Vier Tage bevor die Synode der Lettischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (LELB) Frauen grundsätzlich von der Ordination ausschließt, entsteht dieses Bild, das den Erzbischof der LELB, Janis Van?gs, mit seiner Kollegin Lauma Zuš?vica zeigt. Sie ist Erzbischöfin der Lettischen Evangelisch-Lutherischen Kirche außerhalb Lettlands (LELBAL). Die zwei Erben Luthers stehen zwar nahe beieinander, doch sie stehen sich - im übertragenen Sinne - keinesfalls nahe. Es trennen sie ihre jeweilige Auslegung der Bibel , wie auch 50 Jahre, in denen sich ihre einstmals zusammengehörende Kirche zu zwei Kirchen auseinander entwickelt hat. So weit, dass die LELBAL nun mit der Gründung einer eigenen Propstei in Lettland ihren Anspruch verfestigt, Hüterin der nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissenen Tradition der lutherischen Kirche im Land zu sein.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges führte der Einfluss der Sowjetunion den größten Teil der lettischen Pfarrerschaft samt ihres Erzbischofs ins Exil. Die Theologische Fakultät Lettlands wurde geschlossen. Die Lettische Evangelisch-Lutherische Kirche erhielt die Namensergänzung "außerhalb Lettlands". Durch die Sowjetzeit hindurch unterstützten das Gustav-Adolf-Werk und die lettischen Lutheraner im Ausland ihre Glaubensbrüder und -schwestern der LELB hinter dem Eisernen Vorhang. Seit Beginn der 1980er unterhalten zudem zahlreiche deutsche Gemeinden der damals nordelbischen Kirche, heute Nordkirche, Partnerschaften mit Gemeinden der LELB - und die Landeskirche unterstützt diese finanziell, bisher.
Die Empörung ist ein kalkuliertes Risiko
Lauma Zuš?vica ist aus Milwaukee, USA, nach Lettland gereist, um dabei zu sein, wenn sich nach vielen Jahren Exil die erste Propstei der LELBAL in Lettland gründet. Dieser Propstei gehören vier Gemeinden und neun PfarrerInnen an und sie bedeutet, dass das Exil beendet ist. Auch eine Namensänderung ist bereits in Vorbereitung. Ungefähr die Hälfte der Pfarrerschaft der LELBAL ist weiblich.
In der LELB bestimmte bisher der jeweilige Erzbischof darüber, wer ordiniert werden darf. Die LELB hatte in ihrer Geschichte nur zwei Erzbischöfe, die sich getraut haben oder willens waren, Frauen zu ordinieren: Von 1969 bis 1983 und von 1989 bis 1993. Diese Amtszeiten waren beide von einer massiven Opposition konservativer Pfarrer geprägt, die mit Spaltung und Gründung einer eigenen Kirche drohten.
Für die Nachfolge nach 1993 wählte die Mehrheit der Synode mit knapper Mehrheit J?nis Vanags, den bis heute amtierenden Erzbischof. Durch eine Verfassungsänderung musste er sich nicht nach drei Jahren, so wie es die alte Verfassung vorgesehen hatte, erneut zur Wahl stellen und blieb im Amt. Vor seiner Wahl versicherte er bereits, keine Frauen ordinieren zu wollen - für die Synode war diese Versicherung maßgeblich, ihn überhaupt zu wählen. Gleichzeitig warnte er davor, dass die Kirche einem starken Druck von liberalen lutherischen Kirchen ausgesetzt sein würde.
Dass Lettlands Theologinnen und auch deutsche Glaubensschwester und -brüder nun entsetzt sind, war somit einkalkuliert. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs hatte schon vor der Synode gegen die geplante Verfassungsänderung protestiert. Die bayerische Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler schrieb, am 4. Juni, nach dem Beschluss, auf Facebook: "Das ist ja wohl die Höhe! Zurück ins Mittelalter oder was? Wo bleibt unser Proteststurm?" Zudem bedauerten das Gustav-Adolf-Werk, die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD), die EKD, die VELKD und die Nordkirche die Entscheidung.
Auch der Lutherische Weltbund (LWB) hat sie bedauert. Obwohl die LELB als Mitglied im LWB mit ihrer Haltung nicht alleine da steht. Insgesamt 30 der 145 Mitgliedskirchen praktizieren keine Frauenordination. Jedoch verpflichten sich die Mitgliedskirchen explizit zur Akzeptanz der Frauenordination.
Zwei Tage nach dem Beschluss der Synode, am Sonntag den 5. Juni, reagierte die erste lutherische Gemeinde in Lettland: Die Kreuzkirchen-Gemeinde in Liepaja stimmte dafür, die LELB zu verlassen und hat einen Antrag auf Aufnahme in die LELBAL gestellt. Der Pastor der Kreuzkirchen-Gemeinde, Martin Urdze, hatte bereits vor der Abstimmung auf der Synode mitgeteilt, dass er die LELB verlassen wolle, wenn die Frauenordination unmöglich werde. Laut Verfassung der LELB verliert die Gemeinde damit allerdings alle ihre Gebäude - diese verbleiben bei der LELB.
"Die Zusammenarbeit zwischen der LELB und der LELBAL war immer da", sagt Elmars Rozitis, der von 1994 bis 2015 Erzbischof der LELBAL war. Er hatte gehofft, dass die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands nach der Wende wieder eins werden könnte. Sein Vater und sein Großvater waren schon Pastoren der LELB. Doch in der gemeinsamen Geschichte der beiden Kirchen manifestierten sich über die Jahrzehnte zwei Strömungen. "Ich habe versucht, mit Argumenten für die Frauenordination zu werben", sagt Elmars Rozitis. "Doch das ist, als wenn sie mit Zeugen Jehovas reden", sagt er. Die von Menschen geschriebenen und übersetzten biblischen Belegstellen, die die Gegner der Frauenordination heranziehen, seien für sie nichts als Gottes Wort. Diese eigene Auslegung gelte.
Wer mit der Autorität des Schöpfers argumentiert, ist über alles erhaben - anscheinend selbst über die eigene Geschäftsordnung: Bei der Abstimmung war eine Dreiviertel-Mehrheit nötig, um die Frauen vom Pfarramt auszuschließen. Dies gelang, weil die Geschäftsführung die Enthaltungen kurzerhand nicht mitberechnete. 201 von 282 Synodalen stimmten gegen die Frauenordination - das sind nur knapp 72 Prozent, damit wäre die Dreiviertel-Mehrheit verfehlt gewesen. Proteste einiger Pfarrer ignorierte die Geschäftsführung der Synode. Und legte die Abstimmung zugunsten der Gegner aus. Warum?
Elmars Rozitis vermutet, dass die LELB-Synode die Ablehnung der Frauenordination auch als Bekenntnis ihrer Standhaftigkeit versteht. Der Druck aus dem Ausland, nicht zuletzt aus Deutschland, sich endlich zur Frauenordination zu bekennen, sei besonders im vergangenen Jahr groß gewesen. Mit ihrem Bekenntnis wollten sie möglicherweise zeigen, wie standhaft sie dem Druck und der Einmischung in ihre Angelegenheiten widerstehen können.
Zudem hätten sich verschiedene Identitäten innerhalb der LELB und der LELBAL herausgebildet, die auch davon abhingen, zu wem man sich hin orientiere, sagt Elmars Rozitis. Die Gemeinden der Exil-Letten der LELBAL liegen verstreut über Europa, Nord- und Südamerika sowie Australien und Neuseeland. LELBAL orientiert sich eher an liberalen Lutheranern. In Deutschland beispielsweise ist die Ordination von Frauen in der Evangelischen Kirche in den vergangenen fünf Jahrzehnten mehr und mehr selbstverständlich geworden.
Nordkirche will Beziehungen zur lettischen Kirchenleitung abbrechen
Für einige Freikirchen, wie auch die deutsche Selbstständige Lutherische Evangelische Kirche (SELK), gilt das jedoch bisher nicht. Innerhalb der SELK werden Frauen nicht ordiniert, dürfen nicht taufen oder das Abendmahl austeilen. Außer an der SELK orientiert sich die LELB zudem an der zweitgrößten amerikanischen Lutherischen Kirche Missouri-Synode. Mit ihr und der SELK ist die LELB in einer Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft verbunden. Auch die Lutherische Kirche Missouri-Synode und die SELK lehnen die Frauenordination als unbiblisch ab, haben dies in ihren Grundordnungen auch festgelegt. Eine Auflistung der Argumente gegen die Frauenordination findet sich hier. Der lettische Bischof von Kurland (Liepaja und Jelgava) hat bereits verkündet, dass in seinen Kirchen Frauen das Abendmahl nicht austeilen dürfen.
Aus deutscher Sicht stellt sich nun die Frage, welche Konsequenzen der Ausschluss der Frauen für die Partnerschaft der LELB und der Nordkirche hat. Die jeweiligen deutschen Gemeinden haben sich noch nicht entschieden, wie sie mit ihren lettischen Partnergemeinden umgehen. Doch die Delegation der Nordkirche, die an der Synode in der lettischen Hauptstadt teilgenommen hat, hatte sich bereits im Vorfeld festgelegt: Die Beschlussfassung berühre "die Grundlagen unserer Kirchenpartnerschaft", hatte Pastor Klaus Schäfer, Direktor des Zentrums für Mission und Ökumene, gesagt. Die Beziehungen zwischen den Kirchenämtern und den Kirchenleitungen der Nordkirche und der lettischen Kirche seien vom Abbruch bedroht. Schäfer geht nun, eine Woche nach dem Synodenbeschluss, davon aus, dass die Nordkirchen-Leitung diese Ankündigung wahr macht.