Johannes 6,53-59+63+68, aus dem Griechischen übersetzt von Jan Heilmann:
53 Es sprach nun zu ihnen Jesus: Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohnes und nicht trinkt sein Blut, habt ihr kein Leben in Euch. 54 Derjenige, der mein Fleisch kaut und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben und ich werde ihn aufwecken am letzten Tag. 55 Denn mein Fleisch ist wahres Essen und mein Blut ist das wahre Trinken. 56 Derjenige, der mein Fleisch kaut und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm. 57 Ebenso wie mich der lebendige Vater geschickt hat und ich so durch den Vater lebe, so wird derjenige, der mich kaut, – auch dieser wird durch mich leben. 58 Dieser ist das Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist. Nicht wie die Väter gegessen haben und gestorben sind – Derjenige, der dieses Brot kaut, wird leben in Ewigkeit. 59 Dies sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte. (…) 63 Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch hilft gar nichts. Die Worte, die ich zu euch gesagt habe, sind Geist und sind Leben. (…) 68 Es antwortet ihm Simon Petrus: Herr, zu wem sollten wir gehen? Worte des ewigen Lebens hast Du.
Herr Heilmann, Ihre These lautet: "Essen und Trinken ist die Annahme von Lehre." Wie kamen Sie auf die Idee, eine Arbeit zu dieser These zu schreiben?
Heute sagen wir ja "auf etwas herumkauen" oder "ein Buch verschlingen". Gab es diese Art von Essens-Metaphern für Nachdenken oder Lesen auch in der Antike?
Heilmann: Diese Metaphern waren sehr weit verbreitet. Sehr häufig finden wir zum Beispiel in den rabbinischen Texten, dass das Hören der Lehre der Rabbinen als Wassertrinken bezeichnet wird. Ganz spannend ist, was mir dann aufgefallen ist und was so auch bisher in der Forschung noch nicht gesehen worden ist, dass man eben auch das "Fleisch" von Menschen "essen" konnte und das dafür stand, dass man ihre Bücher las. Bei Origenes steht, dass die Fleischteile von Christus, seine Knochen und sein Blut, die göttlichen Schriften sind, die verzehrt werden müssen, um Christus zu haben. Bei Makarios Magnes taucht ein Grieche auf, der die Brotrede in Johannes 6 absolut nicht verstehen möchte, der es "bestialisch und absurd" findet, Menschenfleisch zu essen – und der Christ Makarios erklärt es ihm dann mit dieser Metaphorik. Ich habe diese alten Auslegungen erst relativ spät während meiner Dissertation gefunden und war dann ganz baff, dass man das in der Antike so lesen konnte.
Können Sie denn am Text selbst beweisen, dass bei der Brotrede in Johannes 6 eine Metapher angewandt wurde und mit "Fleisch" und "Blut" nicht "Brot" und "Wein" gemeint war?
Heilmann: In Johannes 6 kann man das, denke ich, ganz gut zeigen, weil zum einen der Begriff, der da im Griechischen steht - Fleisch, sarx - nicht das gekochte Fleisch meint, das man beim Essen isst, sondern das lebendige Fleisch, in dem Blut fließt. Also eigentlich ist das wörtliche Lesen, "mein Fleisch essen und mein Blut trinken", eine Unmöglichkeit, die Jesus da fordert. Wir müssen uns die Erzählsituation so vorstellen: Jesus ist mit einer Gruppe von Zuhörern, unter ihnen auch Jünger, in der Synagoge in Kapernaum und diskutiert mit ihnen. Die Hörer auf der Ebene der erzählten Welt müssten sich also vorstellen, sie sollten ihn verspeisen, wie er da vor ihnen steht, und nicht den gekreuzigten und dann gekochten Jesus. Wenn man sich den Erzählverlauf von Johannes 6 anschaut, wird deutlich, dass das eine gezielte Provokation ist, die Jesus da formuliert. Am Ende scheiden sich nämlich die Geister an Jesu Forderung, sein Fleisch zu essen. Diejenigen, die verstehen, sagen: "Worte des lebendigen Lebens hast du." Petrus sagt explizit: "Worte." Und Jesus selbst schlüsselt diese Metaphorik auf, indem er sagt: "Das Fleisch ist zu nichts nütze, der Geist ist's, der lebendig macht." Das heißt, es ist so inszeniert, dass diejenigen, die es materiell missverstehen, die sind, die Jesus sowieso verlassen, weil sie nicht glauben. Und diejenigen, die die Glaubensvoraussetzungen haben, die also seine Lehre verstehen können, die bleiben als Zwölferkreis bestehen.
Es gibt ja auch in den anderen Evangelien Abendmahl-Erzählungen und es gibt die Einsetzungsworte im ersten Korintherbrief, "Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot…". Ist es da auch metaphorisch gemeint?
Heilmann: Da ist zunächst einmal aus Sicht der neueren Forschung die Frage, inwiefern man sie als "Einsetzungsworte" bezeichnen kann. Es ist nämlich schwierig, aus den Deuteworten selbst zu belegen, dass Jesus vermeintlich ein Kultmahl eingesetzt hat, bei dem ein kleines Stückchen Brot und ein kleines Schlückchen Wein symbolisch konsumiert worden wäre. Wir würden das in der Wissenschaft als Zirkelschluss bezeichnen. Setzt man hingegen ein solches Kultmahl nicht voraus, dann sieht man, dass diese Deuteworte über dem Austeilen des Weins und über dem Austeilen des Brotes je in ihrem Kontext eine ganz eigene Bedeutung haben. Die frappanteste Stelle ist für mich Lukas 22,20, wo eben gerade entgegengesetzt der traditionellen Deutung, dass das Blut vergossen würde, im Griechischen ganz eindeutig der Becher vergossen wird. Hier ist also ein Ausgießungsritual angedeutet, das in der Antike eine Bundesschlusszeremonie, eine Vertragsbesiegelung darstellt. Und beim Brotwort, gerade im ersten Korintherbrief, geht es darum, dass es Spaltungen in der Gemeinde gibt. Jesus sagt: "Dies ist mein Leib", während er das Brot an seine Jünger austeilt. Das gibt Paulus den Korinthern als Argument an die Hand, dass es keine Spaltungen geben dürfe. Denn die Gemeinde ist der eine Leib und das Austeilen des Brotes durch Jesus definiert diesen einen Leib als Christusleib. Er verweist also mit "dies ist mein Leib" nicht auf sich, sondern das ausgeteilte Brot repräsentiert die anwesenden Mahlteilnehmer.
Was bedeutete ein antikes Mahl mit Brot und Wein?
Heilmann: Zunächst mal muss man sagen, dass antike Mähler natürlich anders abgelaufen sind als Mahlzeiten heute. Man hat zum Beispiel gelegen. Es gab erst einen Essensteil, dann eine Übergangszeremonie und dann ein so genanntes Symposion, bei dem man zusammen Wein getrunken und sich unterhalten hat. Nach dieser kulturellen Vorlage haben auch die frühen Christen Mahl gehalten und deren Mahlzeiten waren auch nicht auf Brot und Wein beschränkt. Die Hauptbedeutung eines solchen Mahls war eigentlich, dass es Gemeinschaft gestiftet hat. Menschen sind zusammengekommen und haben sich beim Mahl als Gruppe konstituiert. In den Texten geht es meistens um Mahlkonflikte: Da werden die Werte des Mahls – also die Gemeinschaft, die Eintracht, der Frieden – hochgehalten, um zu zeigen, wie das ideale Mahl aussieht, das die ideale Gemeinschaft repräsentiert.
"Wenn Sie mich nach der gemeinsamen Dimension all dieser Texte fragen, dann ist das Abendmahl etwas Gemeinschaft Stiftendes"
Wenn Sie das alles erzählen, kommt mir der Gedanke, dass alles ein großes Missverständnis ist mit dem Abendmahl. Die Frage ist offensichtlich nicht, in welcher Weise Christus in Brot und Wein gegenwärtig ist, was ja in der Reformationszeit zu Spaltungen geführt hat. Müssen wir das Abendmahl völlig neu interpretieren?
Heilmann: Diese Frage hat mich gerade im Nachgang der Arbeit beschäftigt. Verstehen wir das Abendmahl falsch und hat die Kirche es missverstanden? Dazu würde ich mittlerweile sagen: Missverständnis ist vielleicht die falsche Kategorie. Roland Barthes hat gesagt, dass der Autor eines Textes tot ist. Damit meint er, dass die Rezeption eines Textes ungesteuert passiert: Ein veröffentlichter Text wirkt, und hinter dieses Wirken ist nur schwer zurück zu kommen. Die Texte des Neuen Testamentes hatten gerade durch ihre Zusammenstellung ihre Wirkung: Die Metaphern in den Abendmahlstexten und in Johannes 6 sind in der Kirchengeschichte ritualisiert worden, und deshalb fällt es uns heute so schwer, die "Abendmahls-Brille" beim Lesen dieser Texte abzusetzen. Eine konsequente Frage wäre: Worauf beziehen wir uns mit unserer heutigen Praxis des Abendmahls? Müssen wir das so machen, wie es in den Texten steht? Dann müsste man sich hinlegen und genauso Mahl halten wie in der Antike, aber das kann ja auch nicht das Ziel sein. Wir können die Auslegungsgeschichte und die Traditionen, die sich in der Kirche entwickelt haben, nicht einfach beiseite wischen. Ich weiß, dass das für das evangelische sola scriptura-Prinzip mit Schwierigkeiten behaftet ist, aber im Moment ist es für mich eine offene Frage, wie man damit umgeht.
Die Frage nach der Rezeptionsgeschichte wird ja noch viel bedeutungsvoller, wenn man an die Abendmahlsfrage – was ist Blut und Fleisch? – auch die gesamte Sühnopfertheologie dranhängt: Jesus als Opfer, gestorben zur Vergebung der Schuld, Versöhnung. Alles ungültig?
Heilmann: Naja, zumindest ist eine Sühnopfertheologie so in den Texten nicht mit dem Mahl verknüpft. Ein interessanter Unterschied zwischen den Evangelien ist, dass der Zusatz "zur Vergebung der Sünden" nur in den Deuteworten bei Matthäus vorkommt, bei den anderen nicht. Und bei Matthäus hat das die Bedeutung, dass Jesus hier einen Sündenvergebungsbund stiftet, indem er seinen Jüngern das Brot gibt und sie aus einem Becher trinken lässt. Es ist dann eher der Auftrag an die Jünger, untereinander die Sünden zu vergeben und hat nicht die Bedeutung, dass durch seinen Tod die Sünden vergeben würden. Das hat in diesen Deuteworten überhaupt keinen Platz. Die Interpretation der katholischen Kirche, dass das Bekommen von Brot und Wein als christologisch gedeutete Elemente eine Heilsbedeutung für das Individuum hat, entwickelte sich definitiv später, nämlich erst im dritten bis vierten Jahrhundert.
Wenn Sie mich nach der gemeinsamen Dimension all dieser Texte fragen, dann ist das Abendmahl etwas Gemeinschaft Stiftendes. Da könnte die Perspektive für ein Überdenken bisheriger Abendmahlstheologie liegen: dass es kein Mahl sein darf, das spaltet – so wie in Korinth – sondern dass im Mahl die Gemeinschaft der Christusgläubigen zum Ausdruck kommen muss. Insofern sind natürlich gerade die christologischen Streitigkeiten, die damit verbunden sind, einigermaßen schwierig, da sie ja kirchenspaltend gewirkt haben.
Wenn Sie ganz normal sonntags in die Kirche gehen und an einem Abendmahl teilnehmen: Können Sie das alles wegschieben, was Sie jetzt im Kopf haben?
Heilmann: Nein, das kann ich nicht wegschieben. Ich bin da meistens in einem Analysemodus. Das Ding bekomme ich sehr schwer ausgeschaltet.
Erleben Sie trotzdem in dem Moment Gemeinschaft?
Heilmann: Es gibt, glaube ich, andere Momente im kirchlichen Leben, wo ich mehr Gemeinschaft erlebe als bei der Ausgestaltung des Abendmahls, so wie es im Moment in den Kirchen durchgeführt wird. Allerdings steht für mich bei einem Abendmahl in der evangelischen Kirche das Gemeinschaftserleben stärker im Zentrum als in der katholischen, jedenfalls wenn man im Kreis steht. Insofern ist nicht alles schlecht beim Abendmahl und ich kann das auch mitfeiern. Wenn ich das Essen von Brot und das Trinken von Wein im Sinne von der Metaphorik von Johannes 6 verstehe, wenn es also symbolisch steht für das Durchkauen und das Durchdenken dessen, was ich vorher von der Kanzel gehört habe, dann kann ich mit gutem Gewissen am Abendmahl teilnehmen, auch mit den neutestamentlichen Texten im Hinterkopf.