"Liebe Menschen", so begann Gerhard Schreiber, Theologe an der Uni Frankfurt, seine Begrüßung – so war niemand gezwungen, sich in eine Geschlechts-Schublade einzuordnen. "Damen und Herren" hätte geradezu kurios gewirkt bei der Konferenz "Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften". Schreiber hatte dazu Neurowissenschaftler, Biologinnen, Juristinnen und Theologen eingeladen, um alle auf den neuesten Stand und miteinander ins Gespräch zu bringen.
Manche Menschen wollen sich gar nicht bei "Mann" oder "Frau" einordnen, und letztendlich können es die Hirnforscher auch nicht. Je nachdem, wie man biologische, anatomische, chromosomale, hormonelle, neurologische, genetische, psychologische oder soziale Merkmale kombiniert, ergeben sich unendlich viele Geschlechter. Da kommt die Frage nach dem praktischen Sinn der Ursachenforschung im Gehirn auf: "Woher es kommt, interessiert die Menschen nicht mehr, sobald sie ihren Weg gefunden haben", brachte es ein Teilnehmer kritisch auf den Punkt. Auch einige der 19 Referenten bekräftigten diese Sicht: Der Psychiater und Psychotherapeut Horst-Jörg Haupt aus Luzern warb für geschlechtliche Selbstbestimmung und der evangelische Theologe Dirk Evers von der Universität Halle-Wittenberg sagte fast andachtsgleich: "Vor Gott sind wir als diejenigen angesehen, die in keiner Zuschreibung, in keiner Rolle aufgehen."
Sensibilität war gefragt – auch in der Sprache. Der Psychologe Kurt Seikowski aus Leipzig spricht statt "Transsexualität" lieber von "Transidentität", denn die betreffenden Menschen hätten ja kein Problem mit ihrer "Sexualität". Jemand fragte, was denn bitte "männliche und weibliche Eigenschaften" sein sollen. "Wir müssen den Schubladenschrank loswerden!", forderte Regina Ammicht Quinn vom Zentrum für Gender und Diversitätsforschung in Tübingen.
"Es gibt keine christliche Sexualmoral"
"Aber in der Schöpfungsgeschichte steht doch: er schuf sie als Mann und Frau", mögen Bibelkundige einwenden. Dirk Evers präzisierte, dass in 1. Mose 1,27 die Adjektive "männlich" und "weiblich" stehen. In demselben Vers wird allen Menschen Gottebenbildlichkeit zugesprochen. "In der wechselseitigen Bezogenheit und seiner sexuellen Diversität entspricht der Mensch seinem Schöpfer", erklärte Evers. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung sah das auch so: Die Zweigeschlechtlichkeit sei "nicht das einzige Schöpfungsgemäße, gegenüber dem andere geschlechtliche Orientierung als defizitär zu beurteilen wäre", sagte er und forderte: "In der evangelische Kirche sollen sich Menschen jeglichen Geschlechts und verschiedener sexueller Prägung von Gott geliebt und angenommen fühlen." Jung sagte außerdem, dass eine "Entmoralisierung erforderlich" sei.
Moral? Ja, darum geht es immer noch, mindestens in der katholischen Kirche. Welches Problem die mit der Geschlechtlichkeit hat, zeigte die Theologin Regina Ammicht Quinn: Eine klare Zweigeschlechtlichkeit bedeute Ordnung, es darf keine Vermischung und "Unreinheit" geben. "Schmutz" wäre zum Beispiel Körperflüssigkeit am falschen Ort – Chaos bricht aus, nichtpassende Körper müssen "aufgeräumt" werden, "Transsexualität ist dann eine Kampfansage an die Schöpfungsordnung", erläuterte Ammicht-Quinn. Gott habe aber gar kein Interesse daran, mit Reinheitsgeboten Ordnung zu schaffen. "Es gibt keine christliche Sexualmoral", war ihre steile These. Ammicht Quinn forschte stattdessen vom Begriff "trans" ausgehend nach "Grenzüberschreitungen" im Christentum. Sie fand: die vom Menschen zu Gott (Transzendenz), die von Gott zu den Menschen (Inkarnation) und die "Bekehrung zu einem Gott, der größer ist als die menschlichen Ordnungsversuche" (Konversion). Um Sex muss es also gar nicht gehen beim Thema "Transgeschlechtlichkeit". Mit dieser Erkenntnis war Regina Ammicht Quinn ihren Kollegen um ein paar Nasenlängen voraus.
Eberhard Schockenhoff, katholischer Moraltheologe aus Freiburg im Breisgau, sprach in seinem Vortrag irritierenderweise über Ehe und Sexualität, gestand aber immerhin auch nicht-hetero-normativen Paaren zu, in Zweierbeziehungen zu leben. Er entwarf eine Beziehungsethik, nach der Liebe, Hingabe und Verlässlichkeit wichtig sind. Ähnlich der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock aus Erlangen, der seine Kriterien für verantwortlich gelebte Sexualität darlegte. Einen Appell an Christen und Kirche, nicht-hetero-cis-normative sexuelle Ausrichtungen und Identitäten anzuerkennen und zu würdigen, begründete Dabrock biblisch: Die Menschenwürde leitete er von der Gottebenbildlichkeit in 1. Mose 1,27 ab, die Inklusion und Gleichwertigkeit aller Menschen aus Paulus' "… hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus" (Galater 3,28). Doch auch Dabrock traf eigentlich nicht das Thema Transsexualität.
Das Publikum hakte nach: "Sie haben von Beziehung gesprochen, nicht von Identitätswechsel. Was wäre das ethische Problem an dem Phänomen Transsexualität? Gibt es eins?" Nein, so die Antwort von beiden Theologen. "Sie müssen Unterstützung kriegen können für Herstellung von Kongruenz", sagte Dabrock und meinte die Übereinstimmung von Hirn- und Körpergeschlecht nach einer Operation. So auch Schockenhoff: "Wenn eine Person unter der Differenz leidet, dann muss man den Weg gutheißen, die Störung zu beheben. Das ist nicht gegen Gott gerichtet und nicht moralisch unwürdig. Das kann ein verantwortlicher Umgang mit der eigenen Körperlichkeit und ein Ausdruck von Selbstliebe sein."
Bemerkenswert war, dass ausgerechnet eine Biologin den Theologen zeigte, was noch zum Thema "Transsexualität" in der Bibel steht: Joan Roughgarden leitete "ein ganz starkes Mandat für die Inklusion von Transgender-Personen" aus den Stellen über Eunuchen ab, insbesondere der Geschichte vom Kämmerer aus Äthiopien (Apostelgeschichte 8, 26f).
Erster Wunsch: "Hilfe beim Coming-out"
Gerade wenn Menschen an ihrem Körper und ihrer Umwelt leiden, sollte diese Inklusion den Kirchen ein echter Auftrag sein, jenseits von Sonntagsreden über die Gleichwertigkeit aller Menschen. Dass Teile der Kirchen ihre moralisierende Position verlassen und sich aufmachen, Menschen in ihrer Identität wahrzunehmen, ist zwar schön, reichte den Teilnehmenden der Konferenz aber nicht. In einer Resolution, die Esther Lau von der Gruppe "Queer Mittelrhein" spontan während der Konferenz geschrieben hat, fordern die Unterzeichner, dass die beiden großen Kirchen sich in einen Dialog mit intersexuellen und transidenten Menschen begeben. "Es gilt, theologische Antworten und praktische Wege für die Lebbarkeit und Vereinbarkeit von Intersexualität und Transidentität im religiösen Kontext zu finden." Einen Anfang hat die Arbeitsgruppe "Queer in Kirche und Theologie" gemacht: Sie hat Bausteine erarbeitet, wie ein Gottesdienst anlässlich einer Transition aussehen könnte.
Die eigentliche große Baustelle der Kirche beim Thema Transidentität ist die begleitende Seelsorge. Die transsexuelle bayrische Pfarrerin Dorothea Zwölfer hat bei Facebook eine Umfrage unter Transmenschen gemacht, ihre Frage war: "Was ist eure Erwartung an Kirche, was ist euch am Wichtigsten?" Die Antwort an erster Stelle: "Unterstützung beim Coming-out." Die Pfarrerin erzählt von einem Krankenhausbesuch bei einem Menschen nach dessen geschlechtsangleichender Operation. Die Eltern hätten gesagt: "Du bist nicht mehr unser Kind." – "Das ist schon ein Hammer", findet Zwölfer. Wie kann die Kirche in so einem Fall aktiv werden? "Wenn dann der Pfarrer bei den Eltern mal einen Besuch machen und sagen würde: 'Hören Sie mal, es ist zwar vielleicht ein Schock für Sie, aber jetzt fassen Sie sich doch mal ein Herz und reden Sie wieder mit ihrem Kind!'"
Anmerkung: Eine missverständliche Formulierung Ende des zweiten/Anfang des dritten Absatzes wurde nachträglich von der Autorin geändert.