Nicht nur ein Blatt Papier, sondern eine ganze Papierfabrik passen in der Flüchtlingsfrage zwischen CDU und CSU. Das konnte sehen, wer am Sonntagabend bei Anne Will die Diskussion zum Thema "Vorbild Österreich - Braucht auch Deutschland eine nationale Obergrenze?" verfolgt hat. "In Deutschland ist eine Obergrenze wie in Österreich undenkbar", beantwortete gleich zu Beginn der kanzlerinnentreue Armin Laschet (CDU) die Frage. Widerworte gab es dafür aus der Schwesterpartei: "Es gibt eine Obergrenze für jedes Land", sagte Hans-Peter Friedrich (CSU).
Dass gleich zwei Unionspolitiker mit Anne Will diskutierten, war aber auch deshalb bemerkenswert, weil außer ihnen kein weiterer Vertreter einer Bundestagspartei zugegen war. Dafür fand sich rechts neben Friedrich noch ein Platz: Beatrix von Storch (AfD) stellte erneut unter Beweis, dass auch eine Abgeordnete des EU-Parlaments keine Anhängerin des europäischen Gedankens sein muss. Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der EKD, ergänzte das Politikertrio. Trotz des ausgedünnten Meinungsspektrums entstand eine hitzige Debatte.
Armin Lascht warnte davor, Deutschlands Grenzen zu schließen. Nicht nur Menschen auf der Flucht, auch der deutsche Staat werde darunter leiden. Er verwies auf den wirtschaftlichen Schaden den Deutschland durch geschlossene Grenzen erleiden könnte. "Sowas muss die Kanzlerin im Blick haben", ergänzte er. Hinzu kämen die möglicherweise riskanten Folgen für die EU: "Wenn Deutschland und Österreich die Menschen an der Grenze abweisen, sind irgendwann alle Flüchtlinge auf dem Balkan. Man kann das Problem nicht auf die instabilen, gerade mal 20 Jahre alten Demokratien abschieben." Ziel müsse es deshalb sein, den Schutzbedürftigen zu helfen und gleichzeitig die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Letzteres sei der Regierung bereits durch härtere Asylgesetze gelungen.
Für derlei Gedanken hatte der frühere Bundesinnenminister Friedrich wenig übrig. "Sicherheitsexperten sagen, dass Deutschland wie ein Magnet in Europa sitzt. Wenn alle gleichzeitig die Grenzen zumachen, ist das ein Signal dafür, dass sie nicht zu uns kommen können", sagte der CSU-Politiker. Davon wollte Bedford-Strohm nichts wissen: "Wir müssen zu Humanität und Sachlichkeit zurückkommen. Die Menschen kommen aus schlimmer Not. Da geht es um Leben und Tod", sagte er. Dann insistierte er und wollte von Friedrich wissen, wie er sich das vorstelle, wenn ein Land nach dem anderen die Grenze schließt: "Was passiert dann mit den Menschen?" Nach mehrfachen Nachfragen sagte der Politiker in ungewohnt mildem Ton: "Schutzbedürftigkeit kennt keine Grenze" – fügte aber gleich hinzu, dass "wir nicht jedes Jahr eine Millionen aufnehmen können."
"Verantwortung endet nicht an nationalen Grenzen"
Für Beatrix von Storch stellen sich all diese Fragen nicht. Die Obergrenze für Flüchtlinge ist in ihren Augen längst erreicht. Ein Problem bei einer Grenzschließung kann sie nicht erkennen: "Wer aus einem sicheren Drittland kommt, hat kein Recht auf Asyl. Alles, was Deutschland also machen muss, ist sich an geltendes Gesetz zu halten." Was das für die Menschen bedeutet, schien sie darüber hinaus nicht weiter zu interessieren. Auch nicht, dass die Drittstaatenregelung hinter der völkerrechtlichen Verpflichtung zurücktritt.
Obwohl von Storch mehrfach Friedrichs Bild von Kanzlerin Merkel als "Flüchtlingsmagnet" verwendete, blieb der Flirt zwischen CSU und AfD aus. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich von Storch selbst ins argumentative Aus beförderte. Eingliederungsbemühungen, so sagte sie, seien bei den Flüchtlingen überflüssig. "Sie sind nur so lange hier, bis der Krieg in ihren Ländern vorbei ist. Die benötigen keine Integration", stellte sie fest. Ein Facebookpost brachte dann schließlich Publikum und Mitdiskutanten zum Staunen: "Ich nehme Wetten an: Wenn sie (Angela Merkel) bald zurücktritt, verlässt sie das Land. Aus Sicherheitsgründen", hatte die Politikerin geschrieben. Im Studio rechtfertigte sie ihre Aussage damit, dass die Kanzlerin Gerüchten zufolge nach Chile auswandern wolle. Das war auch Hans-Peter Friedrich offensichtlich zu doof.
"Verantwortung heißt, dass der Horizont nicht an der nationalen Grenze endet", entgegnete Bedford-Strohm den Argumenten der Politikerin. "Es ist keine Lösung, wenn wir Menschen aus dem Gesichtsfeld bekommen. Wir müssen uns um sie kümmern, egal wo sie sind", ergänzte er. Wie Laschet appellierte er, die Flüchtlingsströme zu senken, ohne dafür Obergrenzen einführen zu müssen. Die Politik müsse dafür deutlich früher ansetzen. "Fluchtursachen in Afrika müssen beseitigt werden", forderte er. "Wenn deutsche Firmen Hähnchenschenkel nach Westafrika exportieren, weil die Handelsvereinbarungen entsprechend sind, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Bauern ihre Hühnerzucht nicht halten können und andere Wege suchen", sagte der Theologe. Deshalb seien Handels- und auch Klimapolitik die Flüchtlingspolitik der Zukunft.