Wenn im Adventhaus in Leipzig die ersten Gläubigen zum Gottesdienst kommen, sind in der Nachbarschaft schon einige andere zum Wocheneinkauf unterwegs. Denn nicht am Sonntag, sondern am Samstag – dem für sie heiligen Sabbat – feiern die Angehörigen der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten (STA) ihren Gottesdienst. Die Straßenbahn ruckelt immer mal wieder gemütlich vor dem Haus vorbei; nach und nach strömen immer mehr Menschen in das villenähnliche Gebäude im Leipziger Westen. Die Glocken läuten nicht, doch die Gläubigen finden selbstverständlich ihren Weg.
An der Eingangstür werden alle Gottesdienstbesucher an diesem Samstagmorgen von Frank Schosnig mit Handschlag begrüßt. Er ist in der Gemeinde mit für die diakonischen Aufgaben zuständig. Alle, die durch die Tür kommen, duzen sich – "Wir sind doch Geschwister im Glauben", erklärt eine junge Frau im Vorbeilaufen. Sie ist in Eile, denn sie ist schon etwas spät dran für den Gottesdienst. Der beginnt pünktlich um 9.30 Uhr.
Frische Luft nach dem Bibelgespräch
Die Sonne kämpft sich durch den Morgennebel und scheint durch die Buntglasfenster des Kirchenraums im ersten Stock des Gebäudes. In einem leichten Halbkreis haben sich die Besucher versammelt, es sind mehrere Hundert Menschen, darunter auch viele Kinder und junge Erwachsene.
Im ersten Teil des Gottesdienstes wird der Herr gepriesen, mit Liedern, Gebeten, Orgel- und Klavierspiel. Psalm 98 wird verlesen, "Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er hat Wunder getan". Zur Musik erhebt sich die Gemeinde; klar und deutlich erklingen die Zeilen, denn fast alle singen mit.
Nach etwa 20 Minuten beginnt ein Bibelgespräch, das Teil des Gottesdienstes ist. Normalerweise werden dafür die Stühle im Saal verrückt, sodass sich gemütliche Gruppen ergeben. Doch da heute Abendmahl gefeiert wird und der Gottesdienst so schon mehr als zweieinhalb Stunden in Anspruch nimmt, wird eine kleine Variante gewählt: Der Bibelschulleiter gibt Impulse, stellt Fragen und leitet das Gespräch. Jeder darf sich mit seinen Gedanken beteiligen, doch einige hören lieber nur zu. Die Grundlage bieten eine Bibelstelle und ein begleitender Text aus einem Studienheft, das für Siebenten-Tags-Adventisten-Gemeinden in mehreren Sprachen herausgegeben wird.
"Aus Krisen lernen", lautet der Titel im Abschnitt dieser Woche, er ist aus dem "Jeremias"-Heft entnommen. Die Gemeindeglieder erzählen, was sie persönlich mit Krisen verbinden ("Stress" oder "aus der Ordnung gefallen" oder "führungslos"), und verknüpfen ihre Erfahrungen mit theologischen Bezügen. Einige sprechen wie aus dem Bauch heraus, andere sind nachdenklicher. Das Bibelgespräch endet mit einem Lied, dem Einsammeln der Kollekte und einem Gebet. Danach werden die Fenster aufgerissen. Eine Pause.
Stimmengewirr füllt wieder den Saal, einige Menschen kommen auch erst zu dem zweiten Teil des Gottesdienstes. Die weit geöffneten Fenster geben den Blick auf große Laubbäume im Hof des Hauses frei. Der Raum wirkt offen, die Gläubigen gelöst und doch in erwartungsvoller Anspannung. Nun füllen sich auch die letzten, zuvor noch leer gebliebenen Stühle.
Um halb elf werden die Gemeindeglieder erneut begrüßt, außerdem gibt es noch Hinweise zu der Abendmahlsfeier. Üblicherweise ist dies der Zeitpunkt für die "lebendige Gemeinde", bei der ganz offen über alle möglichen Dinge gesprochen wird, die einen in der vergangenen Woche beschäftigt oder belastet haben. Aber auch freudige Neuigkeiten oder Gedanken zur Bibel und zum Glauben werden an dieser Stelle sonst vor der Gemeinde vorgetragen. Doch wegen des Abendmahls wird darauf verzichtet, es geht weiter mit den Ansagen zur Chorprobe oder der Gebetsstunde.
Ein Gebet, ein Lächeln, eine Umarmung
Zwei neue hauptamtliche Mitarbeiter der Gemeinde werden begrüßt, Pfarrer Norbert Gelke spricht persönliche Worte und gibt der künftigen Bibelarbeiterin und dem Referenten für Jugendarbeit ein Bibelwort mit auf den Weg: "Niemand verachte deine Jugend; sondern sei ein Vorbild den Gläubigen im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Geist, im Glauben, in der Keuschheit." Die neuen Mitarbeiter werden gesegnet, es erklingt ein Lied zum Sabbat. Darauf folgt ein Moment des stillen Innehaltens.
Die Predigt widmet Pfarrer Gelke anlässlich des "Jahres der Dankbarkeit" den vielfältigen Aspekten des Dankes. Er spricht verständlich, lässt ebenso persönliche Erinnerungen wie biblische Geschichten einfließen. "Dankbarkeit ist für Jesus eine Selbstverständlichkeit, eine natürliche Reaktion auf das Gute in unserem Leben", sagt der Pfarrer. Doch heute sei die Dankbarkeit oft ein wenig "aus der Mode geraten", viele Menschen nähmen die guten Dinge in ihrem Leben als selbstverständlich hin. Die Predigt des Pfarrers wird unterbrochen von dem bekannten Kirchenlied "Danke für diesen guten Morgen".
Ein Orgelspiel schließt die Predigt ab, dann folgt die Einleitung zum Abendmahl, das nur einmal im Quartal gefeiert und von den Gemeindegliedern daher besonders erwartet wird. Pfarrer Gelke liest aus dem Kapitel 13 des Johannes-Evangeliums, wo beschrieben wird, wie Jesus seinen Jüngern die Füße wusch: "Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe". Diese Worte nehmen die Siebenten-Tags-Adventisten sehr ernst, weshalb dem Abendmahl in ihren Gemeinden stets eine Fußwaschung vorausgeht.
Plötzlich ist wieder viel Bewegung in der Kirche. Männer und Frauen nutzen für die Fußwaschung unterschiedliche Raumteile, die mit einem Sichtschutz getrennt werden. Immer zwei Gläubige oder kleinere Gruppen finden sich an den großen, mit Wasser gefüllten Plastikschüsseln zusammen. Für viele ist die Fußwaschung ein äußerst inniger Moment. Eine Tochter kniet minutenlang vor den entblößten Füßen ihrer Mutter; beide in ein Gebet versunken. Zwei ältere Frauen halten sich an den Händen und blicken sich für ganze Weile nur stumm, aber lächelnd an. In anderen Gruppen geht es heiterer zu, viele lachen und umarmen sich immer wieder. Auch der ein oder andere Seidenstrumpf wird manchmal mitgewaschen. Für die Fußwaschung nimmt sich die Gemeinde viel Zeit. Keiner bleibt allein, dafür sorgen Helfer, die auch Handtücher dabei haben. Die Fußwaschung endet mit einem Segenslied, wofür sich die Gläubigen in einem großen Kreis aufstellen und an den Händen halten.Nach dem darauf folgenden Auftritt des Chores wird das Abendmahl in Form von ungesäuertem Brot und Traubensaft verteilt. Die Gemeindeglieder stehen dazu in Reihen auf. Nach dem Abendmahl erfolgt erneut ein Lied, dann wird das "Vater Unser" gesprochen. Nach dem Segen und einem Orgelspiel endet der zweieinhalbstündige Gottesdienst. Jeder wird erneut mit Handschlag verabschiedet, bevor er aus dem Kirchengebäude in den sonnigen Herbsttag hinaustritt.