Wie kam es dazu, dass Sie sich zu dem Einsatz in Serbien entschlossen haben?
Christian Vietz: Ich war schon länger interessiert, in diesem Bereich aktiv zu werden: Menschen in Krisensituationen oder in Katastrophen konkret zu helfen. Zum einen fasziniert es mich zu sehen, wie Organisation und Koordination in diesem Setting aussieht. Zum anderen reizt es mich, an einer Stelle zu arbeiten, an der Entscheidungen getroffen werden, die konkrete Implikationen für die Menschen vor Ort - in diesem Fall den Flüchtlingen, die durch Serbien kommen. Das begeistert mich. Außerdem lernt man wunderbare Menschen kennen, die, wie ich sagen würde, "das gleiche Herz teilen". Sie wollen auch konkrete Hilfe leisten, damit es Menschen besser geht und gleichzeitig den einzelnen Menschen nicht aus den Augen verlieren. Sondern, wenn möglich, sich auch Zeit dafür zu nehmen.
Warum haben Sie sich ausgerechnet bei humedica engagiert?
Welche Rolle spielt es für Sie, dass humedica eine christliche Organisation ist?
Vietz: Der christliche Glaube bildet die Grundlage für die Arbeit von humedica: Nächstenliebe findet Ausdruck, wo Menschen in Notsituationen konkrete Hilfe angeboten wird, dies geschieht ohne Ansehen der Person aus einem christlichen Menschenbild heraus, das darauf fußt, dass Gott jeden Menschen liebt. Außerdem bietet der Glaube eine gute Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team, offen über die Herausforderungen des Einsatzes zu sprechen und sich gegenseitig zu stärken.
"Ich bin an Grenzen gekommen"
Inwiefern hat ihr Einsatz für Flüchtlinge mit Ihrem Glauben zu tun?
Vietz: Ich glaube, dass jeder Mensch es verdient, Unterstützung in Not zu bekommen, dies kommt aus meinem Verständnis des christlichen Glaubens. Desweiteren hat die Flüchtlingsthematik gerade zu Weihnachten Aktualität – Kurz nach Jesu Geburt mussten auch er und seine Familie vor Tod und Verfolgung fliehen.
Wie hat Ihre Familie und Ihr Umfeld reagiert, als Sie verkündet haben, nun in ein Krisengebiet zu gehen?
Vietz: Meine Familie ist sehr reisefreudig und versteht deshalb, dass ich gerne unterwegs bin. Dass ich dorthin gehen möchte, wo Not ist und aktiv mitarbeiten möchte. So geht es meinen Freunden auch. Sie haben mir alles Gute gewünscht und gesagt, dass sie an mich denken und für mich beten. Da wusste ich, dass ich auch während des Einsatzes in Serbien ihre Unterstützung habe - das war mir viel wert.
Ein guter Freund hat angesprochen, dass ich kurz vor dem Einsatz in Serbien bereits einen Kulturwechsel erlebt hatte: Zum Studium bin ich von Leipzig nach Amman, Jordanien, gegangen. Das hat natürlich auch Herausforderungen mit sich gebracht. Dafür bin ich sehr dankbar, Freunde zu haben, die sagen: "Hey, passt du auf dich auf? Tut es Dir gut, solche Umbrüche direkt hintereinander zu machen?"
War der Einsatz für Sie schwierig? Inwiefern?
Vietz: Ich bin an Grenzen gekommen, ja. Zum einen rein körperlicher Natur: Nach zwei Wochen mit sehr wenig Schlaf funktioniert der Körper einfach nicht mehr so gut. Und wenn man gewisse Schicksale hört oder miterlebt, dann nimmt einen das schon emotional mit.
"Jede einzelne Biografie hat es verdient, gehört zu werden"
Es ist so, dass man den Menschen dort nie gerecht werden kann - die Ressourcen sind limitiert und zu dem Zeitpunkt, als ich dort war, kamen Tausende am Tag an unserem Einsatzort vorbei. Die medizinische Versorgung, die wir angeboten haben, war gut und ich glaube schon, dass wir auf dieser Ebene in Zusammenarbeit mit Ärzte ohne Grenzen den Menschen größtenteils gerecht werden konnten. Aber den Schicksalen, den persönlichen Geschichten, kann man nicht gerecht werden: Jede einzelne Biografie hat es verdient, gehört zu werden; jeder Mensch verdient es, wahrgenommen zu werden. Wenn es zeitlich möglich war, haben wir das natürlich versucht.
Und wenn es kurz die Gelegenheit gab, mit den Menschen zu sprechen und ihre Geschichte zu hören, wird klar: Hilfe muss mehr sein als ein neues Paar Schuhe, ein frischer Verband oder Medikamente. Hilfe muss darüber hinaus gehen, und das konnten wir nicht leisten. Das fand ich manchmal belastend. Aber ich denke, dass ich im Großen und Ganzen gut damit umgehen konnte.
Wie haben Sie Kraft schöpfen können?
Vietz: Das Team hat Kraft gegeben, das sind wunderbare Leute. Wir konnten zusammen lachen, wodurch man in manchen Momenten die Schwere der Situation abschütteln konnte. Wenn es die Zeit zuließ, saßen wir auch mal zusammen und haben uns unterhalten, über unsere Pläne, was uns beschäftigt, sowas.
Und als Sie wieder nach Amman kamen?
Vietz: Direkt nach dem Einsatz, hatte die Universität, an der ich eingeschrieben bin, eine Exkursion in die Wüste organisiert. An einem Tag sind wir morgens auf einen Berg gestiegen und haben einen wunderschönen Sonnenaufgang erlebt. Das sind solche Momente, in denen ich gut Erlebtes verarbeiten kann, mich besinnen und mir Zeit für mich nehmen kann. In gewisser Weise kann man so die Dinge auch abgeben und weitergehen.
Es ging für mich sehr aufregend weiter - Forschungspartner finden, mich für eine Sprachschule anmelden - weshalb es sich anfühlt, als sei meine Zeit in Serbien schon länger her als nur ein paar Wochen. Andererseits ist der Einsatz insofern präsent, weil ich hier in Jordanien aufgrund meiner Forschung mit Flüchtlingen zusammenarbeite: Es ist zwar ein anderer Teil der Kette als der, den ich in Serbien kennengelernt habe. Aber es sind die gleichen Schicksale.
Was bedeutet Ihnen der Einsatz in Serbien?
Vietz: Mit der Thematik hatte ich schon vorher zu tun, ich habe bereits in der Flüchtlingshilfe gearbeitet. Ich bin sehr dankbar für diese intensive Zeit und die Erfahrung sowie für den Einblick in diese Arbeit. Mir hat es Freude gemacht, mich dort zu engagieren.