Genau zwei Bibelstellen wurden von den Theologen bei der Konferenz "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften" Anfang Februar in Frankfurt zitiert: 1. Mose 1,27 und Galater 3,28. Die Biologin Joan Roughgarden steuerte noch Apostelgeschichte 8,26-40 und andere Verse über Eunuchen bei. In Bezug auf die Geschlechtsangleichung schlug ein Teilnehmer außerdem das Motiv der "neuen Kreatur" aus den neutestamentlichen Briefen vor. Doch der Reihe nach.
"Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau", so steht es in 1. Mose 1,27, richtiger übersetzt: "männlich und weiblich". Wie können Menschen, die homo-, bi- inter- oder eben transsexuell veranlagt sind, dieses binäre Modell "männlich und weiblich" verstehen und auf sich beziehen? Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung sagte dazu: "Die Zweigeschlechtlichkeit von Mann und Frau ist eine besondere Gabe Gottes. Sie ist aber nicht das einzige Schöpfungsgemäße, gegenüber dem andere geschlechtliche Orientierung als defizitär zu beurteilen wäre." Der evangelische Theologe Dirk Evers von der Universität Halle-Wittenberg ergänzte: "In der wechselseitigen Bezogenheit und seiner sexuellen Diversität entspricht der Mensch seinem Schöpfer." Nicht nötig, dass ein Mensch sich eindeutig als Mann oder Frau einordnet, um der Schöpfungsordnung zu entsprechen.
Als Begriff kommt Transsexualität natürlich nicht in der Bibel vor. Aber erwähnt werden mehrfach Eunuchen, kastrierte Männer, in der deutschen Übersetzung auch als "Verschnittene" bezeichnet. Sie waren häufig Hofbeamte, zum Beispiel Kämmerer. Kann man Eunuchen als Variante der Schöpfung betrachten? Und kann man sie gleichsetzen mit transsexuellen Frauen unserer Zeit? Transfrauen sind Menschen, denen nach der Geburt aufgrund der körperlichen Merkmale das Geschlecht "männlich" zugewiesen wurde und die zunächst als "Junge" bzw. "Mann" leben, bis sie sich zur Geschlechtsangleichung entscheiden. Die männlichen Geschlechtsorgane werden also auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin entfernt, was bei einem Teil der Eunuchen, die in der Bibel erwähnt werden, sicher nicht so war.
Gott urteilt nach Treue - nicht nach Geschlecht
Doch die transsexuelle bayerische Pfarrerin Dorothea Zwölfer kennt eine Transfrau, die sich selbst kastriert hat, weil der Leidensdruck, im "falschen" Körper zu sein, zu groß war und der Angleichungsprozess quälend lang dauerte. "Ein klassischer Fall von Eunuch" also, sagte Dorothea Zwölfer am Rande der Konferenz, "und das ist kein Einzelfall. Wenn die Geschlechtskörperdiskrepanz massiv ist, kommt das relativ oft vor." Weil das kulturelle und soziale Umfeld dieser heutigen Fälle sich von Eunuchen biblischer Zeiten allerdings unterscheidet, bleibt der Vergleich mit Vorsicht zu genießen. Und für Transmänner, also Menschen, denen nach ihrer Geburt das Geschlecht "Frau" zugewiesen wurde, die sich aber als Männer empfinden und operieren lassen, passt das Bild vom Eunuchen nicht ganz.
Im 5. Buch Mose – grob gesagt: dem Gesetz für das Volk Israel – gibt es einen Vers, der Eunuchen ausgrenzt: "Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des Herrn kommen." (5. Mose 23,2) Ausgrenzung oder Diskriminierung sind Erfahrungen, die Transmenschen auch heute machen. Doch andere Verse im Alten Testament klingen freundlicher, Jesaja 56,4-5 zum Beispiel: "Den Verschnittenen, die meine Sabbate halten und erwählen, was mir wohlgefällt, und an meinem Bund festhalten, denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben; das ist besser als Söhne und Töchter. Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll." Oder Weisheit 3,14: "Selig ist auch ein Entmannter, der nichts Unrechtes tut und nichts Böses gegen den Herrn erdenkt; dem wird für seine Treue eine auserlesene Gabe und ein besseres Los im Tempel des Herrn gegeben werden." Hier werden Eunuchen ausdrücklich ins Gottesvolk integriert, weil sie nach ihrer Treue beurteilt werden und nicht nach ihrer Geschlechtlichkeit.
Im Neuen Testament erwähnt Jesus die "Verschnittenen", als er mit Schriftgelehrten über Ehe und Ehelosigkeit diskutiert: "Denn einige sind von Geburt an zur Ehe unfähig; andere sind von Menschen zur Ehe unfähig gemacht; und wieder andere haben sich selbst zur Ehe unfähig gemacht um des Himmelreichs willen. Wer es fassen kann, der fasse es!" (Matthäus 19,12) Mit dieser Aussage mache Jesus "diese Gruppe sichtbar – und die Umwelt kapiert es anscheinend kaum", sagte Dorothea Zwölfer. Er stelle außerdem "klar, dass es mehr gibt als eine binäre genitalgeschlechtliche Ordnung".
Auch der Kämmerer aus Äthiopien in Apostelgeschichte 8, 26-40 ist ein Eunuch. In der Geschichte reist der Beamte der ägyptischen Königin nach einer Pilgerreise von Jerusalem wieder heim. Er begegnet dem Apostel Philippus, der ihm – vom Heiligen Geist geführt – einen Jesaja-Text auslegt und das Evangelium von Jesus bezeugt. Daraufhin lässt sich der Kämmerer auf der Stelle taufen. "Ich glaube, das ist wirklich ein ganz starkes Mandat für die Inklusion von Transgender-Personen", sagte dazu auf der Frankfurter Konferenz die Biologin Joan Roughgarden. Und Dorothea Zwölfer ergänzte: "Gottes Geist wollte, dass dieser Mensch getauft wird. Eine explizite Formulierung dessen, wie Kirche mit denen umzugehen hat, die 'verschnitten' sind!"
Die Arbeitsgruppe "Queer in Kirche und Theologie" (Quikt) hat sich Gedanken darüber gemacht, wie die Kirche konkret mit Transmenschen umgehen kann: Indem sie die Geschlechtsangleichung mit ihnen feiert. In einer Arbeitshilfe hat Quikt Texte Gebete, Lieder und Bibelstellen zusammengestellt, die in einer solchen Feier verwendet werden könnten. Unter den Bibeltexten sind zwei aus den neutestamentlichen Briefen: "Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden", schreibt der Apostel Paulus in 2. Korinther 5,17. So ähnlich klingt Epheser 4,23-24: "Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit."
Den neuen Menschen "anziehen"
Was hat es mit diesem "neuen Menschen" auf sich? Durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, so die Botschaft des Neuen Testamentes, leben Christen schon in einer neuen Heilszeit. Das "Königreich der Himmel", von dem Jesus sprach, ist für sie schon angebrochen. Allerdings nicht mit einem großen Knall, sondern eher subtil. Auf bibelwissenschaft.de heißt es dazu, es sei "keine andere Welt, sondern diese Welt anders; kein Leben im Himmel, sondern den Himmel auf Erden; kein Ende der Zeit, sondern ein Ende des Leids in einer Zeit ohne Ende." Die Vorstellung vom "Königreich der Himmel" hat mit Sehnsucht zu tun: In ihrer instabilen und unvollkommenen Existenz sehnen sich viele Menschen nach einem neuen, anderen Leben. Für Transmenschen nach erfolgter Operation, so könnte man interpretieren, ist diese Sehnsucht zum Teil schon erfüllt worden: In ihrem neuen Körpergeschlecht sind sie so etwas wie eine "neue Kreatur", haben "den neuen Menschen angezogen". Allerdings sollte dazu immer auch gesagt werden: Das "Neue" gilt für alle Christen, und für keinen ist es bereits vollendet.
Ein Grundsatz für die christliche Gemeinde lautet: "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus", der berühmte Vers aus Galater 3,28. Was Paulus damit ausdrückt, beschreibt der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock mit den Begriffen "Gleichwertigkeit" und "Inklusion". "Gott liebt und achtet in Christus jeden – gleich – in seiner Unterschiedlichkeit gleich; eine solche Gleichheit ist keine Gleichmacherei, sondern gleiche Würdigung", sagte Dabrock auf der Konferenz in Frankfurt. Auch Volker Jung zitierte den Vers in seinem Vortrag und sagte: "Die Zusage des Heils in Jesus Christus ist gerade nicht an menschliche Herkunft und Rollenzuschreibung gebunden."