Worum geht es der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R)?
Friedemann Bringt: Unser Thema ist ein selbstkritischer Blick auf die Kirchen, der in der Kirche auch nachgefragt ist. Uns geht es nicht so sehr um die Neonazis von außen, sondern es geht um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Vorurteile, auch religiös fundamentierte Vorurteile, innerhalb der Kirche. Dazu veranstalten wir bundesweit Fortbildungen und Konferenzen.
Wie sieht christlich fundamentierte Menschenfeindlichkeit aus?
Bringt: Religion kann vor Vorurteilen schützen, diese aber auch fördern. Starke Religiosität bei Ablehnung kultureller und religiöser Vielfalt sowie autoritärer Grundhaltung fördert die Affinität zu menschenfeindlichen Einstellungen. Glauben Menschen, der eigene Glaube sei der allein seligmachende, ist die Wahrscheinlichkeit andere Religionen abzulehnen höher. Aber auch die Wahrscheinlichkeit, andere Gruppen von Menschen abzuwerten, wie Schwule, Lesben oder Transgender oder Menschen mit Behinderung, steigt. Das zeigen beispielsweise aktuelle Studien des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld und der Uni Leipzig. Wir sind der Meinung: Wir werden Teil der Lösung, wenn wir erkennen, dass wir Teil des Problems sind.
Sie sagen, solche Feindlichkeit in der Kirche zu finden, habe Sie überrascht?
Bringt: Es macht schon betroffen festzustellen, dass etwa die Feindlichkeit gegenüber Jüdinnen und Juden trotz jahrelanger Auseinandersetzung nach dem Versagen der Kirchen während der Shoah noch immer ein Traditionsbestandteil volkskirchlichen Lebens ist. In der mobilen Beratung haben wir festgestellt, dass wenn wir mit diesen Themen in die Dörfer und Gemeinden gehen, die Kirchgemeinden keine Ansprechpartner sind, was wir aufgrund des biblischen Menschenbildes annahmen. Jedenfalls vielfach nicht. Das hat uns dazu geführt, mit Partnern zunächst eine Landesarbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus in Sachsen zu gründen, die gerade ihr zehnjähriges Bestehen feierte, und im Jahr 2010 die BAG K+R.
Es gibt aber auch viele Menschen in der Kirche, die sich für Geflüchtete engagieren.
Bringt: Ja, das muss man auch sagen, dass die Hilfe für geflüchtete Menschen in Deutschland ein Thema ist, wo sich viele Christinnen und Christen engagieren. Unser Land wäre ohne diese engagierten Christen nicht so menschlich. Es gibt also Licht und Schatten: Wir blicken einerseits selbstkritisch und wollen andererseits nicht unser Licht unter den Scheffel stellen. Auf dem Kirchentag 2015 in Stuttgart haben wir daher eine vielbeachtete Kampagne mit dem Motto "Wir sind viele für das Recht zu kommen und zu bleiben" gestartet, um das positive Potenzial der Kirchen in der Unterstützung für Geflüchtete zu würdigen. Welches aber - und darauf wollten wir ebenso hinweisen - Beratung und Begleitung braucht, Hilfe und Unterstützung etwa, wenn Ehrenamtliche durch rassistisch motivierte Hassgewalt oder -sprache angegriffen werden. Viele sind erstmals von so etwas betroffen und hilflos. Da sind wir eine wichtige Vermittlungsinstanz zu professionellen Beratungs- und Unterstützungsangeboten im gesamten Bundesgebiet. Und das ist bei Weitem nicht nur ein Thema des Ostens, sondern in allen Teilen des Landes verbreitet, wenngleich die Gefährdung durch Gewaltakte im Osten höher ist.
"Wenn man als Kirche einlädt, dann soll man auch als Kirche sichtbar werden"
Beratung und Hilfestellung gegen rechtsextreme Übergriffe sind auch Themen ihrer Konferenz in Villigst, am 15. und 16. April?
Bringt: Einerseits wollen wir uns bei dieser Konferenz mit aktuellen reaktionären Tendenzen innerhalb von Kirche und Gesellschaft befassen. Wir haben seit eineinhalb Jahren Pegida- und Hogesa-Demonstrationen, wir haben die aktuellen AfD-Wahlerfolge und beinahe täglich brennen in Deutschland Unterkünfte für Geflüchtete. Auf der anderen Seite erleben wir das eben erwähnte vielfältige Engagement, gerade in kirchlichen Kontexten. Die Frage ist: Wie gehen wir als Kirchen mit der Spaltung unserer Gesellschaft um? Wir sehen da teilweise sehr hilflose Versuche des Dialogs mit Asylgegnern, teilweise sogar mit rassistischen Akteuren der neuen Rechten. Zum Beispiel in Dresden, wo Pegida den größten Zuspruch findet und in der Kreuzkirche schlecht moderierte Dialogforen stattfinden.
Wieso schlecht moderiert?
Bringt: In der Kreuzkirche haben wir mehrere Dialogforen erlebt, die geprägt waren von Hass. Es gab kaum eine Moderation. Ich finde es erschreckend, dass Kirche da nicht besser vorbereitet ist. Es ist sehr zu kritisieren, dass kirchliche Akteure die ureigenen Dialogformate in den Gemeindekreisen und Bibelgruppen so wenig wertschätzt. Denn es gibt natürlich Menschen, die ernstzunehmende Besorgnisse haben, die tatsächlich diskutiert werden müssen. Allerdings nicht mit einer naiven Öffnung gegenüber Akteuren der neuen Rechten oder gar auf Kosten der eigenen christlichen Parteinahme für die Geflüchteten. Aus dem biblischen Liebesgebot, also dem, was Fremde für Christinnen und Christen bedeuten, folgt ein unverhandelbares christliches Bekenntnis: Fremde müssen geschützt werden. Deshalb sind gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und rechtsextreme Einstellungen nicht verhandelbar, sondern fordern unsere Grundpositionen, unser christliches Bekenntnis heraus.
Was wäre ein passendes Format für Kirche?
Bringt: Es gibt offene Abende, Jugend- und Älterengruppen oder allsonntägliche Predigtgespräche, die leider stiefmütterlich behandelt werden. Besonders wichtig wäre das Gespräch mit geflüchteten Menschen über ihre Erfahrungen und die Fluchthintergründe. Solche Formate abseits der großen Öffentlichkeit sind nachhaltig und einer christlichen Gemeinde angemessen. Sie werden zudem von Akteuren der Neuen Rechten mit einer eigenen politischen Agenda kaum genutzt, weil sie keine große öffentliche Bühne versprechen. Wer glaubt, mit großen Foren einen echten Dialog zu erzeugen, ist auf dem Holzweg. Wichtig wäre zu gucken, welche Formate in jeder einzelnen Kirchengemeinde gebräuchlich und angemessen sind. Wie kann man dort über Ängste sprechen und zwar so, das Ängste und Vorurteile abgebaut werden und das biblische Menschenbild tatsächlich im Zentrum der Debatte steht?
Wenn man als Kirche einlädt, dann muss man auch als Kirche sichtbar werden. Dann müssen sich Pfarrerinnen und Pfarrer mit Gebeten, Liedern und eigenen Statements zu Wort melden und nicht die Moderation anderen Leuten überlassen.
"Wir erleben, dass sich die Leute ganz mit ihrer Meinung und Haltung zurückhalten und das biblische Menschenbild gar keine Rolle mehr spielt"
Für so einen Dialog müsste ein Pfarrer aber auch gerüstet sein.
Bringt: Genau. Und was noch viel wichtiger ist: sie müssten die vorhandenen Beratungsangebote für solche Problemlagen kennen und wahrnehmen. Bei Veranstaltungen wie unserer Konferenz lernt man solche Angebote und Akteure ganz praktisch kennen.
Wir erleben aber, dass sich kirchliche Akteure ganz mit ihrer Meinung und Haltung zurückhalten und das biblische Menschenbild gar keine Rolle mehr spielt. Kirche ist nicht neutral oder unpolitisch, sie steht vielmehr auf der Schrift, die Bibel ist ein einziges Schriftstück für die Hilfe für Geflüchtete. Die Erfahrung aus Sachsen und Württemberg ist, dass die AfD in pietistisch beziehungsweise evangelikal geprägten Gegenden überproportional viele Stimmen einfährt. Wir müssen leider eine Bewegung - auch innerhalb von Kirche - konstatieren, die sich von politischen Angeboten der Parteien bis hin zur CDU nicht mehr repräsentiert fühlt und Rechtspopulisten wählt.
Welche Themen werden Sie auf ihrer Konferenz im April bearbeiten?
Einer unserer Themenschwerpunkte auf der Konferenz ist die Abwehr von Gender-Mainstreaming, die Rückwärtsgewandtheit von Frauen- und Männerbildern, die Abwehr feministischer Theologie. Haltungen, die Beatrix von Storch und Frauke Petry, beide AfD und Mitglieder der evangelischen Kirche, repräsentieren. Wir müssen deutlich machen: Es gibt in unseren eigenen Reihen Probleme und das ist ein Thema für die Bildungsarbeit in der Kirche, angefangen in den Kindergärten und im Konfirmationsunterricht.
Auf den Workshops unserer Konferenz wollen wir beispielsweise erarbeiten, wie wir in der kirchlichen Bildungsarbeit mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im religiösen Gewand, am Beispiel von Gender-Hass und Homophobie, umgehen können. Wir werden auf Beratungsangebote für Betroffene von rechter Gewalt außerhalb von Kirche schauen und fragen: Was kann Kirche davon lernen und was sollte Kirche davon wissen? Wir wollen darüber nachdenken, welche Theologie und Gemeindepraxis zu Menschenfreundlichkeit und Weltoffenheit befähigt.
Wer kann teilnehmen?
Die Konferenz ist sowohl ein Fortbildungsangebot für Ehrenamtliche aus Willkommensinitiativen, als auch für Hauptamtliche im Mittelbau der Kirchen, die selbst in der Bildungsarbeit tätig sind und diese Fragen diskutieren und weiterentwickeln wollen.