Manche Kirchenführer schlucken schwer beim Gedanken an Donald Trump. Was der Immobilienmogul und künftige US-Präsidentschaftskandidat der Republikaner wirklich glaubt, weiß man nicht. Früher war er für das Recht auf Abtreibung, jetzt ist er angeblich dagegen. Im "Kulturkrieg" der frommen Rechten gegen eine zunehmende Liberalisierung der US-Gesellschaft ist er nie in Erscheinung getreten. Der dreimal verheiratete Casino-Gründer, der seine Gegner und Kritiker degradiert und beleidigt, steht eher für einen Wertezerfall, den konservative Christen anprangern.
Der baptistische Theologe Russell Moore beklagte jüngst auf Twitter, "nur eine Gesellschaft, die sich an Pornografie gewöhnt hat, könnte einen so frauenfeindlichen Mann" wählen. Christen könnten weder guten Gewissens für Trump noch für die Demokratin Hillary Clinton stimmen, sagte Moores Kollege Albert Mohler im Informationsdienst seiner Kirche, des Südlichen Baptistenverbandes. Clinton gilt als nicht wählbar, weil sie legale Abtreibung und Homo-Ehe bejaht.
Ein bisschen Wein trinken, einen kleinen Keks essen
Die Republikanische Partei sei seit Jahren ein Instrument, um katholische Anliegen voranzutreiben, darunter Lebensschutz, traditionelle Ehe, und Religionsfreiheit, lobten rund 30 namhafte konservative katholische Akademiker und Juristen in einem offenen Brief. Das sei nun in "großer Gefahr". Trumps Appelle an "rassenbezogene und ethnische Ängste" verletzten "katholisches Empfinden".
Als Teenager wurde Donald Trump in einer presbyterianischen Gemeinde konfirmiert. In mehreren Interviews hat er lobend über den 1993 gestorbenen Pastor und Selbsthilfeautor Norman Vincent Peale gesprochen, berühmt wegen seiner Lehre von der "Kraft des positiven Denkens". Als junger Mann habe er Peale predigen hören, sagte Trump der "Washington Post": "Er konnte 90 Minuten lang sprechen und die Zuhörer haben sich aufgeregt, wenn er Schluss machte." Trumps Eltern waren Mitglieder von Peales Gemeinde in New York City.
Als er vergangenes Jahr in einem TV-Interview nach seiner Lieblingsstelle in der Bibel gefragt wurde, wiegelte der Kandidat ab. Das sei privat. Jüngst hakte der Rundfunksender WHAM in Rochester in New York nach. Es gebe viele, erwiderte Trump, doch "Auge um Auge" treffe wohl zu. Die Passage aus dem Buch Mose im Alten Testament, die Maßstäbe gesetzt hat für Schlichtung von Streitigkeiten, wird oft fälschlich als Aufruf zu Gegenwehr und Rache verstanden. "Auge um Auge" sei "nicht besonders nett", aber man sehe doch, wie andere Länder "uns verspotten und ... unsere Jobs wegnehmen, unser Geld und unser Wohlergeben", sagte Trump ganz auf dieser Linie: "Wir müssen sehr stark sein und wir können viel aus der Bibel lernen, das kann ich Ihnen sagen." Jesus freilich rief in der Bergpredigt zum Verzicht auf Gegenwehr und Gewalt auf.
Viele Protestanten waren durch Trumps Äußerungen irritiert. Im Gedächtnis bleibt ihnen auch sein Fernsehinterview vom vergangenen Sommer, er sei sich "nicht sicher, ob ich Gott jemals um Verzeihung gebeten habe". Gelegentlich besuche er einen Gottesdienst, und wenn er zur Kirche gehe und "ein bisschen meinen Wein trinke und meinen kleinen Keks esse", dann sei das "eine Form des Vergebens".
Trotz eher simpler religiöser Auffassungen hat Trump bei den Vorwahlen im "Bibelgürtel" in den Südstaaten und unter Wählern, die sich als evangelikal klassifizieren, gut abgeschnitten. In Indiana, dem Vorwahlstaat, der Trump Anfang Mai aufs Siegespodest hievte, waren laut CNN 60 Prozent der Vorwähler Evangelikale. 51 Prozent hatten für Trump gestimmt und 43 Prozent für seinen Rivalen Ted Cruz, einen gestandenen Baptisten.
Rückendeckung aus der Ecke des Wohlstandsevangeliums
Doch traditionelle "Moralthemen" nehmen kaum Raum ein im republikanischen Wahlkampf 2016. Der Historiker John Fea erläuterte im Informationsdienst "Religion News Service" die religiösen Beweggründe mancher Evangelikaler für Trump: Viele glaubten, die USA seien von Gott auserkoren und sähen Trumps Versprechen positiv, Amerika wieder zu seiner alten Größe zurückzuführen. Diese Wähler seien bereit, Trumps "Wortwahl und Rohheit" hinzunehmen.
Je öfter jedoch Evangelikale zur Kirche gingen, umso weniger wählten sie Trump, erklärte der Leiter des christlichen Meinungsforschungsinstitute Lifeway Research, Ed Stetzer. In Indiana hätten Evangelikale, die mehr als einmal in der Woche einen Gottesdienst besuchen, mit 61 Prozent für Ted Cruz gestimmt, nur 33 Prozent für Trump.
Rückendeckung erhält dieser wiederum aus der Ecke des Wohlstandsevangeliums, dem zufolge Gott Gläubige mit Reichtum segnet. Im Herbst trafen sich die Fernsehpredigerin Paula White und andere Wohlstandsevangelisten mit Trump, um Hände aufzulegen und den Kandidaten zu segnen.