Stellen Sie sich vor, da wird einem eine 30 Zentimeter große Christusfigur aus dem frühen 18. Jahrhundert angeboten. Sehr gut erhalten, ein gefesselter und gegeißelter Gottessohn aus Alabaster mit Glanzvergoldung des Mantels. Ein Schnäppchen für einen niedrigen fünfstelligen Betrag. Genau das Richtige für den Wintergarten oder das eigene Wochenendhaus, könnte man denken. Doch Vorsicht ist geboten, das Kunstwerk ist Diebesgut, entwendet in Nürnberg, erfasst im aktuellen Bundeskriminalblatt für gestohlene und sichergestellte sakrale Gegenstände.
Besonders aus bayrischen Kirchen werden, so scheint es, hochwertige Plastiken, Kruzifixe und andere Kunstwerke entwendet. Vermisst wird aktuell etwa auch eine Madonna aus München oder die Lanze des heiligen Mauritius aus Coburg. Geklaut wird im Grunde in allen Landeskirchen und Diözesen. Bundesweites Aufsehen erregte jüngst etwa die Entwendung einer Reliquie aus dem Kölner Dom. Selbst in Berlin wird vermehrt zugegriffen, obwohl dort die Kirchen anders als etwa in Süddeutschland eher schlicht gehalten sind. Über 600 Mal hatten es die Langfinger 2015 auf christliche Immobilien in der deutschen Hauptstadt abgesehen.
Diebe stehlen Eisen und Kupfer
"Genau genommen kann es jede Kirche und jeden Friedhof treffen. Die Täter haben es offensichtlich auf Buntmetall abgesehen. Das ist insbesondere fatal, weil es sich ja zum Teil um Kunstgegenstände handelt, die einen viel höheren Wert haben als der eigentliche Materialwert darstellt", sagt der Berliner Polizeipressesprecher Thomas Neuendorf.
Die Einbrecher haben es oftmals also einfach nur auf Eisen oder Kupfer abgesehen, das schnell eingeschmolzen wird. Ein lohnendes Geschäft, zumal die Aufklärungsquote sehr gering ist. Besonders auf den vor allem nachts kaum zu überwachenden Friedhöfen kann leicht Beute gemacht werden. Metallene Grabinschriften werden abgeschlagen, Eisengitter und Umfriedungen ausgerissen, ja ganze Bronzeengel abtransportiert.
Eine offene Kirche will keine Festung sein
"Da werden von Friedhöfen Skulpturen entwendet, die entweder einen hohen künstlerischen Wert haben oder eben für die Angehörigen von besonderer Bedeutung sind, gestohlen aus schnödem Gewinnstreben. Offensichtlich machen sich die Täter keine Gedanken darum, dass hier andere Menschen allein von der Symbolik ganz schwer betroffen sind", schildert Neuendorf. Die Gemälde, Altarkreuze oder Monstranzen aus den Kirchen sind meist weniger attraktiv, sagt Stefan Förner, Pressesprecher im Erzbistum Berlin: "Das sind ja häufig Kunstgegenstände, die wir inventarisiert haben, Unikate, die vermutlich relativ schwer zu verkaufen sind."
Wenn sich aber schon jemand die Mühe macht, die groben Kirchenschlösser aufzubrechen, so wird zu aller erst nach Bargeld gesucht, im Opferstock oder in der Kerzenkasse, selbst wenn dort bei regelmäßiger Leerung meist nur wenige Euro zu holen sind. Manch einer versucht sein Diebesglück aber auch schon am Tage, etwa indem ganz schnell klebrige Streifen herabgelassen werden, um so zumindest die Scheine aus dem dunklen Spendenkasten hervorzuangeln. Gegen solch dreiste Diebe kann sich kaum eine Gemeinde schützen. Eine rund um die Uhr-Überwachung mit modernster Technik gilt als ausgeschlossen. Denn schließlich will man eine offene Kirche und keine Festung sein. Also braucht es viel ehrenamtliches Personal für die Aufsicht. Das wird im evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte extra auf Diebstähle vorbereitet.
"Wenn in Kirchen eingebrochen wurde, dann ist die Verunsicherung sehr groß. Es ist eine Angst da. Man weiß nicht, kommt jetzt gleich der nächste Einbruch? Da helfen Präventionskurse, die man bei der Polizei anfragen kann. Ein Tipp lautet: Höre auf dein Bauchgefühl! Da stimmt irgendwas nicht! Ansprechen von Besuchern in der Kirche ist da oft das Beste", rät Christiane Bertelsmann, Pressesprecherin im Kirchenkreis Berlin Stadtmitte.
Dabei ist nicht einmal ganz klar, ob die Täter immer nur von außen kommen und was nun eindeutiger Klau ist. Es gebe einen permanenten Schwund von Gesangbüchern, Kerzen und anderen Kleinigkeiten. Schwer ist da zu sagen, was da nur dauergeborgt ist und irgendwann vielleicht auch wieder auftaucht. Dem Kirchenklau aber wird man wohl auch in Zukunft kaum Einhalt gebieten können. Aber man kann sich intelligente Lösungen ausdenken, etwa bei der Renovierung alter Kirchen.
"Wir hatten einen Fall, dass die originalen Kupferregenrinnen nur eine Woche an der Kirche waren, dann wurden sie gestohlen. Im weiteren Konsens mit der Denkmalpflege haben wir dieses Kupfer jetzt durch Plastik ersetzt, das aber wie Kupfer aussieht, so dass ein Diebstahl zwecklos ist", verrät der Superintendent von Berlin Stadtmitte Bernd Höcker.