den Imamen in seiner Moschee nicht mehr angesprochen. "Es ist tatsächlich so, dass man mit 18,19,20 Jahren anfängt, sich zu hinterfragen: Was für ein Muslim bin ich? Entweder öffnet man YouTube und schaut sich die Videos an oder man entscheidet sich klug und man sagt sich, ich studiere jetzt dieses Studienfach. Und ich kann für mich sagen, dass mich das vor Radikalisierung geschützt hat. Ich fühle mich durch das Studium viel weltoffener. Ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich dieses Fach studieren konnte. Durch die Bildung und das am Lehrstuhl vermittelte Wissen hat sich meine Spiritualität gestärkt.“

Noch werden am Zentrum für islamische Theologie keine Imame, also Vorbeter, ausgebildet, sondern Theologen und Lehrer. Mit dem Bewusstsein für die Notwenigkeit von in Deutschland ausgebildeten Islamkundelehrern, ist auch der Bedarf an Lehrern massiv gestiegen. Mariam Almeida wollte schon immer Lehrerin für islamische Religion werden, nur ging das damals, als sie sich immatrikuliert hatte, noch nicht. Also studierte sie zunächst Geschichte und Philosophie auf Lehramt. Als dann 2010 islamische Religionslehre angeboten wurde, wechselte sie sofort in den neu gegründeten Jahrgang. "Ich habe auf verschiedenen Veranstaltungen mit Politikern gesprochen und immer wieder gehört, dass sie nur auf uns warten und dass wir eine hundertprozentige Berufschance haben, weil eben 2.000 bis 3.000 Lehrer gebraucht werden in Deutschland, ein Drittel davon in NordrheinWestfalen. Wir sind der erste Jahrgang und deshalb gehe ich davon aus, dass ich gute Einstellungschancen habe."

Islamische Theologie: Vom Lehrstuhl zur Fakultät

Auch Bilal Oskan sieht nach seinem Abschluss viele Möglichkeiten: "Man kann Lehrer werden, beim Jugendamt arbeiten, man kann in einigen Bereichen der Seelsorge arbeiten, man kann im Kinderheim arbeiten. Ich kann nun alles machen, was eine pädagogische Ausbildung benötigt und mit Muslimen zu tun hat." Ab August wird er erstmal als Vertretungslehrer für islamische Religionslehre beginnen. Den Vertrag hat er bereits unterschrieben.

Mit 20 Studenten haben sie in Münster 2012 den Lehrbetrieb aufgenommen. Seitdem haben sich 4.600 vornehmlich muslimische Studenten beworben. Das Zentrum für islamische Theologie wächst und die Absolventen sind gefragt. Weil der Ansturm der Studenten und der Bedarf an Lehrkräften so groß sind, wird das Zentrum für islamische Theologie nun zur Fakultät, sagt Mouhanad Khorchide: "Unser Senat der Universität hat vor ein paar Monaten beschlossen, dass wir eine Fakultät werden. Unser Zentrum wird ein eigener Fachbereich. Das ist keine Selbstverständlichkeit in Deutschland."