Die Organisation Open Doors setzt sich für verfolgte Christen ein. Ihr aktueller Streit mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erreicht aber genau das Gegenteil. Der Sorge um religiös motivierte Konflikte in deutschen Flüchtlingsheimen erweist die Organisation gerade einen Bärendienst.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hatte der Open-Doors-Befragung zu Christenverfolgung in Flüchtlingsunterkünften, die die Organisation am 9. Mai veröffentlicht hatte, hinterher recherchiert. Die Autoren kamen zu dem Schluss: "Für die Behauptung aber, dass es sich bei solchen Übergriffen um systematische Christenverfolgung durch ein Kartell aus muslimischen Flüchtlingen und Wachleuten handelt, die politisch korrekte Behörden, Wohlfahrtsverbände und Kirchen gewähren lassen, ist 'Open Doors' einen Beleg schuldig geblieben."
Open Doors reagierte und versuchte, Einzelheiten der FAS-Recherche detailliert zu widerlegen, zum Beispiel so: "Open Doors stellt dazu fest, dass in der Erhebung an keiner Stelle von 'flächendeckenden Fällen von Gewalt und Drangsalierung gegenüber Christen' die Rede ist, sondern von 'gehäuftem Auftreten'."
Das ist Wortklauberei. Ob "gehäuft" oder "flächendeckend": Open Doors möchte sehr wohl den Eindruck erwecken, geflüchtete Christen würden in Deutschland überall verfolgt, auch wenn ihre Erhebung das empirisch nicht hergibt. Wenn man sich anschaut, wie Open Doors die Ergebnisse präsentiert, verstärkt sich dieser Eindruck.
Auf der Webseite zur Erhebung schreibt Open Doors: "Dabei ist anzunehmen, dass die dokumentierten Fälle nur die Spitze des Eisberges abbilden." Open-Doors-Sprecher Markus Rode sagte der ARD am 12. Mai auf die Frage, ob die Fälle Einzelfälle seien: "Es wurde leider immer wieder von Einzelfällen gesprochen. Wir verstehen das eigentlich nicht, denn wenn man von Einzelfällen spricht, muss man ja in die Tiefe bohren. Wir haben das getan […] und wir sind übereinstimmend der Auffassung: Es geht hier um ein, ja, man kann fast sagen, eine systematische Verfolgung. […] Es kommt überall vor, es ist also gehäuft, und es ist eine eigentlich unerträgliche Situation."
Die Deutsche Evangelische Allianz formulierte in einer Pressemitteilung anlässlich der Erhebung: "Zudem sei die These, Bedrängungen und Bedrohungen von Christen in Flüchtlingsheimen wären nur bedauerliche Einzelfälle, spätestens durch diese Studie überholt."
Auch gegenüber der FAS hat sich Open-Doors-Leiter Markus Rode ähnlich geäußert. Die FAS hat folgendes wörtliches Zitat aus der Tonaufnahme ihres Gesprächs mit Rode nachträglich in die Online-Version des Textes eingefügt: „Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen eine Verbindung, da können Sie wenn Sie wollen, können Sie hundert haben, Sie können auch tausend haben.“ (An dem Zitat habe ich übrigens keinen Zweifel - eine Zeitung wie die FAS/FAZ und ihr Autor Reinhard Bingener haben mehr zu verlieren, wenn sie ein solches Zitat fälschten, als sie dadurch gewinnen könnten.)
Die Übertreibung macht unglaubwürdig
Es ist genau diese Übertreibung, die Open Doors unglaubwürdig macht. Denn die Erhebung, die Open Doors geliefert hat, ist kein Beleg für systematische Christenverfolgung in deutschen Flüchtlingsheimen, unter anderem eben auch deswegen, weil die Fälle deutschlandweit unterschiedlich verteilt sind (von den 231 erfassten Fällen kamen 152 aus einer Berliner Gemeinde). Jeder der Fälle ist bedenklich und bedauerlich, und jedem muss nachgegangen werden. Der FAS-Text zeigt aber auch, dass jeder dieser Fälle einzeln betrachtet werden muss. Um solche Konflikte zu lösen, müssen Flüchtlingshelfer, Pastoren und auch die Leitungen von Flüchtlingsheimen gemeinsam eine Lösung für jeden konkreten Fall finden.
Open Doors dagegen profitiert davon, wenn der Eindruck entsteht, dass jeder christliche Flüchtling in Deutschland hier weiterverfolgt wird, auch wenn ihre eigene empirische Erhebung diese Vermutung nicht zuverlässig stützt. Wenn Open Doors wirklich daran gelegen ist, diesen Menschen zu helfen statt sich selbst als die Retter der Christenheit zu preisen, wäre ein sachlicherer Umgang mit den ermittelten Hinweisen besser.
Denn die Open-Doors-Erhebung zeigt trotz aller Kritik, dass wir über eine höhere Sensibilität für religiöse Fragen bei der Unterbringung von Flüchtlingen zumindest reden müssen. Die SELK-Gemeinde von Pfarrer Gottfried Martens in Berlin, aus der die meisten Rückmeldungen kamen, könnte als positives Beispiel dienen: Wenn es dort so viele religiöse Konflikte gibt, müssen sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und überlegen, ob es eine gemeinsame Lösung dafür gibt.
Die Wirklichkeit ist komplizierter
Das geht auch bundesweit. Dann müssen aber Vertreter der großen Kirchen dabei sein, das Innenministerium muss mitmachen, und Betreiber von Flüchtlingsheimen müssen ebenso eingebunden werden wie Helfer und Betroffene aller Religionen. Das ist zwar zähe Arbeit, aber es würde praktisch helfen - und zwar allen Geflüchteten, die in Deutschland religiös motivierte Konflikte erleben. Denn aus einer christlichen Menschenliebe heraus ergibt sich eine Verantwortung, die nicht nur für Christen gilt.
An so einer Zusammenarbeit scheint Open Doors aber nicht interessiert zu sein. Denn die Organisation lässt keine andere Sichtweise zu als den Blick durch die Christenverfolgungsbrille. Ihre Reaktionen auf den FAS-Artikel lesen sich wie "Entweder du bist für uns oder gegen uns", ein Vorwurf, den Open Doors auch für die EKD bereithält: Als potentiell Betroffener darf man keine differenzierte Meinung haben. Aber eine solche fundamentalistische Position macht blind gegenüber einer komplizierten Wirklichkeit.