Die Arbeitsgruppe "Queer in Kirche und Theologie" hat eine Ritus-Arbeitshilfe für Gottesdienste anlässlich von Transitionen – Geschlechtsangleichungen – entworfen. Warum ist das nötig?
Theodor Adam (links; geboren 1984) ist Pastor der Hannoverschen Landeskirche in der Sankt-Georg-Gemeinde Sottrum.
Noah Kretzschel (geboren 1995) macht eine Ausbildung zum Erzieher und lebt in der Nähe von Mainz.
Beide sind ehrenamtlich in der Arbeitsgruppe "Queer in Kirche und Theologie" (QuiKT) aktiv.
Wann ist der richtige oder ein geeigneter Zeitpunkt für so eine Gottesdienstfeier?
Theodor Adam: Das hängt von der Person ab, die sich die Kasualie wünscht. Wir haben drei mögliche Momente im Lebenslauf vorgesehen. Die erste wäre, den Gottesdienst ganz am Anfang der Transition zu feiern um zu sagen: Es eine Art Reisesegen, mit dem die Person in diesen Prozess hineingeht. Man kann es zwischendrin machen als kraftgebenden Akt, als Akt der Vergewisserung. Oder man kann auch am Ende feiern als Dankesakt, um die Geschlechtsangleichung abzuschließen und zu sagen: "Ab jetzt beginnt der nächste Lebensabschnitt, für den ich mir Segen wünsche." Das ist ganz individuell und kommt darauf an, in welchem Stadium der Transition die Feier gewünscht wird.
Ich könnte mir vorstellen, dass das manche Pastorinnen und Pastoren ein bisschen überrascht, wenn jemand mit diesem Anliegen auf sie zukäme. Und auch, dass nicht jede und jeder bereit ist, eine solche Feier durchzuführen. Stellen Sie von QuiKT auch Pastorinnen und Pastoren zur Verfügung?
Adam: Wir machen das natürlich. Die Frage ist, wie groß eines Tages die Nachfrage sein wird, irgendwann können wir es sicher nicht mehr ganz alleine schaffen. Ziel ist es natürlich, die Arbeitshilfe so zu publizieren, dass mit ihr vor Ort in den Gemeinden gearbeitet werden kann. Bislang sind die Erfahrungen sehr positiv. Immer wenn wir davon erzählt haben, wurde gesagt: "Mensch, toll, kann ich diese Arbeitshilfe haben? Ich würde auch gerne damit arbeiten."
Was für Vorschläge sind denn in der Arbeitshilfe enthalten?
Kretzschel: Es gibt zwei zentrale Punkte in der Kasualie. Das ist einmal der individuelle Segen für den Menschen, der kann ganz einfach durch Handauflegen oder zum Beispiel durch ein Wasserzeichen ausgedrückt werden. Es kann auch sein, dass sich die ganze Gemeinde beteiligt, da sind auch durchaus nicht-konventionelle Formen möglich. Das zweite, was auf jeden Fall enthalten sein sollte, ist ein Gebet. Das kann ein selbstgeschriebenes sein, oder eins zum Beispiel aus dem Gesangbuch oder einfach das Vaterunser. In unserem "Segens-Baukasten" haben wir einige Gebete vorgeschlagen und außerdem Lieder, Psalmen und Texte aus der Bibel, gesammelt, die uns geeignet erschienen. Darüber hinaus sind verschiedene Symbolhandlungen möglich: Die Taufkerze könnte zum Beispiel als Symbol dafür stehen, dass es immer weitergeht und dass der Segen, der aus Taufe kommt, weiterhin andauert – auch, wenn der Name sich ändert. Im Zuge dessen könnte die auf den neuen Namen ausgestellte Taufurkunde in diesem Gottesdienst vom Pfarrer überreicht werden.
Adam: Ein wichtiger Punkt wäre noch, dass der neue Name deutlich ausgesprochen wird, falls der Name tatsächlich im Mittelpunkt der Feier steht. Man sagt damit aus: "Wir glauben, dass deine alte Geschichte in diesem neuen Namen mit aufgehoben ist. Wir möchten dich ab jetzt mit diesem neuen Namen anreden um klar zu machen: Du lebst jetzt in dieser neuen Form." Aber wichtig ist eben auch zu betonen, dass nicht das ursprüngliche Personsein und damit der Taufsegen oder die bereits zugesagte Gnade Gottes abgelegt wird – sondern dass all dieses kontinuierlich bleibt.
"Ganz wichtig: Wir machen keine Wiedertaufen!"
Sie haben den Ritus beim evangelischen Kirchentag 2015 in Stuttgart vorgestellt. Wie waren die Reaktionen?
Kretzschel: Es gab sehr positive Reaktionen. Wir hatten eine Podiumsdiskussion mit Teilnehmenden aus verschiedenen Bereichen wie Theologie und Recht und rund 30 Gästen. Da wurde dieser Vorschlag diskutiert und sehr positiv wahrgenommen. Vom Publikum kamen weitere Anregungen, was wir noch in die Arbeitshilfe aufnehmen könnten oder rausnehmen sollten.
Adam: Die Veranstaltung beim Kirchentag hatte auch zur Folge, dass unser Kreis sich erweitert hat. Wir haben tatsächlich neue Mitarbeitende gewonnen, die gesagt haben: Das Thema interessiert mich so, dass ich total gerne kasualtheoretisch mit daran weiterarbeiten würde. Außerdem haben sich die Anfragen nach der Arbeitshilfe seitdem deutlich gemehrt.
Haben Sie selbst denn einmal einen Gottesdienst mitgefeiert, der nach den Vorschlägen von QuiKT gestaltet wurde?
Kretzschel: Ich war bei einer Feier dabei und muss sagen: Ich habe noch nie einen Gottesdienst erlebt, der so persönlich und so intensiv war! Es war eine Feier in einer Kirche, bei der ungefähr 20 bis 30 Personen anwesend waren. Es gab eine Ansprache von der feiernden Person, die sich bei den Freunden und Verwandten dafür bedankt hat, dass sie die ganze Zeit für ihn da waren. Der Pfarrer hat auch eine kleine Ansprache gehalten, in der es darum ging, wie er die Veränderung von einem Körpergeschlecht zum anderen wahrgenommen hat. Sehr schön war die Segenshandlung. Es war eine Tauferinnerung – wobei ganz wichtig ist: Wir machen keine Wiedertaufen! Die Taufe war für diese Person sehr wichtig, weil sie sich erst mit 13 hat taufen lassen und das ihre aktive Entscheidung war. Deshalb wollte sie sich an diesen Moment wieder erinnern. Bei der Symbolhandlung mit Wasser standen alle Leute dahinter und legten sich gegenseitig die Hand auf die Schulter, so dass der Segen durch die ganzen Menschen hindurch ging. Es war eine enorm tiefgehende und schöne Feier.