Kruzifix im Sonnenuntergang
Foto: Getty Images/Zoonar RF/J.Wachala
Gibt es Karfreitag ohne Ostern?
Christus hängt am Kreuz, tot. Mit diesem Bild geht der Gottesdienst am Karfreitag zu Ende. Keine gute Nachricht, kein Trost, keine Freude. Sollten Pfarrinnen und Pfarrer am Karfreitag schon von der Auferstehung reden, damit der Tag nicht so schwer wird?

"An Karfreitag verlässt man so ein bisschen die Komfortzone der Predigt", sagt Pfarrerin Kathrin Oxen, die in Wittenberg das Zentrum für evangelische Predigtkultur leitet. "Da teilt man nicht gerade Dinge mit, die jeder gerne hören möchte. Aber das muss man, glaube ich, auf sich nehmen. Dem kann man sich an diesem Tag nicht entziehen." Keine fröhlichen Lieder, kein Altarschmuck, keine Kerzen. In den ersten Jahrhunderten feierten die Christen überhaupt keinen Gottesdienst an Karfreitag, sondern fasteten.

"Für mich ist es der schwerste Tag im Jahr", sagt Birgit Mattausch, Pfarrerin in Nürtingen-Roßdorf (Württemberg). Und ihre Kollegin Friederike Erichsen-Wendt aus dem hessischen Nidderau meint: "An Karfreitag kommt es wirklich drauf an. Da ist es mir auch ein echtes Anliegen, nicht zu mogeln." Wenn in der biblischen Erzählung steht: "Er neigte das Haupt und verschied" (Johannes 19,30), dann muss die Pfarrerin davon reden – auch wenn es ihr und der Gemeinde weh tut. Immerhin, meint Kathrin Oxen, ist die Karfreitagserzählung (Markus 15, Matthäus 27, Lukas 23, Johannes 19) im Vergleich zu Ostern "in dem Sinne nicht so schwer, dass man ja an Karfreitag über ein historisches Ereignis predigen muss, was man auch nachvollziehen kann". Im Gegensatz zu Jesu Auferstehung "weiß man bei der Kreuzigung, dass das wirklich so war".

"Wir stellen uns dem und überspringen es nicht"

Doch was soll man dazu sagen, zu dieser Kreuzigung, auf der Kanzel? Was bedeutet es für die Gottesdienstgemeinde an diesem Freitagmorgen, wenn sie ihren Blick auf den toten Jesus am Kreuz richtet? Für Friederike Erichsen-Wendt ist das Karfreitagsthema "die Welt ohne Gott". Gerade Christen machten schließlich die Erfahrung, dass Gott "radikal abwesend" ist. Birgit Mattausch sieht im "Tod Gottes" den "Zusammenbruch aller Sinnzusammenhänge", und Kathrin Oxen hat für Karfreitag immer die menschliche Erfahrung von Ohnmacht im Hinterkopf. Dass Gott "diese Ohnmacht und das Leiden selber auf sich genommen hat in Jesus Christus, es selbst erfahren hat am eigenen Leibe – das würde ich stark machen". 

Einen etwas anderen Zugang wählt – jedenfalls in diesem Jahr – Hendrik Maskus, Pfarrer der evangelischen Altmünstergemeinde in Mainz. In der gesamten Karwoche ist Maskus dieses Jahr mit Konfirmanden unterwegs. "Ist dieser Jesus gescheitert?", fragt er sich mit den Jugendlichen. "Oder ist es eine radikale Konsequenz seines Lebens zu sagen: 'Ich renne nicht weg - und wenn ich dabei mein Leben lasse, für die andern und auch für das, wofür ich immer eingetreten bin.'?" Gerade für Jugendliche sei es spannend, meint Maskus, "zu sehen, dass einer auch den Tod in Kauf nimmt und sagt: 'Ich halte durch. Ich mache das.'" Der Mainzer Pfarrer versucht, sich zusammen mit den Konfirmanden in die Situation Jesu hineinzuversetzen und dann sich selbst zu fragen: "Wo bin ich authentisch? Wo ducke ich mich weg?"

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Doch nicht nur die Konfis, erst recht erwachsene Gottesdienstbesucher wissen ja: Das mit dem Kreuz, das war nicht die ganze Geschichte. Die Evangelien berichten, dass Jüngerinnen und Jünger Jesus gesehen haben – auferstanden, lebendig (Markus 16, Matthäus 28, Lukas 24, Johannes 20). Darf eine Pfarrerin, ein Pfarrer die Auferstehung an Karfreitag schon andeuten? Ist das vielleicht sogar geboten? Nein, sagt Friederike Erichsen-Wendt: "Ich finde, sich dieser Erfahrung der Abwesenheit Gottes wirklich in Gänze auszusetzen – wenn das das Proprium von Karfreitag ist, sollte man das auch ernst nehmen und nicht sagen: 'Aber eigentlich wissen wir doch…'." Kathrin Oxen sieht das ähnlich. "Es muss einen Tag geben, an dem eben nicht gleich verraten wird, dass doch noch alles gut ausgeht, sondern an dem klar ist, dass es sinnloses Leiden gibt", sagt die Predigt-Expertin. "Dieses Gefühl des hilflos-Seins, des daneben-Stehens, das ist Gott eben auch nicht fremd."

Auch Birgit Mattausch sagt: "An Karfreitag schauen wir uns diese Gottverlassenheit und dieses Entsetzliche daran an. Wir stellen uns dem und überspringen es nicht." Schließlich entspreche "Scheitern, Gottverlassenheit, Sinnlosigkeit" der Lebenserfahrung vieler Menschen. "Das muss einen Platz haben", findet die Pfarrerin, gerade in einer Welt, "wo immer alles schön sein muss, schnell wieder lächeln und ja nicht depressiv sein, alle sind immer gut drauf und erfolgreich…". Nein, so ist das Leben eben nicht, es gibt auch Krisen, sagt Birgit Mattausch. Das Bild von Jesus am Kreuz ist für sie Sinnbild einer ganz großen Krise: "In dem Moment stand die Welt auf der Kippe."

"Das Kreuz leer, das Grab leer, Christus lebt"

Hendrik Maskus möchte an Karfreitag zumindest "die Osterbotschaft nicht zu schnell bringen" und "nicht thematisieren, dass ja alles nicht so schlimm ist und dass es auf jeden Fall weitergeht". Doch er sagt auch: "Es hilft uns, dieses Leid auszuhalten, wenn wir an der Karfreitagsbotschaft nicht stehenbleiben, sondern wissen, es kommt Ostern – und darauf hoffen können." Um eine kleine Brücke zu schlagen, ohne gleich schon in Osterjubel auszubrechen, betet der Mainzer Pfarrer mit seiner Gemeinde oft im Karfreitagsgottesdienst – quasi mit Jesus am Kreuz – den 22. Psalm. "Der hat ja zum Schluss so einen Lichtblick. So einen Lichtschein, dass man sagt: Ich hoffe trotzdem auf diesen Gott, auch wenn er mich verlassen hat."  

Während Hendrik Maskus die Osterbotschaft nur sehr vorsichtig andeutet, gehört sie für Hans-Georg Ulrichs an Karfreitag dazu – am Schluss der Predigt oder in den Fürbitten. "Niemand wird froh anhand des Kreuzes. Deshalb wäre es merkwürdig, finde ich, wenn wir das Kreuz alleine predigten", sagt der Heidelberger Hochschulpfarrer. "Natürlich ist das Kreuz ein 'Ärgernis', wie Paulus sagt. Natürlich sagt Paulus auch: Jeder hat sein Kreuz zu tragen in einer Kreuzesnachfolge, das ist sicher auch richtig. Aber das Kreuz als Symbol für das Christentum ist ja leer, weil Christus abgenommen wurde und auferstanden ist." Ulrichs gibt zu bedenken, dass die biblischen Texte zirkulär, also immer wieder gelesen wurden und werden. Deswegen wüssten heutige Kirchgänger genauso gut wie die ersten Christengemeinden, wie die Geschichte von Jesus weiterging: "Das Kreuz leer, das Grab leer, und Christus lebt. Auf diese Zusage leben wir hin, auch am Karfreitag. Es gibt Karfreitag nicht ohne Ostern."  

Dass über Inhalt und Liturgie des Karfreitagsgottesdienstes immer wieder und immer weiter nachgedacht werden muss, zeigt sich auch an einem für diesen Tag seltsamen Ritual: dem Abendmahl. "Mir leuchtet das ehrlichgesagt gar nicht ganz ein. Es gehört an Gründonnerstag", sagt Pfarrer Ulrichs und vermutet: "Man kapituliert ein wenig vor der volkskirchlichen Sitte." So sieht das auch Kathrin Oxen vom Zentrum für evangelische Predigtkultur: "Man geht davon aus, dass es ein ganz wichtiger Feiertag ist, der ohne Abendmahl irgendwie nicht recht vollständig ist." Auch sie findet es passender, das Sakrament am Vortag zu feiern, zur Erinnerung an Jesu letztes Mahl mit den Jüngern. Ein Abendmahl an Karfreitag "steht immer in der Gefahr, den Opfergedanken in besonderer Weise nochmal aufzurufen", gibt Kathrin Oxen zu bedenken. "Es gab ja eine breite Diskussion darüber, ob der Gedanke des stellvertretenden Opfers heute überhaupt noch zugänglich und zeitgemäß ist." Hans-Georg Ulrichs findet das "heikel, weil wir ja das Opfer Christi nicht nachvollziehen im Abendmahl. Das wäre römisch-katholisch". Die Schwesterkirche übrigens feiert an Karfreitag keine Eucharistie.

Birgit Mattausch war quasi gezwungen, eine neue Interpretation für das Abendmahl an Karfreitag zu finden. "Ich war in Bayern im Vikariat. Dort hatten wir jeden Sonntag Abendmahl, nur nicht Karfreitag", erzählt die Pfarrerin. "Und dann kam ich nach Württemberg, wo es sehr üblich ist, dass an Karfreitag Abendmahl gefeiert wird und sonst eher selten." Die Pfarrerin kam ganz durcheinander. "Ich hab gedacht: Das geht doch nicht, ich kann doch nicht die Gemeinschaft mit Gott feiern, während ich eigentlich noch dabei bin, Gottverlassenheit zu denken." Dann hat sie versucht, sich selbst "dieses komische Abendmahl an Karfreitag" zu erklären: "Auch in dieser Gottverlassenheit können wir zueinander stehen. Und vielleicht kann daraus etwas wachsen. Das kann vielleicht ein kleiner Trost sein, aber keine Antwort."