Ob die Hetzer jetzt darüber nachdenken, wie ihr Handeln mit christlichen Werten vereinbar ist – er weiß es nicht. Aber Beck will nicht aufhören zu diskutieren. "Die Populisten sind im Internet so stark, weil sie top darin sind, alles zu verkürzen und zuzuspitzen", sagt der Politiker. Demokraten hingegen diskutieren Themen in all ihrer Komplexität und differenzieren – zu Recht, wie Beck findet, und man dürfe auch nicht damit aufhören. Er predigt an diesem Tag zu den Bekehrten. Denn die rund 70 Anwesenden wollen differenziert darüber diskutieren, wie die Kirchen mit der Herausforderung des gesellschaftlichen Rechtsrucks umgehen können und was sie der Feindbildinszenierung theologisch entgegenzusetzen haben.
Annette Jantzen, Referentin für Kirchenpolitik und Jugendpastoral des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, gibt offen zu, dass ihr die Frage, ob sich die Kirche gegen Rechtsextremismus stellen müsse, zuerst fremd war. "Ich empfinde es als selbstverständlich, dass wir Fremden mit Empathie begegnen und uns im Umkehrschluss natürlich gegen Rechtsextremismus stellen müssen", sagt sie und beruft sich dabei beispielsweise auf 3. Mose 19,33-34: "Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben: Er ist wie du; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen." Dann sei ihr jedoch bewusst geworden, dass Religion und Kirche nicht per se vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit schützen können – ganz im Gegenteil sogar. "Denn Religionen haben immer ein Innen und Außen, Gläubige und Ungläubige. Die Bibel erzählt auch eine Abgrenzungsgeschichte vom Judentum und den Heiden", erklärt Jantzen.
Nicht reden, sondern handeln
Für den Beauftragten für Kirche und Rechtsextremismus des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, Joachim Nolte, wird diese Dualität von Innen und Außen jedoch von der Zusage Gottes, die für alle Menschen gilt, übertrumpft. "Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch", so steht es beispielsweise in 1. Joh. 3,1. Jedoch werde Gottes Zusage von der Mehrheit nicht in dieser allumfassenden Breite erkannt. Dem stimmt auch Jantzen zu: "Die Menschen denken zum Beispiel: Gott muss mich ja zumindest ein kleines bisschen bevorzugen, weil ich zur Messe gehe. Die Vorstellung, dass Gott alle Menschen unabhängig von ihren Taten gleich liebt, ist schwer zu verinnerlichen." Diese Verheißung für alle sei jedoch ein wichtiges theologisches Argument gegen jene, die gegen Ausländer, Homosexuelle und andere hetzen.
Doch nicht nur diese Verheißung könne gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit helfen. Der evangelische Theologe und Soziologe Thomas Dreessen schwört auf die Wirksamkeit gemeinsamer, positiver Erfahrungen. Er bringt Jugendliche zusammen und lässt sie gemeinsam etwas unternehmen. "Nicht über Bibelstellen reden ist wichtig, sondern im Leben danach handeln. Und das eigene Auenland verlassen, um zu erfahren, wie andere Menschen leben", sagt Dreessen. Der Abbau von Unwissenheit und Vorurteilen aller Art sei wichtig, da beides der beste Nährboden für Ängste sei und diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit fördere. Stattdessen solle man Jesu Beispiel folgen: Er habe jeden an seinen Tisch eingeladen – die Sünder, die Zöllner, die Samariter. Wer sie waren – es spielte keine Rolle. "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt eins in Christus", schrieb Paulus an die Galater (3,28).
"Schütze das Recht der Hilflosen"
Irgendwann kommt in der Diskussion die Frage auf, wie man diese Inhalte all jenen begreifbar machen sollte, die "unterm theologischen Radar fliegen". Dieser gedankliche Schritt in die Praxis fällt einigen Teilnehmenden schwer. Denn theologische Erkenntnis ist nicht gleich Praxis. "Wir dürfen nicht die Fachsprache und komplexe Bibelauslegungen verwenden, sondern müssen die Befreiungs- und Entgrenzungsgeschichte tatsächlich lebendig erzählen, denn so ist der hermeneutische Schlüssel automatisch mit drin", fordert Annette Jantzen. Und Thomas Dreessen fügt hinzu: "Wir müssen sie mit Leben füllen und im Alltag danach handeln."
Am Ende der Konferenz bleibt jedoch auch die Erkenntnis, dass es kein theologisches Allheilmittel gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gibt. Was eigentlich wirken sollte – nämlich die Verheißung, dass alle Gottes Kinder sind und die Selbstrelativierung, die im Glauben steckt – wirkt nicht bei allen. Damit muss man klarkommen – aber sich nicht damit abfinden. Denn die Bibel (Sprüche 31,8-9) fordert auf: "Du aber tritt für die Leute ein, die sich selbst nicht verteidigen können! Schütze das Recht der Hilflosen. Sprich für sie und regiere gerecht! Hilf den Armen und Unterdrückten!"