Ghassan Aleid zeigt seinen syrischen Pass. Er ist syrischer Christ und aus seiner Heimat nach Frankreich geflohen.
Foto: REUTERS/Stephane Mahe
Ghassan Aleid ist syrischer Christ und aus seiner Heimat nach Frankreich geflohen.
Syrische Christen leben in Angst vor Entführung und Enthauptung
Bedroht von Krieg und Fanatikern
Vor fünf Jahren begann der Syrienkonflikt, inzwischen sind Millionen Menschen auf der Flucht. Auch die Lage der Christen hat sich dramatisch verschlechtert. Menschen berichten von Entführungen, Lösegeldforderungen und sogar Kreuzigungen.

Oft machen Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) mit Christen kurzen Prozess. Wer sich weigert, zum Islam zu konvertieren, wird enthauptet oder gekreuzigt. In den vergangenen Wochen aber hat die Miliz in Syrien einige Christen freigelassen: Menschen, die vor einem Jahr verschleppt worden waren, als IS-Kämpfer in der nordöstlichen Provinz Hasaka einige Dörfer gestürmt und mehr als 220 Männer, Frauen und Kinder entführt hatten.

Lösegelder in Millionenhöhe

Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die ihre Informationen von Aktivisten vor Ort bezieht, weiß von 200 Freilassungen. Es sollen Lösegelder in Millionenhöhe geflossen sein. "Die IS-Kämpfer brauchen Geld, jeden Tag fordern sie Geld", sagt Pater Siad Hilal. Der Jesuit aus Syrien ist derzeit auf der griechischen Insel Lesbos, wo er sich um Bootsflüchtlinge kümmert. Viele von ihnen sind seine Landsleute.

Bis Juni 2015 hat er in Homs gearbeitet, in jener zentralen Region des Landes, die heftig umkämpft war. In der drittgrößten Stadt in Syrien erlebte der Pater die anfangs friedlichen Demonstrationen gegen das Regime in Damaskus vor fünf Jahren, die Eskalation der Gewalt und schließlich den Bürgerkrieg, der zum Nährboden wurde für radikal-islamische Terrororganisationen wie den islamischen Staat und die Al-Nusra-Front, einen Ableger des Al-Kaida-Netzwerks.

Der Syrienkonflikt, der im März 2011 begann, hat die größte Flüchtlingsbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst. Jeder Vierte der rund 22 Millionen Syrer ist inzwischen ins Ausland geflohen, mehr als 250.000 Menschen starben. Die Waffenruhe Ende Februar und aktuelle Friedensbemühungen lassen Pater Siad zwar hoffen, ihm ist aber auch bewusst, wie kompliziert die Lage ist.

Assad präsentierte sich als Schutzherr der Minderheiten - und verschlimmerte deren Lage

Zwei Millionen Christen, etwa zehn Prozent der Bevölkerung, lebten vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Ihre Lage wurde schwieriger, als Regierungstruppen die friedlichen Proteste blutig niederschlugen und die Extremisten unter den Rebellen immer stärker wurden: "Alawiten in den Sarg, Christen nach Beirut", wurde einige Monate nach Beginn der Proteste plötzlich auf Demonstrationen skandiert.

Präsident Baschar al-Assad nutzte das aus und präsentierte sich als Schutzherr der Minderheiten - was diese noch stärker in Bedrängnis brachte. Im Dezember 2013 machte die bedrohliche Lage der Christen Schlagzeilen, als radikale Islamisten das Dorf Maalula in den Bergen nördlich von Damaskus stürmten. Maalula ist eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt und Heimat der berühmten Klöster Mar Thekla und Mar Sarkis. Manche Bewohner sprechen noch Aramäisch, die Sprache Jesu.

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Die IS-Kämpfer verschleppten eine Gruppe Nonnen und begannen mit der Zerstörung der Pilgerstätte. Vier Monate später vertrieb die syrische Armee sie aus dem Gebiet. Assad besuchte die Menschen höchstpersönlich und versprach den Wiederaufbau. Die Nonnen waren zuvor frei gekommen, offenbar hatte die Regierung in Damaskus im Gegenzug Gefangene freigelassen. "Viele Bewohner sind inzwischen wieder nach Maalula zurückgekehrt", sagt Pater Siad. "Dort herrscht jetzt Frieden."

Keiner weiß, wie viele Christen aktuell in Syrien leben

Anderen Regionen geht es schlechter: Östlich von Homs überrannte der "Islamische Staat" noch im vergangenen Jahr Orte wie Karjatain, wo viele Christen lebten. "Die aramäischen Christen wurden gezwungen, einen Strafkatalog mit menschenunwürdigen Bestimmungen des IS zu unterzeichnen, sonst drohte ihnen der Tod", sagt Daniyel Demir, Vorsitzender des Verbands der Aramäer in Deutschland. "Christliche Symbolik und Rituale waren verboten." Sie mussten zudem Kleidungsvorschriften einhalten und eine gewisse Menge Geld oder Gold abgeben. Im Umgang mit Muslimen seien völlige Unterwerfung und Gehorsam zur Pflicht geworden, sagt er. Das jahrhundertealte Kloster Mar Elian wurde mit Bulldozern niedergerissen.

Wie viele Christen heute noch in Syrien leben, weiß niemand. Demir schätzt, dass die Gemeinde um die Hälfte geschrumpft ist. "Angst kontrolliert heute das Leben der christlichen Gemeinden, Angst vor Selbstmordattentätern und Angst vor Entführung", sagt er und fügt hinzu: "Das Urchristentum steht heute in seinen ehemaligen Kernländern Syrien und Irak vor dem endgültigen Aus. Der vollendete Exodus ist nur eine Frage der Zeit."