Was soll man auch sagen, wenn man eigentlich die ganze Zeit nur wartet auf den Ostermorgen. Das Dramatische, das Aufwühlende ist ja mit der Kreuzigung Jesu schon passiert, es wäre überflüssig, das nochmal aufzuwärmen. Es gibt also nichts zu sagen - es sei denn, man interessiert sich für das, was im Verborgenen passiert, für das, was im Untergrund rumort.
Der Evangelist Johannes hat ein eindrucksvolles Bild für den ganzen Prozess von Ostern gefunden:
Johannes 12,24: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht."
Der Karsamstag ist der Tag, an dem das Weizenkorn unter der Erde ist. Es ist nicht mehr zu sehen. Das Graben, Hacken und Schaufeln ist vorbei. Das Loch ist zugebuddelt. Der Boden ist wieder eben. Die Arbeiter verlassen das Feld und fahren mit ihrem Traktor davon. Und jetzt? Jetzt müsste es doch eigentlich losgehen, das Wachsen und Gedeihen. Doch erst einmal passiert - nichts. Zumindest nicht auf der Oberfläche. Unter der Oberfläche passiert ganz viel. Was genau, kann man spüren, wenn man selbst zur Ruhe kommt.
Es ist das "Loch", das sich auf einmal auftut. Das Gefühl der Leere. Ich denke an die vielen Momente, an denen ich das schon erlebt habe. Das große Fest ist gefeiert, die letzten Gäste haben das Haus verlassen. Ein letztes Mal winken. Der Motor geht an, das Auto fährt weg. Die Tür fällt ins Schloss. Stille. Oder: Die Prüfung ist geschafft. So viel Arbeit ist an ihr Ende gekommen. Wie sehr habe ich mich nach dieser Zeit gesehnt, nicht mehr lernen, nichts mehr tun müssen. In meinem Kopf habe ich schon längst eine Liste geschrieben mit all den Dingen, die ich unternehmen möchte, wenn ich endlich wieder Zeit habe. Aber kaum ist der Zeitpunkt da, verlieren all diese Dinge auf einmal ihren Reiz. Ich liege nur auf dem Sofa und dämmere vor mich hin. Um nicht komplett zu versacken mache ich das Radio an. Nichts ist schlimmer, als sich dieser Leere hinzugeben.
Plötzlich bin ich nicht mehr diejenige, die etwas tut, die aktiv ist. Es ist etwas Anderes, was in mir aktiv wird. Etwas, das mir Angst macht, denn es kommt irgendwie aus der Tiefe zu mir hoch. Alte Gedanken, alte Gefühle. Unheimlich. Soll ich sie verdrängen oder sie kommen lassen? Ich horche auf. Ein Lied kommt im Radio. Eins, das ich eigentlich gar nicht gerne höre, aber jetzt gerade macht es Sinn. Der Sänger singt davon, dass er auf dem Bett sitzt und Steine isst. "Deine, meine, große, kleine". Er beißt sich die Zähne aus, wenn er sie zermalmt. Er denkt, nur so geht es vorbei.
Alte Konflikte sind wie Geister, die einen heimsuchen, dann, wenn man zur Ruhe kommt. Dinge, die weh tun. Der Sänger des Liedes heißt Bosse und er fällt einen Entschluss: Er möchte diese alten Konflikte aufarbeiten. "Bis ich damit fertig bin, lasst mich alleine. Ich denk, nur so geht es vorbei. So Stein um Stein." Sein Entschluss geht sogar noch weiter: "Dann hinab in die Tiefe, in den dunklen Schacht. Wo die Kerze erstickt und ich doch weiter mach'. Auch wenn hier unten der Vogel kein Lied mehr singt, werd ich tonnenweise Schutt nach oben bringen."
Es gibt eine alte Geschichte von Jesus. Sie erzählt, was passiert, nachdem der Stein vor das Grab gewälzt wurde. Dunkel. Die Jünger trotten niedergeschlagen in ihre Häuser und verriegeln Fenster und Türen. Nichts geht mehr. In dieser Zeit steigt Jesus hinab in das Reich der Toten, er fährt hinab in die Tiefe. Er bringt Licht dorthin, wo das ewige Dunkle ist. Das, was Menschen Hölle nennen. Er durchdringt die Finsternis mit einem hellen Schein. Er bringt allem, was tot ist, die Frohe Botschaft: Gott hat den Tod besiegt, es wird der Tag kommen, an dem alles voller Licht und Leben ist. Es wird keinen dunklen Ort mehr geben. Dann geht Jesus wieder nach oben und fährt hinauf in den Himmel.
Die Höllenfahrt ist kein sehr realistisches Bild, aber ein sehr starkes. Es sagt, dass Jesus den Tod vollständig durchdrungen hat. Er hat ihn nicht einfach erlitten, sondern er ist gestorben, um auch an den dunkelsten Ort der Welt das Licht zu bringen. So, dass die Erneuerung der ganzen Welt Wirklichkeit werden kann. "Und irgendwann, unter den letzten Steinen, ein erster Glanz, ein erstes Scheinen, von neuem Leben, neuem Licht.“ So singt Bosse in seinem Lied. Er musste erst die Steine wegschaffen, um das Licht zu sehen und sich zu befreien.
Das Feld liegt ruhig im Morgengrauen. Der Nebel liegt dicht über dem Boden und kündet noch von der vergangen Nacht. Da bricht die Erde auf und ein grüner Halm schießt hervor. Es ist das Weizenkorn, aber es sieht ganz anders aus. Was hat es bloß die ganze Zeit gemacht, dort unten? Es hat seine Wurzeln ganz weit in die Tiefe gestreckt. Es hat die dunkle Erde durchdrungen. Es hat sich bereit gemacht für einen neuen Morgen, einen neuen Anfang.