Die Frage der Frauenordination ist nur ein Teil der Gesamtentwicklung in der heutigen Kirche. Die Frauenordination wurde 1975 in der Lettischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (LELB) ohne Diskussionen eingeführt. In der Unterdrückung, in der die Kirche unter Sowjetmacht lebte, war keine große theologische Debatte möglich. Die Kirche wurde durch die Verfolgungszeit konservativ geprägt, die Theologie entwickelte sich in Abgrenzung zu den theologischen Prozessen in Europa, die viel offener waren.
Unter der Sowjetmacht schaute die Kirche, soweit es möglich war, auf Prozesse in der "freien Welt" und sehnte sich nach Kontakten zu ihr, sehnte sich danach, auch im eigenen Land etwas von dieser Freiheit zu verwirklichen. Nach der politischen Wende Anfang der Neunziger Jahre, wurden für viele die Veränderungen, plötzliche Pluralität der Meinungen und Lebensstile fast unerträglich, die Kirche verschloss sich von neuem, diesmal gegenüber den Einflüssen der einst so hoch geschätzten westlichen Kultur. Ironischerweise betrachtete sie zum Teil solche Denkweise und Strukturen, woran sie selbst in der Okkupationszeit gelitten hatte, jetzt als Teil ihrer Identität, zum Beispiel Schwarz-weiß-Denken, eine hohe Bedeutung der Autorität, Angst vor Demokratie und vor Freiheit des Wortes innerhalb der Kirche. Die Wahrheit ist für sie nur eine und jedes Abweichen davon bedeutet ein Abweichen vom rechten Weg, von Gott, vom Lebensweg. Wenn es um Frauenordination geht, geht es nicht um eine soziale Frage, sondern für viele ist das eine mit Erlösung verbundene Frage. Frauen nicht zu ordinieren, entspricht für sie der biblischen Wahrheit.
Angst um die eigene Existenz
Es wird geglaubt, dass die Bibel Frauen das Pastorenamt verbietet. So wird immer wieder die katholische Vorstellung, dass die zwölf Apostel Vorbild für das Priestertum in der Kirche seien, herbeigerufen, um zu betonen, Jesus habe keine Frauen als Apostellinnen eingesetzt, also dürften sie auch keine Pastorinnen werden.
Dieses Verständnis von biblischer Wahrheit mindert die Akzeptanz von Pluralität und Demokratie in der Kirche. Sie kann ja gefährlich sein, denn da können Meinungen verkündet werden, die der Wahrheit nicht entsprechen und schließlich die Kirche von ihrem richtigen Weg weichen lassen. Deswegen erlebt die Kirche in Lettland eine starke Krise ihrer lutherischen Identität. Viele finden Vorbilder ihrer Frömmigkeit in der katholischen und orthodoxen Tradition, viele Pastoren übernehmen die Amtskleidung dieser Kirchen, aber auch liturgische Elemente in ihren Gottesdiensten und sonstige Bräuche (Frauen tragen zum Beispiel in manchen Gemeinden Kopftücher, wie das in der orthodoxen Tradition Brauch ist). Eines der wichtigsten Tugenden ist der Gehorsam. Gehorsam gegenüber dem Bischof, dem Pastor, dem Mann, Gott. Wenig wird die Freiheit, die Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung vor Gott betont.
Dass die Frage jetzt gerade zur Aktualität geworden ist, ist durch das Aufleben des Neokonservativismus in religiösen, aber auch im politischen Bereich in Lettland und auch in anderen Ländern Europas zu erklären. Ich denke zum Beispiel an die Anti-Genderismus-Debatte, die sich gegen Gender Mainstreaming wendet und die von den Verteidigern der "Familienwerte" geführt wird.
Das Wichtigste ist Bildung
Doch es gibt Zeichen der Hoffnung. Wenn auch die deutliche Mehrheit der Synode die Verfassungsänderung, dass nur Männer ordiniert werden können, akzeptierte, wurde andererseits in der letischen Kirche zum ersten Mal seit 20 Jahren auch die Verteidigung der Frauenordination wieder lauter. Endlich standen auch einige Pastoren auf und setzten sich klar und offen für Frauenordination ein. Endlich wurde diese Frage wenigstens von einem Teil der Kirche als Teil des gelebten Evangeliums erkannt. Das war recht eindrücklich und hat trotz der bedrückenden Entscheidung neuen Mut gegeben und sogar Freude bereitet.
Es wird aber ein sehr, sehr langer Weg, bis diese Entscheidung rückgängig gemacht werden könnte. Das müsste wieder die Mehrheit der Kirche akzeptieren. Das kann kaum in einer kurzen Zeit geschehen. Manche Prozesse brauchen ihre Zeit und wir werden sie nicht beschleunigen können – das Reifen der Demokratie, der Gesellschaft selbst, die Entwicklung des freien Selbstbewusstseins der Menschen, des kritischen Denkens, der inklusiven Handlung – all das dauert. Auf der anderen Seite geschehen diese Prozesse nicht unbedingt von selbst, es bedarf auch einer Anstrengung. Eins der wichtigsten Dinge, die wir tun können, ist Bildung – an der Uni wie auch in der Kirche und in der Gesellschaft, damit die Horizonte der theologischen Argumentation erweitert werden.
Als Frauen in der Kirche können wir eine immer stärkere Solidarität untereinander bilden, eine Kirche für Frauen in der Kirche, in der sie als Frauen voll akzeptiert und geschätzt werden.