Verpixeltes Porträt eines Mannes.
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Schutz vor Diskriminierung oder Angst vor der Wahrheit?
Der Pressekodex soll verhindern, dass Minderheiten in Medienberichten abgestempelt werden. Die ethnische Herkunft von Straftätern soll deshalb nicht genannt werden - es sei denn, sie steht in einem Zusammenhang zur Tat. Die Silvesternacht in Köln hat die Debatte entfacht: Dürfen Journalisten einen Teil der Wahrheit verschweigen? Der Presserat prüft nun seine Richtlinie.
08.03.2016
epd
Michaela Hütig

Zuerst sprachen in Köln Polizei und Medien von "weitgehend friedlichen Feiern". Später war die Rede von Straftätern, die "dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum" stammten, schließlich von vielen Algeriern, Marokkanern, Iranern und Syrern. Die Defizite in der Berichterstattung nach der Silvesternacht haben eine ethische Diskussion ausgelöst, wann Medien die Nationalität mutmaßlicher Täter nennen sollen und wann nicht. Viele Journalisten sind verunsichert.

Der Deutsche Presserat berät am 9. März darüber, ob er seine Richtlinie gegen Diskriminierung überarbeiten muss. Ziffer 12.1 war in den Pressekodex aufgenommen worden, um Minderheiten zu schützen: "In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht", heißt es. Besonders sei zu beachten, dass Vorurteile gegenüber Minderheiten geschürt werden könnten.

Die Leser "nicht für so dumm halten"

Nach Köln wurde der Vorwurf laut, dieser Leitsatz sei ein Maulkorb und halte Medien davon ab, über Kriminalität von Ausländern wahrheitsgetreu zu berichten. Fremdenfeindliche Gruppen wie "Pegida" sahen sich in ihrem Vorwurf der "Lügenpresse" bestätigt. Doch auch andere Leser beklagten sich: Journalisten hätten Nationalitäten von Verdächtigen verschwiegen, als diese über die sozialen Netzwerke längst bekannt gewesen seien. Mehr als 20 Beschwerden gingen beim Presserat ein. Geschäftsführer Lutz Tillmanns weist den Vorwurf zurück, das Selbstkontrollgremium von Journalisten und Verlegern unterdrücke die Wahrheit.

"Die Diskriminierungsrichtlinie enthält keine Sprachverbote", betont Tillmanns. Vielmehr gehe es um eine berufsethische Verpflichtung, vor der Berichterstattung in jedem Einzelfall sorgfältig abzuwägen: Ist es für das Verständnis relevant, die Zugehörigkeit zu einer Minderheit zu nennen? Bei Verkehrsunfällen etwa sei dies in aller Regel verzichtbar. Anders sehe es aus, wenn ein Ereignis eine politische Dimension gewinne. So hätten die Kölner Vorfälle eine gesellschaftliche Debatte über Integration angestoßen. "Das Thema Flüchtlinge ist einfach da, und natürlich gibt es auch Kriminalität", sagt Tillmanns. "Es ist ein Bedürfnis der Gesellschaft zu erfahren, was hier abgeht, um welche Problemlagen es sich handelt und ob es vielleicht Auffälligkeiten bei einzelnen Tätergruppen gibt."

Kritiker wie Rolf Seelheim, der Chefredakteur der "Nordwest-Zeitung" aus Oldenburg, fordern, Ziffer 12.1 zu überarbeiten: "Der Text ist so unscharf formuliert, dass er eher zu Missverständnissen führt, als dass er den Redaktionen bei der Entscheidung hilft." Keiner könne sagen, was ein "begründbarer Sachbezug" sei. Die "Schere im Kopf" führe dazu, dass womöglich genau das Gegenteil erreicht werde, "nämlich Spekulationen Vorschub zu leisten und vielleicht sogar zur Diskriminierung der falschen Gruppen beizutragen."

Auch dem Publikum sei das nicht mehr zu vermitteln, erklärt Seelheim. "Das Schlimmste ist doch, wenn Leser, die für ihre Zeitungen und Illustrierten Geld bezahlen, sich im kostenlosen Internet besser informiert fühlen, weil die Presse Ross und Reiter nicht nennt." Journalisten sollten den Lesern mehr Mündigkeit zutrauen: "Man sollte sie nicht für so dumm halten, dass sie von der Herkunft einzelner Täter auf die Gesinnung einer ganzen Nation schließen." Hilfreich wäre etwa ein Hinweis des Presserats, dass auch die Nicht-Erwähnung von Nationalitäten Vorurteile schüren könne.

"Ein Pressekodex ist nie fertig"

Chefredakteur Thomas Hauser von der "Badischen Zeitung" in Freiburg beobachtet bei Kollegen Verzagtheit: "Da wird selbst in Fällen, in denen die Nennung der Nationalität auf der Hand liegt, darauf verzichtet - aus Angst, es könnte vielleicht jemand daran Anstoß nehmen." Statt die Presserats-Richtlinie radikal zu ändern, wünscht er einen selbstbewussteren Umgang der Medien damit. "Wir müssen unsere Arbeit gut und unsere Entscheidungen transparent machen und den Lesern von Fall zu Fall erklären, warum wir anderer Meinung sind als sie."

So wird das Plenum des Presserats am Mittwoch wohl an der umstrittenen Ziffer 12.1 feilen. Dass der Diskriminierungsschutz grundsätzlich fällt, gilt als wenig wahrscheinlich. Denkbar sei ein ergänzender Leitkatalog mit Positiv- und Negativbespielen zur Präzisierung. "Ethische Grundsätze müssen immer wieder neu diskutiert werden", sagt Tillmanns. "Ein Pressekodex ist nie fertig, er ist im Licht der Zeit und der gesellschaftlichen Debatten zu sehen."