Ein Livestream im Internet ist mittlerweile Standard beim ZDF-Fernsehgottesdienst, jetzt probiert das evangelische Rundfunkteam zumindest gelegentlich – es ist das zweite Mal – auch interaktive Elemente aus. Wenn der Gottesdienst am kommenden Sonntag um 9.30 Uhr anfängt, empfiehlt es sich, als Zuschauer einen Second Screen zu öffnen, also Computer, Tablet oder Smartphone zusätzlich zum Fernseher einzuschalten. Zu Beginn der Übertragung aus der Berliner Flüchtlingskirche St. Simeon im Kreuzberg wird das Team um Rundfunkpfarrer Stephan Fritz ankündigen, wie es funktioniert: In den ersten 20 Minuten des Gottesdienstes können per Mail Fragen zum Thema Flüchtlinge an fernsehgottesdienst@fluechtlingskirche.de geschickt werden.
Markus Bräuer kennt den Job vom letzten Mal: Im Mai 2014 hat das Rundfunkteam erstmals einen teilweise interaktiven Gottesdienst gefeiert. "Damals haben wir ungefähr ich 25-30 Zuschriften bekommen", erzählt der Medienbeauftragte und findet: "Das war für einen Gottesdienst, in dem es nicht üblich ist, per Mail Fragen einzubringen, ein großer Erfolg." Auch Stephan Fritz hatte Grund zur Freude: "Vorletztes Jahr waren wir während der Zeit, in denen die Fragen diskutiert wurden, Marktführer. Da ist die Quote richtig hochgeschossen."
Was macht Markus Bräuer, wenn diesmal auch die Zahl der Mails weiter in die Höhe schießt? Er wählt sorgfältig aus. "Fragen, die interessiert und sachlich gestellt sind, werden natürlich weitergegeben", sagt er. "Statements, die die Würde von Menschen einschränken oder politisch extremistische Meinungen abbilden, werden wir allerdings zurückstellen." Mit Kritik an der Kirche – auch damit ist ja zu rechnen – hat Bräuer dagegen kein Problem: "Ich vertrete die Haltung, dass auch kritische Anfragen an die Kirche ihre Berechtigung haben und dass auch Sorgen und Ängste aufgenommen werden müssen."
Der Fernsehjournalist Wulf Schmiese (ZDF) bekommt die ausgewählten Fragen zugesteckt und gibt sie an vier Menschen in einer Talkrunde weiter. "Ich bin Teil des Gottesdienstes und habe darin die Funktion als Journalist", erklärt Schmiese. "Als solcher bin ich tatsächlich 'Medium' im Wortsinn, ich bin das Verbindungsstück zwischen der Gemeinde – auch der draußen an den Bildschirmen – und den Gästen in dem Gottesdienst, die die Fragen gestellt bekommen."
Für die Talkrunde hat Schmiese nur acht Minuten Zeit – das ist angesichts von vier Gesprächspartnern und des komplexen, emotionalen Themas eine Herausforderung. Der Moderator muss aufpassen, dass die Antworten nicht ausschweifen. Letztes Mal waren die Talkgäste Politiker, also Menschen, die einerseits im öffentlichen Reden geübt sind – anderseits gerne mal etwas mehr erzählen als unbedingt nötig. "Die Zeit ist natürlich sehr knapp bemessen", sagt Schmiese. "Deswegen mussten die Leute, die gefragt wurden, darum gebeten werden, relativ knappe Antworten zu geben."
"Eine Weiterentwicklung in unserer Gottesdienstkultur"
So wird es auch diesmal sein, wenn in der Talkrunde neben der Berliner Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein zwei ehemalige und mittlerweile voll integrierte Flüchtlinge, Mohammed Jouni aus dem Libanon und Feride Berisha aus Ex-Jugoslawien, sowie Hansjörg Behrend vom Willkommensbündnis Reinickendorf auf die Fragen warten. Der Fernsehmoderator traut besonders Berisha und Jouni viel zu: "Wer, wenn nicht die, die selber als Flüchtlinge und als Ausländer Deutschland erlebt haben, könnten da jetzt die treffenden Antworten geben?"
Das Thema des Gottesdienstes, "Einander brauchen" findet Wulf Schmiese "sehr gut gesetzt" und er freut sich auf die Mitarbeit bei der Live-Übertragung. Auch Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein, ist voller Vorfreude – besonders auf den interaktiven, spontanen Teil: "Sonst beim ZDF-Gottesdienst liegt ja alles fest", erklärt sie. "Man hat sein Manuskript, man hat alles vorbereitet, man ist voll auf der sicheren Seite." Diesmal nicht. "Ich finde es schon spannend, dass es jetzt auch einen Moment gibt, wo wir noch nicht so genau wissen, was auf uns zukommt."
In ihrer Predigt wird Ulrike Trautwein auf den Text "Ein Leib und viele Glieder" aus dem ersten Korintherbrief eingehen. "Die Kernbotschaft ist, dass wir alle miteinander zusammenhängen." Alle, damit meint sie tatsächlich nicht nur Christen, sondern alle Menschen auf der ganzen Erde. "Wir hängen zusammen und das konnte man lange gut verdrängen. Aber jetzt sind die Menschen da, die von unserem Lebensstil schon lange betroffen sind." Gerade weil das Thema alle Menschen angehe, sei es passend und gut, dass am Fernseher Mitfeiernde in den Gottesdienst hinein Fragen stellen können, sagt Trautwein. "Ich finde es wichtig, dass man nicht nur vor dem Fernseher sitzt und sich entweder ärgert oder aber eine Frage hat, die man aber nicht loswerden kann."
Interaktive Online-Gottesdienste – ein Zukunftsmodell für das evangelische Rundfunkteam? Ulrike Trautwein sieht darin jedenfalls "eine Weiterentwicklung in unserer Gottesdienstkultur". Stephan Fritz ist etwas zurückhaltender: "Wir werden es öfter einsetzen, aber keinesfalls in jedem Gottesdienst", sagt der Pfarrer. Manchmal, zum Beispiel in sehr feierlichen Gottesdiensten wie dem zu Neujahr in der Dresdner Frauenkirche, würden Frage-Mails und eine Talkrunde nicht passen, meint Fritz. In anderen – wie am kommenden Sonntag in Berlin oder auch im April 2016 aus der Andreasgemeinde in Niederhöchstadt – sieht er durchaus die Chance, über das interaktive Medium Internet jüngere Zielgruppen zu erreichen. "Aber wir müssen auch berücksichtigen, dass am Sonntagvormittag Nutzergruppen vorhanden sind, die nicht unbedingt mit Second Screen da sitzen", sagt Stephan Fritz.
In der Kirche selbst darf man an diesem Sonntag während des Gottesdienstes übrigens kein Smartphone benutzen. Ausgerechnet die Anwesenden sind also leider vom Mitmachen per Mail ausgeschlossen.