Sie haben in Workcamps bisher 58 neue Häuser errichtet – so eine Art Fachwerkhäuser mit Lehm und Schilf. Haben Sie diese Bauweise extra für die Umsiedlerhäuser erfunden?
Dann kommt im Sommer das Camp. Die Mitarbeitenden bringen in die Schalung im Holzständerwerk ein Gemisch aus Holzhäcksel und Lehm ein, das bildet im Grunde die Außenwände. Zusätzlich ernten wir Schilf, das macht eine Brigade im Winter auf dem Narotsch-See. Dieses Schilf wird gesäubert und gebündelt und zu Schilfmatten verarbeitet. Die kommen dann zusätzlich auf die Außenhaut drauf und das Ganze wird verputzt. Wir haben also Materialien aus der Region, die von guter Qualität und außerdem günstig sind.
Diese Arbeit mit Lehm und Schilf erfordert sehr viele Hände, deswegen arbeiten wir in Camps. Wir schaffen es, in drei Wochen so ein Haus im Rohbau fertig zu machen. Im Sommer trocknet der Lehm aus, im Winter, wenn man heizen kann, wird der Innenausbau gemacht, und im Frühjahr ist das Haus fertig. Es dauert also ungefähr ein Jahr, so ein Haus hinzustellen, und die künftigen Bewohner sind immer dabei.
Sie arbeiten in den Workcamps mit Laien zusammen. Können die das überhaupt? Wie bringen Sie den Leuten das Bauen bei?
Heinrichs: Sie können das nicht, sonst würden wir sie ja nicht Laien nennen. Es sind aber willige Leute, das ist das Wichtige dabei. Das sind pro Workcamp 20 bis 25 Leute, vom 17-jährigen Jungen über den Arbeitslosen, den Ex-General und die Oma bis hin zur Studentin. Alle sind vereint in dem Wunsch: "Ich will etwas tun und etwas beitragen." Das ist für mich wesentlich wichtiger als ein Fachmann, der keine Lust hat.
Die Arbeit ist so gestaltet, dass sie nachvollziehbar ist und schnell verstanden wird. Wenn wir zum Beispiel die Mischung aus Lehm und Häcksel herstellen, muss man einfach nur zählen und schaufeln, so dass Lehm, Holzhäcksel und Wasser im richtigen Verhältnis stehen. Das hat man sehr schnell raus, ein Laie kann das nach einer halben Stunde. Und eine Schubkarre packen und ins Haus hineinbringen, kann auch ein Laie, der muss es einfach nur wollen. Es ist eine Fleißarbeit. Entscheidend ist allerdings die Sorgfalt: dass das Material in alle Ecken reingefüllt wird und das Haus dadurch gut gedämmt wird. Die Motivation muss da sein, dann läuft das alles wunderbar.
Die Leute in einem Workcamp kennen sich vorher ja nicht alle. Wie entwickelt sich eine Gruppe während eines dreiwöchigen Einsatzes?
Heinrichs: Es sind immer Veteranen dabei, das sind Leute, die schon süchtig geworden sind und die mitfahren wollen, die muss man manchmal bremsen. Aber die Veteranen haben natürlich auch ein bisschen Ahnung, die wissen, wie der Hase läuft, das sind praktisch meine Vorarbeiter. Wenn ich denen sage: Nimm dir jetzt diese drei, vier Leute hier, und ihr macht das jetzt so uns so, dann ist es sehr schnell möglich, alle Leute an die Arbeit zu bringen und allen das Gefühl zu geben, dass sie was beitragen und nicht einfach nur da stehen und gucken, denn das wollen sie auf keinen Fall. Sie wollen die Zeit vernünftig nutzen.
Was tut man in einem weißrussischen Dorf nach Feierabend?
Heinrichs: Wir haben ein Kontingent an Fahrrädern da, der See ist 300 Meter weg, man geht schwimmen, man fährt in die Stadt, man fährt durch das Land, man geht spazieren, man spielt Volleyball mit der Dorfjugend. Wenn's dunkel wird, wird ein Lagerfeuer angezündet, dann sitzt man um das Lagerfeuer herum, andere spielen. Es bilden sich immer Gruppen, die einander Deutsch oder Russisch beibringen, das ist sehr intensiv, es ist immer ein Miteinander. Selten sondern sich Leute ab und machen ein Nickerchen. Es gab auch schon Sängerwettstreite oder Tanzabende, und wir haben viele Feste gefeiert – sei es Richtfest, sei es Halbzeit, sei es Verabschiedung – es gibt immer einen Grund.
"Sie sind durch die Arbeit so mutig geworden, dass sie Entscheidungen fällen, die sie sich vorher nicht zugetraut haben"
Der Bau der Wohnhäuser ist ja nun abgeschlossen. Was nehmen Sie und die Workcamp-Teilnehmer mit?
Heinrichs: Es macht mir Freude zu sehen, wie diese Laien, die mit der Arbeit vorher noch nie Kontakt hatten, über sich hinauswachsen und mutig werden – nicht, indem sie oben über den First tanzen, sondern indem sich etwas zutrauen, nämlich eine Arbeit durchzuziehen und nachher stolz darauf sind, das ist das Allerwichtigste. Nicht nur für die späteren Bewohner, die dadurch Unterstützung bekommen, sondern auch die Camp-Teilnehmer. Egal, wer es auch war: Man lernt dabei und findet das schon deshalb positiv, weil man etwas gemeinsam geschafft hat. Jeder kann stolz sein, seinen Teil dazu beigetragen zu haben, und das finde ich fantastisch.
Viele schmeißen nach der Mitarbeit im Camp das Ruder herum und sagen: "Ich geh jetzt wieder studieren" oder "Ich mach jetzt erstmal eine Reise" oder sowas. Sie sind durch die Arbeit so mutig geworden, dass sie Entscheidungen fällen, die sie sich vorher nicht zugetraut haben. Es kommt auch vor, dass welche sagen: "Ich lasse mich jetzt scheiden." Sie sind so stabil geworden, dass sie sagen: "Ich geh jetzt einen anderen Weg."
Für mich selbst waren die Workcamps immer produktiv und schön, weil es mir absolut Spaß macht, Laien zu begeisterten Arbeitern heranzuzüchten. Dass Arbeit Spaß machen kann, ist ja eine Erfahrung, die man ja nicht von vornherein hat, sondern die kommt ja durch das Miteinander und den Erfolg. Das Selbstbewusstsein entsteht ja nur dadurch, dass man etwas erreicht hat und darauf stolz ist. Dass ich all diesen Menschen dieses Gefühl vermittelt habe, befriedigt mich sehr.