Rund 70 Teilnehmer stehen beim Argumentationstraining gegen ausländerfeindliche Stammtischparolen in Wuppertal noch unter dem Eindruck des Abschneidens der AfD bei den vergangenen Landtagswahlen. Am Ende des Abends hat jeder einzelne Teilnehmer jedoch begriffen, dass Rassismus in Deutschland nicht erst seit der Flüchtlingskrise ein großes Problem ist. Zu Beginn erzählen die Abiturientin Clara und Pfarrer Ipyana Mwamugobole aus Wuppertal - beide haben eine schwarze Hautfarbe - eindrücklich von ihren Begegnungen mit Rassismus in Deutschland. Die junge Deutsche macht deutlich, dass es sich dabei keinesfalls um ein neues Phänomen handelt: "Ich bin dem Rassismus ausgesetzt, seit ich denken kann." Gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln habe sie immer wieder Schlimmes erlebt. Manchmal würden Leute ganz unverhohlen wegen ihrer Hautfarbe über sie herziehen.
Auch Pfarrer Mwamugobole fallen aus dem Stand mehrere Beispiele ein. In einem kleinen Dorf in Bayern, in dem er früher gelebt hat, hätten die Leute ihn auf der Straße offen als "schwarzen Affen" bezeichnet. Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise sei es noch konfrontativer geworden, meint Clara. "Die Leute haben jetzt keine Scham mehr, selbst die übelsten Dinge laut auszusprechen." Was sie sich von ihren Mitmenschen wünscht? Rassismus sollte im Alltag offen angesprochen werden. "Man kann immer etwas machen, um die Situation zu verbessern." Egal, ob man sich den Opfern oder den Tätern zuwende.
Klaus-Peter Hufer, Politologe an der Universität Duisburg-Essen, bietet seit 2001 Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen an und hat dazu auch ein Buch veröffentlicht. "Die Inhalte sind über die Jahre weitestgehend gleich geblieben", sagt Hufer. "Nur die gesellschaftliche Auseinandersetzung hat sich mit der Zeit zugespitzt." Derzeit ist der Politologe fast täglich unterwegs. Es gebe eine große Nachfrage von Bildungseinrichtungen, Kirchen und zivilgesellschaftlichen Vereinigungen. Natürlich seien momentan auch viele Flüchtlingshelfer dabei, die sich für Stammtischparolen gegen Schutzsuchende wappnen wollen. Hufer fragt die Teilnehmer, ob sie in ihrem Bekannten- und Freundeskreis schon mal rassistische Stammtischparolen zu hören bekommen haben. Nach anfänglichem Zögern melden sich immer mehr Leute und berichten von teilweise erschütternden Aussagen.
Gemeinsam erarbeiten Publikum und Politologe, was die meisten dieser rassistischen Aussprüche gemein haben. Worte wie "plump", "generalisierend", "primitiv", "polarisierend" und "selbstgerecht" fallen. Ein älterer Mann merkt an, dass fast jede Parole mit "die Ausländer" beginnt. Hier hakt Hufer wieder ein: "Es ist wichtig, dass Sie wissen: Ich bin nicht schuld, wenn mir spontan keine Erwiderungen auf solche Dinge einfallen." Die Herausforderung sei, dass man komplex auf einen plumpen Spruch antworten muss. Hufer erzählt eine Geschichte von einem Kollegen, der selbst zu Rassismus forsche und dem in der Bahn trotz seiner Expertise auf rassistische Aussagen zweier älterer Damen spontan keine gute Reaktion eingefallen sei. Kurz vorm Aussteigen habe er sich an die Übeltäter gewandt und gesagt: "Glückwunsch, Sie haben den Preis dafür gewonnen, wie man in fünf Minuten den meisten Unsinn reden kann. Hinterher habe sich sein Kollege gewünscht, er hätte anders reagieren können, sagt der Politologe. "Es ist schwer, die Struktur dieser Situation aufzulösen."
Strategien gegen rassistische Parolen
Gibt es denn überhaupt eine Möglichkeit, angemessen zu reagieren, ohne sich auf das gleiche Niveau herabzulassen? Die gibt es tatsächlich: Neben dem Aufzählen von Fakten und Statistiken hilft es laut Hufer auch, den Gesprächspartner zu fragen, inwiefern er denn selbst betroffen ist. "Im Zweifel gilt auch immer: nachfragen, nachfragen, nachfragen." Er erklärt an einem Beispiel, was damit gemeint ist. "Wenn jemand die Grenzschließung in Deutschland fordert, sollten Sie fragen, wie er sich denn eine konkrete Lösung vorstellt." Bei einer Grenzschließung müsse man über 1.000 Kilometer Zaun verlegen, die europäische Freizügigkeit aufheben und Soldaten mit Schießbefehl an die Grenzen stellen. "Wenn man die Leute auffordert, konkret zu werden, kommen Sie irgendwann zu Maßnahmen, die in einem Land mit demokratischer Grundordnung nicht umsetzbar sind", ist sich Hufer sicher.
Neben dem gezielten Nachfragen gibt der Wissenschaftler dem Publikum noch weitere Gegenstrategien an die Hand: Man solle nicht mitmachen, wenn der Gegenüber von einer Parole zur nächsten springt. Moralisierende Belehrungen würden auch nicht weiterhelfen. "Das heißt aber nicht, dass Sie nicht mit Moral argumentieren sollten", erläutert der Politologe. Wichtig sei auch, das "die" als generalisierende Kategorie aufzulösen. "In einem solchen Gespräch sollte es außerdem Ziel sein, Brücken zu bauen und die eigenen Ansprüche zu reduzieren." Der Gegenüber habe sich seine Vorurteile schließlich über Jahre hinweg gebildet. Im Idealfall schafft man es, die Position abzulehnen, die Person aber anzunehmen.
Der Professor der Uni Duisburg-Essen liefert auch den theoretischen Hintergrund dazu. Zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die oftmals in Stammtischparolen zum Ausdruck gebracht wird, gehörten neben Rassismus auch Sexismus, Homophobie, die Relativierung der NS-Zeit, Sozialdarwinismus sowie die Abwertung von Obdachlosen, Menschen mit Behinderung und Sinti und Roma. In Deutschland hätten zwischen sieben und neun Prozent der Bevölkerung ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, sagt Hufer.
Dass die AfD als rechtspopulistische (nicht rechtsextreme) Partei auch schon vor der Flüchtlingskrise ein beachtliches Wählerpotenzial gehabt hätte, begründet Hufer mit einer Statistik aus dem Jahr 2012. Damals hätten 50 Prozent der Bevölkerung der Aussage zugestimmt, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland. Knapp 20 Prozent fanden, Juden hätten in diesem Land zu viel Einfluss. Drei von zehn Menschen waren gar der Meinung, es gebe eine natürliche Hierarchie zwischen schwarzen und weißen Menschen. Angesichts dieser Zahlen gibt Hufer dem größtenteils protestantischen Publikum am Ende noch einen Ratschlag von Martin Luther auf den Weg, sich beim Argumentieren knapp zu halten: "Mach’s Maul auf, sprich’s gerade aus, hör‘ bald auf."