Herr Bancin, war es ein Kulturschock für Sie, als Sie hierhergekommen sind?
Favor Bancin: Ja, auf jeden Fall. In Indonesien sind wir zum Beispiel nicht so direkt. Ich denke schon, dass es gut ist, wenn die Menschen hier direkt sind, aber manchmal finde ich es etwas unhöflich. Im Deutschkurs mache ich viele Fehler. In Indonesien sagen die Lehrer, du solltest das lieber so und so sagen, hier sagen sie: "Falsch, falsch, falsch." Ich denke, das ist ein bisschen hart am Anfang. Es ist bloßstellend, vor der Öffentlichkeit so herausgestellt zu werden.
Können Sie die Kultur in Ihrer Heimat beschreiben?Bancin: In Indonesien ist es sehr wichtig, dass man das Gesicht wahren kann. Und deswegen wird immer darauf geachtet, dass, wenn ich schon etwas Unangenehmes ansprechen muss, ich unter vier Augen mit der Person spreche und dies niemals vor anderen Leuten tue. Das heißt nicht, dass Menschen in Indonesien nicht kritikfähig sind. Sie haben eine andere Art und Weise, das zu tun. Es ist Indonesiern auch wichtig, dass die Ehre gewahrt wird.
Warum wollten Sie ausgerechnet eine Gemeinde in Deutschland übernehmen?
Bancin: Eigentlich wollte ich das gar nicht. Es ist nicht mein Wunsch, hier zu sein. Oder er war es zumindest nicht. Aber es gehört nun mal zu meiner Aufgabe dazu, das zu tun, was meine Kirchenleitung von mir verlangt. Und wenn die Kirchenleitung sagt, dass ich dort und dort hingehen soll und das und das tun soll, dann tue ich es – außer natürlich, wenn es keinen Sinn macht oder kontraproduktiv ist.
Welche persönlichen Gründe gab es denn für diese Entscheidung?
Bancin: Ich wolle mich selbst herausfordern. Ich wollte heraus aus meiner Komfortzone. In Indonesien kenne ich mich aus. Ich weiß, wie ich handeln muss. Ich weiß, wie ich mich zu benehmen habe. Hier bin ich wie ein kleines Kind, ich muss sprechen lernen, ich muss mich blamieren, was gerade für mich als Pfarrer auch ungewohnt ist, weil man als Pfarrer in Indonesien ein sehr hohes Ansehen hat und eigentlich nicht in die Situation kommt, in die ich hier oft gerate, nämlich dass ich mich blamiere vor anderen Menschen. Das ist allerdings auch etwas, dass mich reizt, dass ich mich selbst dem aussetze und dadurch Neues erfahre. Und noch ein persönlicher Grund ist, dass ich den Ursprung meines christlichen Glaubens kennenlernen wollte. Mein christlicher Glaube wurde ja aus Deutschland zu uns gebracht von den Missionaren. Ich wollte selbst erleben, wie das heutzutage ist in der deutschen Gesellschaft mit den christlichen Werten.
Welche Herausforderungen sehen Sie auf sich zukommen? Von welchen Zweifeln werden Sie geplagt?
Bancin: Ich muss schon ganz ehrlich gestehen, dass es mir echt schwerfällt zum Teil, weil ich beim Sprachlichen schon so viele Hürden erlebe, dass ich mich manchmal frage: Wenn ich mich noch nicht mal ausdrücken kann, warum bin ich dann überhaupt hier? Wie soll ich mich hier mit den Menschen über unsere Kulturen und über unseren Glauben austauschen, wenn ich noch nicht mal sprechen kann? Wenn Menschen mich nicht verstehen und ich die Leute nicht verstehe? Das ist schon eine große Herausforderung für mich.
Welche Pläne haben Sie denn für Ihre Gemeinde in Wuppertal? Welche Projekte möchten sie anstoßen?
Bancin: Die Themen, die diese Gemeinde beschäftigen und die ich bisher mitbekommen habe, das sind auch Sachen, die mich sehr interessieren. Zum Beispiel der jüdisch-christlich-muslimische Dialog. Das ist schon ein Thema, das mich seit meinem Studium interessiert. Und angesichts der Flüchtlingssituation ist das ein brandaktuelles Thema. Was mich auch interessiert, ist, dass die Gemeindemitglieder der Thomaskirche sehr international sind. Menschen aus vielen Nationen sind dort zu Hause und das ist gerade für mich sehr interessant, weil meine Kirche in Indonesien ganz anders ist. Das ist wirklich eine Stammeskirche, wenn man so will. Dabei glaube ich, dass Vielfalt etwas ist, was uns im Leben auf jeden Fall begegnen wird, was sich auch lohnt und wo ich, glaube ich, sehr viel von den Brüdern und Schwestern hier lernen kann – auch für meine Kirche in Indonesien, wo uns das wahrscheinlich noch bevorsteht.
"Gott wird schon dafür sorgen, dass genug Arbeiter kommen und er wird die Arbeiter berufen"
Außerdem interessiert mich die starke Jugendarbeit der Thomaskirche, weil man heutzutage den Eindruck haben könnte, dass man mit Jugendlichen nicht wirklich über Religion sprechen kann. Aber ich glaube, dass das nicht wirklich hundertprozentig stimmt. Ich glaube, dass die Jugendlichen viele Fragen zum Leben haben und das kann eine Gelegenheit sein, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Nicht, damit sie unbedingt christlich werden, sondern einfach damit sie einen breiteren Horizont bekommen. Denn ich glaube, Deutschland wird in Zukunft sehr viel bunter. Und ich glaube, wir als Kirche dürfen uns nicht nur mit unseren eigenen Fragen und Problemen beschäftigen. Denn wenn wir uns nur mit uns selbst beschäftigen, dann sterben wir erst recht sehr bald aus.
Was bedeutet Mission für Sie?
Bancin: Die Mission sollte wieder in ihrer ursprünglichen Bedeutung gesehen werden. Nämlich das Reich Gottes wahr zu machen. Und das ist kein territoriales Königreich, das realisiert werden soll, sondern die Vision einer Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen und in der es keine Umweltzerstörung gibt. Wir sollten etwas für die Gesellschaft tun. Wenn wir einen positiven Beitrag leisten können, um die Gesellschaft aufzubauen – das muss unsere wahre Mission sein.
Zum Beispiel in meiner Kirche in Indonesien haben wir das Problem, dass in dem Gebiet, in dem wir leben, 30 Prozent der Bevölkerung muslimisch ist. Der Dialog ist manchmal schwierig, weil es unter den Muslimen auch solche gibt, die unsere Kirchen niederbrennen und zerstören. Wie kann man solchen Menschen entgegentreten? Eigentlich nur, indem man ihnen zeigt: Der eine muss nicht über den anderen herrschen, sondern: Wie können wir gemeinsam leben und Vertrauen schaffen, um gemeinsam für diese Gesellschaft zu agieren? Das sollte unsere Mission sein.
Wie viel religiöse Freiheit und Toleranz haben sie in Indonesien erlebt?
Bancin: Im Allgemeinen ist das Zusammenleben der Religionen in Indonesien sehr gut und es gibt eine hohe Toleranz – abgesehen von kleinen Gruppierungen, die radikal sind. Das größte Problem ist, dass die Religion oft von der Politik instrumentalisiert oder politisiert wird. Zum Beispiel werden oft gerade in den Kommunalwahlen Ressentiments zwischen den Religionen geschürt. Und gleichzeitig glaube ich, dass Indonesien niemals so werden könnte wie Pakistan – obwohl es bevölkerungsmäßig das größte muslimische Land der Welt ist. Denn in unserem Land gibt sehr starke demokratische Fundamente. Und aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen: Viele meiner Familienmitglieder sind Muslime und ich kann mir nicht vorstellen, dass meine eigenen Geschwister mir etwas Böses antun könnten.
Wieso sind Sie Pastor geworden?Bancin: Als ich ungefähr ein Jahr alt war, war mein Vater zum weiterführenden Studium der Theologie in Australien und meine Mutter war mit mir in Sumatra. Da wurde ich plötzlich sehr, sehr krank. Ich hatte eine schlimme Magen-und-Darm-Erkrankung und die Ärzte hatten mich quasi schon für tot erklärt. Meine Mutter ist vom Krankenhaus in die Kirche gerannt und hat gebetet: "Herr, wenn mein Kind lebt, dann wird er dein Werkzeug werden, dann wird er Pfarrer." Als Jugendlicher habe ich mich lange dagegen gewehrt, weil ich eigentlich ganz andere Pläne hatte. Ich wollte etwas tun, womit ich mehr Geld verdienen würde und womit ich Karriere machen könnte.
Eines Tages befand ich mich mit einem Missionar auf einer Reise nach Padang. Er kam aus dem Westen Sumatras, war vom Islam konvertiert und nun Missionar. Wir waren über 24 Stunden lang im Auto, haben uns lange unterhalten und er hat mir erzählt, wie er zum Christentum gefunden hat und Missionar geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt fuhren wir durch ein Feld, wo das Getreide erntereif war. Und er sagte zu mir: "Erinnerst du dich an die Geschichte in der Bibel, in der gesagt wurde, dass die Ernte eingeholt werden muss, sich aber nicht genug Arbeiter finden, um die Ernte einzuholen?" (Lukas 10) In dem Moment erinnerte ich mich, dass dieser Mann am Abend zuvor im Haus meines Onkels übernachtet hatte, der auch Pfarrer ist. Und ich dachte schon: Ach, der wurde jetzt bestimmt von meiner Familie beauftragt, mich zu überreden doch irgendwie Pfarrer zu werden. Und deswegen sagte ich so ein bisschen verärgert: "Ach Quatsch, es gibt doch nicht zu wenig Arbeiter, wenn die Ernte wirklich eingeholt werden muss. Dann wird Gott schon dafür sorgen, dass genug Arbeiter kommen und er wird die Arbeiter berufen." Und dann sagte dieser Missionar: "Der Herr ruft, aber nicht viele antworten. Es kommen nicht genug Arbeiter, weil viele diesem Ruf nicht nachgehen." Und dann fragte er mich direkt: "Willst du einer sein, der dem Ruf nicht folgt, wenn Gott ruft?"